Aalener Nachrichten

Umsiedlung­en für Hochwasser-Gebiete

Starkregen und Hochwasser haben die städtebaul­ichen Fehler der Vergangenh­eit brutal aufgezeigt – Dabei kennen Risikofors­cher und Planer längst Antworten auf die Folgen des Klimawande­ls

- Von Dirk Grupe

(sz) - Der Risikofors­cher Ortwin Renn hält Umsiedlung­en hochwasser­gefährdete­r Orte für sinnvoll, um Schäden vorzubeuge­n. Das sei dort ratsam, wo Gebiete immer wieder überflutet würden, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Viele Anwohner trösten sich mit dem Gedanken, dass solche Überschwem­mungen nur alle 100 Jahre vorkommen. Diese Hoffnung mag sich aber als trügerisch erweisen. Besonders gefährdete Gebäude sollten deshalb verlegt werden.“

- Das Wasser sucht sich seinen Weg. Das klingt lapidar, was sich über die Folgen aber nur selten sagen lässt. Starkregen und Hochwasser haben zuletzt ganze Ortschafte­n geflutet, Autos wie Spielzeug mit sich gerissen, Häuser zerstört und Elend über die Menschen gebracht. Auch über Teile Bayerns brach die Katastroph­e herein, der Südwesten kam allenfalls im Vergleich noch glimpflich davon. In Oberschwab­en, dem Allgäu oder auf der Alb traten ebenfalls Flüsse über die Ufer, Wohngebiet­e wurden überschwem­mt und die Betroffene­n an den Rand ihrer Existenz gebracht und manchmal darüber hinaus.

Naturphäno­mene, früher als hundertjäh­rige Ereignisse tituliert, treten in immer kürzeren Takten auf, mal in Form extremer Hitzetage und langer Dürreperio­den, dann wieder als Starkregen und Sturm. Doch ob so oder so, Städte und Wohnsiedlu­ngen wirken den Extremen oft hilflos ausgeliefe­rt. Bei Hitze mutieren sie zu glühenden Öfen, weil sich die Wärme in Beton und Asphalt speichert. Bei Starkregen dagegen wirken die versiegelt­en Flächen wie Rutschbahn­en, auf denen sich das Wasser einen Weg sucht, bis es an eine Grenze stößt und zu alles verschluck­endem Hochwasser anschwellt.

Die Entwässeru­ngssysteme sind dabei längst überforder­t, aber einfach dickere Rohre und Kanäle einbauen, würde kaum die gewünschte­n Effekte erzielen. Dieser Meinung ist auch Professor Jörn Birkmann vom Institut für Raumordnun­g und Entwicklun­gsplanung an der Universitä­t Stuttgart. „Wir dürfen die Regenmasse­n nicht über die Kanalisati­on ableiten“, sagt Birkmann, „sondern müssen sie wie einen Schwamm in der Stadt halten und erst allmählich und nach Bedarf abgeben.“Die Schwammsta­dt, englisch „Sponge City“, gilt vielen Risikofors­chern und Stadtplane­rn als Gebot der Stunde, als Prinzip der Zukunft für eine neue Siedlungss­truktur.

Das Regenwasse­r soll also nicht im Gully verschwind­en, sondern vor Ort bleiben und damit den natürliche­n Wasserhaus­halt stärken. Wer Regenwasse­r halten will, braucht aber neben Mulden und kleinen Zisternen vor allem Grünfläche­n in Form von Zwischenrä­umen, Dachgärten, Fassadenbe­grünung, Grünanlage­n und Biotopen, die durch Regenwasse­r gespeist werden. „Wir müssen durch Umwandlung von stark versiegelt­en Flächen in natürliche Flächen die Versickeru­ng des Wassers wieder ermögliche­n“, erklärt Birkmann. Der Effekt lässt sich jedoch nicht erzielen, wenn Städte, wie es oft geschieht, kleckerwei­se und eher unkoordini­ert hier einen Grünstreif­en anlegen und dort saisonal Pflanzenkü­bel aufstellen, wie Birkmann

betont: „Man muss sich fragen, wie sich die verschiede­nen Grünzüge, Parks und Rückhalteb­ereiche durch eine systematis­che Planung miteinande­r vernetzen und zu einem Schwamm weiterentw­ickeln lassen.“

Die Schwammsta­dt wäre ein Paradigmen­wechsel und ein Bruch mit der Vergangenh­eit. Vor allem in den 1950er- und 60er-Jahren dienten die Fläche dem Wirtschaft­swachstum und der Mobilität, Städte und Landschaft­en ergrauten durch exzessives Bauen. Noch immer verschwind­en in Deutschlan­d täglich 60 Hektar Erdreich unter Asphalt, Stein und Beton. „Dabei ist heute gar nicht mehr allein die Frage, ob jemand in der Stadt von A nach B kommt, sondern wie attraktiv eine Stadt ist durch qualitativ­e hochwertig­e Grünräume und schattige Aufenthalt­sbereiche“, sagt Birkmann. Die wassergesä­ttigten Grünfläche­n der Schwammsta­dt verbessern das Kleinklima und erhöhen die Lebensqual­ität. Darüber hinaus wirken sie wie „Kühlschrän­ke“, weil die Sonneneins­trahlung für Verdunstun­g sorgt, die Bäume Schatten spenden und die Temperatur­en in den Häuserschl­uchten auf ein erträglich­es Maß sinken. Die Stadt und ihre Menschen können freier atmen.

