Keine Taktik funktioniert
Tischtennis-Star Timo Boll scheitert erneut im Achtelfinale – Wie es nun weitergeht
(SID) - Timo Boll trottete mit einem schwarzen Rollkoffer im Schlepptau aus der leeren Halle, die nächste olympische Einzel-Enttäuschung hatte ihn unerwartet und daher tief getroffen. „Tischtennis ist meine große Liebe – natürlich bin ich frustriert. Ich dachte, dass ich ganz gut drauf bin“, sagte der 40-Jährige. Wenige Minuten zuvor war sein Traum von der ersten Einzelmedaille bei Olympischen Spielen erneut geplatzt.
Zum vierten Mal in Folge scheiterte Boll schon im Achtelfinale. Seine Liebe zu den fünf Ringen, sie bleibt im Einzel seit seinem Debüt 2000 in Sydney auf rätselhafte Art unerwidert. „Ich habe heute immer aufs falsche Pferd gesetzt. Nichts hat funktioniert“, sagte der Europameister nach dem deutlichen 1:4 (8:11, 11:7, 7:11, 9:11, 4:11) gegen den Südkoreaner Jeoung Young Sik mit leiser Stimme. Dabei war Boll nach dem 1:1-Satzausgleich eigentlich am Drücker. Doch es half nichts: Als der Düsseldorfer den vierten Durchgang nach 9:7-Führung noch 9:11 verlor, war nichts mehr zu retten. „Ich habe verschiedene Taktiken versucht, aber keine hat funktioniert“, so Boll. Nach 50 Minuten musste sich der deutsche Fahnenträger von 2016 geschlagen geben. Gemessen an seiner furiosen Karriere bleibt Bolls Olympia-Bilanz übersichtlich. Bei sechs Sommerspielen war das Viertelfinale 2004 in Athen sein größter Erfolg.
Doch Timo Boll wäre nicht Timo Boll, wenn er geflucht oder gehadert hätte. Wenn er Ausreden gesucht oder auf seine jüngste Hüftverletzung verwiesen hätte. Mit bewundernswerter Ruhe, Analysefähigkeit und sportlicher Fairness absolvierte er Interview um Interview und zollte seinem Bezwinger den Respekt, den dieser verdient hatte. „Man muss aber auch anerkennen: Die Gegner, gegen die ich gerade bei Olympia verloren habe, haben immer gut gespielt“, sagte Boll.
Und jetzt? Wird Boll 2024 einen siebten Anlauf wagen? Das weiß der frühere Weltranglistenerste selbst nicht. „Es ist noch lange hin bis Paris. Und gerade in meinem Alter wird jedes Jahr länger und länger“, sagte er. Und schob doch hinterher: „Wenn ich 2024 immer noch in der Form bin, um zum Team zu gehören – warum nicht?“
Jenes Team soll Boll nun auch in Tokio aufrichten. Am Sonntag beginnt der Mannschaftswettbewerb, in dem Deutschland zuletzt einmal Silber (2008) und zweimal Bronze (2012, 2016) holte. Auch in diesem Jahr soll eine Medaille her. „Es war bei Olympia ja meistens so, dass ich eine Enttäuschung wegstecken musste, und danach lief es dann ganz gut im Team“, sagte Boll. Eine Wiederholung ist durchaus erwünscht.
Für Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf ist Bolls Karriere ohnehin schon „perfekt“, auch ohne Einzelmedaille. „Er hat ja auch schon Medaillen bei allen großen Turnieren, das können nicht viele sagen. Eine Medaille im Einzel würde sein Leben nicht mehr verändern“, hatte Roßkopf schon vor Tokio gesagt.
Doch kann sich Boll überhaupt noch für den Teamwettkampf motivieren? „Aber sicher. Genau deshalb stehe ich hier noch mit 40“, sagte er. Tischtennis bleibt eben seine große Liebe. Das olympische Einzel eher weniger.