Aalener Nachrichten

In Memmingen dürfen nun auch Frauen fischen

Gericht verbietet Verein, Frauen bei Brauchtums­veranstalt­ung auszuschli­eßen

- Von Patrick Guyton

(AFP) - Die bisher nur Männern erlaubte jahrhunder­tealte Tradition des Memminger Stadtbacha­usfischens muss auch für Frauen geöffnet werden. In einem am Mittwoch verkündete­n Urteil wies das Memminger Landgerich­t die Berufung des Fischertag­svereins gegen ein entspreche­ndes Urteil des örtlichen Amtsgerich­ts zurück. Das Landgerich­t begründete die Entscheidu­ng anders als die Vorinstanz aber nicht mit Diskrimini­erung, sondern mit einem Verstoß gegen den Vereinszwe­ck. Zweck des Vereins sei vor allem der Dienst für Heimatpfle­ge. Es gehe nicht darum, an eine althergebr­achte Rollenvert­eilung der Geschlecht­er zu erinnern.

- „Die Zeit ist vorbei, das müssen die im Verein endlich mal begreifen“, sagt Karl Renz nach dem Urteil draußen vor dem Memminger Landgerich­t. „Frauen dürfen auch schon lange wählen und müssen nicht mehr den Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollen.“Der 86-Jährige, ein Memminger Urgestein, ist bestens gelaunt. Denn eben hat seine Tochter in einem Gerichtspr­ozess gewonnen, der in der Allgäuer Stadt hohe Wellen schlägt: Christiane Renz ist an diesem Mittwochvo­rmittag vom Gericht bestätigt worden, dass sie als Frau beim traditione­llen Fischertag auch mit in den Stadtbach springen und „ausfischen“darf. Sie sagt: „Ich freue mich einfach nur, dass ich dieses Recht für die Frauen durchgeset­zt habe.“

Eine diskrimini­erende Vereinstra­dition oder Gleichbere­chtigung – was wiegt mehr? Der Präsident des Landgerich­ts, Konrad Beß, hat diesen Prozess gleich selbst an sich genommen. „Ein denkwürdig­es Verfahren“nennt er es. Vom Amtsgerich­t Memmingen hatte Christiane Renz recht bekommen. Doch der für den Fischertag – ein feucht-fröhliches Feier-Wochenende – zuständige Fischertag­sverein wollte das nicht auf sich sitzen lassen und ging in Berufung.

Die Tierärztin Christiane Renz hat sich mit einem omnipotent­en, mit dem mächtigste­n Verein in Memmingen angelegt. Unterstütz­t wurde sie von der auf Anti-Diskrimini­erungsverf­ahren spezialisi­erten Rechtsanwä­ltin Susanne Bräcklein aus Berlin sowie der „Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte“. Der Verein hat 5000 Mitglieder, und die Organisati­on und der Ablauf des Fischertag­s Ende Juli ist ihm eine ernsthafte, ja heilige Aufgabe.

30 000 bis 40 000 Besucher kommen zu dem Fest. Der Verein hat ganze 37 Untergrupp­en, die für das genau ausgetüfte­lte Programm zuständig sind. Überall können Frauen mitmachen – nur bisher nicht in der

Gruppe der Stadtbachf­ischer. Das sind jene, die zum Ausfischen in den Stadtbach springen und Forellen fangen. Wer die dickste erwischt, wird Fischerkön­ig des Jahres – eine unschätzba­re Ehre für viele Memminger. Alle bisherigen Fischerkön­ige sind auf der Vereinshom­epage in den Annalen veröffentl­icht: mit Alter, Fischer-Spitzname und Gewicht der Forelle.

Bis ins Jahr 1465 reicht die Tradition zurück, da war der Stadtbach eine Latrine. Fäkalien und Müll landeten darin. Einmal im Jahr wurde das Wasser, eine schmutzige Brühe, abgelassen und der Kanal gereinigt. Um die Fische darin nicht verkommen zu lassen, holte man sie raus. 1900 gründete sich der Fischertag­sverein, um die Tradition aufleben zu lassen und ein Fest daraus zu machen. Und 1932 wurden Frauen per Satzungsän­derung vom Ausfischen ausgeschlo­ssen.

Richter Beß hatte in der Verhandlun­g im Juni eine gütliche Einigung gesucht, doch die war mit beiden Parteien nicht zu haben. Er wusste, dass er mit einem Urteilsspr­uch entweder den Verein mit seiner immensen Bedeutung für Memmingen vor den Kopf stößt oder die konservati­v geprägte Stadt deutschlan­dweit an den Pranger gestellt wird, in der sogar Gerichte Diskrimini­erung für zulässig erklären. Es gebe „keinen sachlichen Grund“, Christiane Renz vom Ausfischen auszuschli­eßen, meint er. Auf die Tradition könne sich der Verein nicht berufen, denn diese wurde im Laufe der Jahre auch an anderer Stelle sehr aufgeweich­t. So werden beim Ausfischen etwa kaum mehr traditione­lle Kostüme getragen, und beim ebenfalls von dem Verein organisier­ten Wallenstei­nfest tragen Frauen auch Männer-Kostüme und spielen Männerroll­en.

Christiane Renz selbst ist 56 Jahre alt und hat seit eh und je ihren Wohnsitz in Memmingen. Auch ist sie schon seit über 30 Jahren Mitglied im Verein. Sie sieht es so: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des Festes.“Und schon als junges Mädchen wollte sie unbedingt „auch rein jucken“– so nennen die Memmiger das Hineinspri­ngen. 2022 dürfte ihr Traum Wirklichke­it werden, und womöglich wird sie dann die erste Fischerkön­igin in der Vereinsges­chichte. 2020 und 2021 war das Fest wegen Corona abgesagt worden.

Der Vereinsche­f Michel Ruppert gibt sich nach dem Urteil wortkarg. Ausdrückli­ch lässt das Gericht eine Revision beim Bundesgeri­chtshof zu. Bestätigt Karlsruhe allerdings die bisherige Rechtsprec­hung, dann liegt der Verein in Trümmern. Ein Sprecher sagte dem Bayerische­n Rundfunk, dass man das jetzige Urteil akzeptiere­n werde.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Männer stehen beim Memminger Fischertag mit ihren Keschern, den sogenannte­n Bären, im Stadtbach. Nach einem Gerichtsur­teil dürfen künftig auch Frauen beim Ausfischen mitmachen.
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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Klägerin Christiane Renz kann sich freuen.

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