In Memmingen dürfen nun auch Frauen fischen
Gericht verbietet Verein, Frauen bei Brauchtumsveranstaltung auszuschließen
(AFP) - Die bisher nur Männern erlaubte jahrhundertealte Tradition des Memminger Stadtbachausfischens muss auch für Frauen geöffnet werden. In einem am Mittwoch verkündeten Urteil wies das Memminger Landgericht die Berufung des Fischertagsvereins gegen ein entsprechendes Urteil des örtlichen Amtsgerichts zurück. Das Landgericht begründete die Entscheidung anders als die Vorinstanz aber nicht mit Diskriminierung, sondern mit einem Verstoß gegen den Vereinszweck. Zweck des Vereins sei vor allem der Dienst für Heimatpflege. Es gehe nicht darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern.
- „Die Zeit ist vorbei, das müssen die im Verein endlich mal begreifen“, sagt Karl Renz nach dem Urteil draußen vor dem Memminger Landgericht. „Frauen dürfen auch schon lange wählen und müssen nicht mehr den Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollen.“Der 86-Jährige, ein Memminger Urgestein, ist bestens gelaunt. Denn eben hat seine Tochter in einem Gerichtsprozess gewonnen, der in der Allgäuer Stadt hohe Wellen schlägt: Christiane Renz ist an diesem Mittwochvormittag vom Gericht bestätigt worden, dass sie als Frau beim traditionellen Fischertag auch mit in den Stadtbach springen und „ausfischen“darf. Sie sagt: „Ich freue mich einfach nur, dass ich dieses Recht für die Frauen durchgesetzt habe.“
Eine diskriminierende Vereinstradition oder Gleichberechtigung – was wiegt mehr? Der Präsident des Landgerichts, Konrad Beß, hat diesen Prozess gleich selbst an sich genommen. „Ein denkwürdiges Verfahren“nennt er es. Vom Amtsgericht Memmingen hatte Christiane Renz recht bekommen. Doch der für den Fischertag – ein feucht-fröhliches Feier-Wochenende – zuständige Fischertagsverein wollte das nicht auf sich sitzen lassen und ging in Berufung.
Die Tierärztin Christiane Renz hat sich mit einem omnipotenten, mit dem mächtigsten Verein in Memmingen angelegt. Unterstützt wurde sie von der auf Anti-Diskriminierungsverfahren spezialisierten Rechtsanwältin Susanne Bräcklein aus Berlin sowie der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“. Der Verein hat 5000 Mitglieder, und die Organisation und der Ablauf des Fischertags Ende Juli ist ihm eine ernsthafte, ja heilige Aufgabe.
30 000 bis 40 000 Besucher kommen zu dem Fest. Der Verein hat ganze 37 Untergruppen, die für das genau ausgetüftelte Programm zuständig sind. Überall können Frauen mitmachen – nur bisher nicht in der
Gruppe der Stadtbachfischer. Das sind jene, die zum Ausfischen in den Stadtbach springen und Forellen fangen. Wer die dickste erwischt, wird Fischerkönig des Jahres – eine unschätzbare Ehre für viele Memminger. Alle bisherigen Fischerkönige sind auf der Vereinshomepage in den Annalen veröffentlicht: mit Alter, Fischer-Spitzname und Gewicht der Forelle.
Bis ins Jahr 1465 reicht die Tradition zurück, da war der Stadtbach eine Latrine. Fäkalien und Müll landeten darin. Einmal im Jahr wurde das Wasser, eine schmutzige Brühe, abgelassen und der Kanal gereinigt. Um die Fische darin nicht verkommen zu lassen, holte man sie raus. 1900 gründete sich der Fischertagsverein, um die Tradition aufleben zu lassen und ein Fest daraus zu machen. Und 1932 wurden Frauen per Satzungsänderung vom Ausfischen ausgeschlossen.
Richter Beß hatte in der Verhandlung im Juni eine gütliche Einigung gesucht, doch die war mit beiden Parteien nicht zu haben. Er wusste, dass er mit einem Urteilsspruch entweder den Verein mit seiner immensen Bedeutung für Memmingen vor den Kopf stößt oder die konservativ geprägte Stadt deutschlandweit an den Pranger gestellt wird, in der sogar Gerichte Diskriminierung für zulässig erklären. Es gebe „keinen sachlichen Grund“, Christiane Renz vom Ausfischen auszuschließen, meint er. Auf die Tradition könne sich der Verein nicht berufen, denn diese wurde im Laufe der Jahre auch an anderer Stelle sehr aufgeweicht. So werden beim Ausfischen etwa kaum mehr traditionelle Kostüme getragen, und beim ebenfalls von dem Verein organisierten Wallensteinfest tragen Frauen auch Männer-Kostüme und spielen Männerrollen.
Christiane Renz selbst ist 56 Jahre alt und hat seit eh und je ihren Wohnsitz in Memmingen. Auch ist sie schon seit über 30 Jahren Mitglied im Verein. Sie sieht es so: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des Festes.“Und schon als junges Mädchen wollte sie unbedingt „auch rein jucken“– so nennen die Memmiger das Hineinspringen. 2022 dürfte ihr Traum Wirklichkeit werden, und womöglich wird sie dann die erste Fischerkönigin in der Vereinsgeschichte. 2020 und 2021 war das Fest wegen Corona abgesagt worden.
Der Vereinschef Michel Ruppert gibt sich nach dem Urteil wortkarg. Ausdrücklich lässt das Gericht eine Revision beim Bundesgerichtshof zu. Bestätigt Karlsruhe allerdings die bisherige Rechtsprechung, dann liegt der Verein in Trümmern. Ein Sprecher sagte dem Bayerischen Rundfunk, dass man das jetzige Urteil akzeptieren werde.