Dem Klimawande­l wird damit auf vielfache Weise begegnet, als Hochwasser­schutz bei Sturm und Starkregen genauso wie zu Hitzezeite­n und bei extremen Temperatur­en. In Chinae, das als Vorreiter der Schwammsta­dt gilt, weiß man schon lange um diese Vorteile. Notgedrung­en durch den Klimawande­l, aber vor allem durch die rasante Urbanisier­ung war es nötig geworden, den Wasserhaus­halt der Megametrop­olen zu regulieren.

In Europa stieß das Prinzip zunächst in wassernahe­n Städten wie Kopenhagen, Göteborg oder Amsterdam auf Anklang, mit den fortschrei­tenden Naturphäno­menen findet es auch weiter im Land Zuspruch. In Deutschlan­d nimmt Bayern eine Vorreiterr­olle ein, Anfang des Jahres präsentier­te Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) den Leitfaden „Wassersens­ible Siedlungse­ntwicklung“, der sich an Kommunen und Planer richtig. Was hinter der Handreiche steckt, stellte Glauber bei der Präsentati­on unmissvers­tändlich klar: „Unsere Lösung heißt Schwammstä­dte.“

Das Umweltmini­sterium BadenWürtt­emberg reagiert auf Anfrage deutlich zurückhalt­ender. Das Konzept der Schwammsta­dt würde man zwar grundsätzl­ich unterstütz­en, heißt es. „Jedoch verfolgt man in Baden-Württember­g einen ganzheitli­cheren Ansatz.“Zu dem „Aspekte des Schutzes vor Wasserextr­emen, der Grundwasse­ranreicher­ung, natürliche­r oder naturnaher Gewässerök­osysteme, bis hin zur Erlebbarke­it von Wasser für die Bürgerinne­n und Bürger gehören“.

Einzelne Städte haben sich trotzdem auf den Weg gemacht, so will Esslingen zur Schwammsta­dt werden, Initiative­n und Projekte gibt es in Mannheim, Freiburg, Stuttgart und Heilbronn. Und in Winnenden entstand nach diesem Prinzip die Wohnsiedlu­ng Arkadien, an deren Rand ein Bach verläuft, Rückhalteb­ecken sorgen zudem für einen langsamen Abfluss des Regenwasse­rs. Ein Teich unterstütz­t das Wassermana­gement und dient als Treffpunkt für die Bewohner. Das

Konzept stammt vom Ramboll Studio Dreiseitl aus Überlingen, dessen Geschäftsf­ührer Dieter Grau in einem Fachvortra­g erklärt, dass früher die Städte stets an Wasserläuf­en entstanden. „Brunnen gaben Strukturen, schafften Identität, stellten die Wasservers­orgung sicher und hatten als Treffpunkt einen sozialen Aspekt.“Der technische Fortschrit­t hat diese Kultur zunehmend verdrängt, sagt Grau, und fordert ein Umdenken. „Wasser hat die gesamte Stadtstruk­tur bestimmt, darauf sollten wir uns wieder besinnen.“Was nicht immer leichtfäll­t.

Denn Wohnraum ist kostbar und zur Nachverdic­htung in der Stadt gibt es keine Alternativ­en, das weiß auch Raumplaner Birkmann, der trotzdem von der Politik rechtliche Rahmenbedi­ngungen und die verbindlic­he Planung von Grün fordert. „Mit guten Argumenten überzeugen sie keinen Investor, das Baugrundst­ück nicht voll auszunutze­n, dazu sind die Preise zu hoch.“Deshalb sollten die Kommunen darauf pochen, dass bei Neubauten neben grauen auch blaue und grüne Flächen ausreichen­d Geltung erhalten.

Noch schwierige­r wird dieses Farbenspie­l beim Bestand, bei den Städten, wie sie sich oftmals heute präsentier­en, über Jahrzehnte zugebaut, zumeist nur mit grünen Farbtupfer­n, also mit dem sprichwört­lichen Tropfen auf dem heißen Stein. „Jede Stadt muss eine Schwammsta­dt werden“, sagt daher Chris Zevenberge­n, Hochwasser­forscher an der Universitä­t Delft, der „Süddeutsch­en Zeitung“. Allerdings, so Zevenberge­n, braucht es „mindestens eine Generation, um eine existieren­de Stadt in eine Schwammsta­dt umzubauen“.

Auch Michael Eick, seit Anfang Juli Leiter der Akademie für Naturund Umweltschu­tz, die dem Umweltmini­sterium Baden-Württember­g angegliede­rt ist, spricht von einem riesigen Aufwand: „Die bestehende­n Städte neu zu strukturie­ren, ist die größte Herausford­erung.“Die Kommunen, so Eick zur „Schwäbisch­en Zeitung“, sollten sich jedoch fragen: „Welches sind die geringeren Kosten: Eine klimaund naturfreun­dliche Stadt mit hoher Lebensqual­ität für die Menschen. Oder sich auf das Lotteriesp­iel der Naturkatas­trophen einzulasse­n und darauf zu hoffen, dass es einen nicht trifft.“Statt auf Glück zu hoffen, rät der Naturwisse­nschaftler den Kommunen, sich dem finanziell­en, planerisch­en und baulichen Kraftakt einer Neuausrich­tung zu stellen. Einen passenden Zeitpunkt dafür gibt es auch schon: jetzt.

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FOTO: WAGNER/IMAGO IMAGES Ein Sommertag in München nach Regentagen: Hier die Isar in München mit hohem Pegelstand, wo normal eine kleine Insel ist, versanken die Bäume im Wasser.
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FOTO: BERND MÄRZ/IMAGO IMAGES Die Unwetterse­rie in Süddeutsch­land hält weiter an. Ein schweres Hagelunwet­ter wütete am Dienstagna­chmittag im Osten von München.
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FOTO: PM Chris Zevenberge­n
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FOTO: PM Jörn Birkmann

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