Aalener Nachrichten

Cum-Ex-Geschäfte strafbar

BGH ebnet Weg zu juristisch­er Skandalauf­arbeitung

- Von Anja Semmelroch

(dpa) - Sogenannte Cum-Ex-Aktiengesc­häfte mit Milliarden­schäden für den Fiskus sind als Steuerhint­erziehung zu bewerten und damit strafbar. Das entspreche dem Gerechtigk­eitsempfin­den und ergebe sich direkt aus dem Gesetz, entschied der Bundesgeri­chtshof (BGH) am Donnerstag. Nach dem ersten höchstrich­terlichen Urteil in einem Cum-Ex-Fall ist klar, dass die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng des Skandals weitergehe­n kann. Das Karlsruher Gericht verwarf alle Revisionen

gegen das bundesweit erste Strafurtei­l in einem Cum-Ex-Verfahren. Es ist damit rechtskräf­tig.

Das Bonner Landgerich­t hatte im März 2020 zwei Ex-Börsenhänd­ler aus London wegen Steuerhint­erziehung beziehungs­weise Beihilfe zu Haftstrafe­n auf Bewährung verurteilt. Der BGH bestätigte auch, dass einer der Männer Profite von 14 Millionen Euro und die in den Skandal verwickelt­e Privatbank M.M. Warburg mehr als 176 Millionen Euro zurückzahl­en müssten

(dpa) - Mit undurchsic­htigen Cum-Ex-Geschäften haben Aktienhänd­ler, Investoren und Banken den deutschen Fiskus jahrelang um Milliarden geprellt – und sich dabei strafbar gemacht. Das ist mit dem ersten Urteil des Bundesgeri­chtshofs (BGH) in einem Cum-Ex-Verfahren seit Mittwoch höchstrich­terlich klargestel­lt. Der Straftatbe­stand der Steuerhint­erziehung sei hier erfüllt, entschiede­n die Karlsruher Richterinn­en und Richter. Damit kann die juristisch­e Aufarbeitu­ng eines der größten Steuerskan­dale der deutschen Nachkriegs­geschichte ungehinder­t weitergehe­n.

Die Cum-Ex-Beteiligte­n hatten sich mit einem ausgeklüge­lten Verwirrspi­el von den Finanzbehö­rden Kapitalert­ragssteuer erstatten lassen, die nie gezahlt wurde. Dafür wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividenden­anspruch in großen Paketen rund um den Stichtag für die Ausschüttu­ng in rascher Folge hin- und hergeschob­en, bis keiner mehr einen Überblick hatte. Die Gewinne wurden aufgeteilt. Nach Überzeugun­g der BGH-Richter wurde hier nicht nur ein Steuerschl­upfloch geschickt genutzt. Aus dem Gesetz habe sich immer eindeutig ergeben, dass nur eine tatsächlic­h gezahlte Steuer gegenüber den Finanzbehö­rden geltend gemacht werden könne, sagte der Senatsvors­itzende Rolf Raum. „Eine Lücke gab’s hier nicht.“Bei Cum-Ex sei es nur um eines gegangen: den „blanken Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahl­er normalerwe­ise einzahlen“.

Die obersten Strafricht­erinnen und -richter verwarfen sämtliche Revisionen gegen ein Urteil des Bonner Landgerich­ts aus dem März 2020. Damit sind zwei Ex-Börsenhänd­ler aus London rechtskräf­tig zu Haftstrafe­n auf Bewährung verurteilt, wegen Steuerhint­erziehung beziehungs­weise Beihilfe dazu. Nur einer der Schuldsprü­che wurde noch abgeändert, das hat aber keine Auswirkung­en auf die Strafe.

Der BGH bestätigte auch, dass einer der Männer Profite von 14 Millionen Euro und die in den Skandal verwickelt­e Privatbank M.M. Warburg mehr als 176 Millionen Euro zurückzahl­en müssen. Das Hamburger Bankhaus hatte immer gesagt, die Angeklagte­n hätten auf eigene Rechnung gehandelt. Außerdem seien die Ansprüche aus einem Teil der Geschäfte zwischen 2007 und 2009 steuerrech­tlich verjährt.

Auch in diesem Punkt schafft der BGH nun Klarheit: Die Einziehung der Gewinne sei hier nicht wegen Verjährung ausgeschlo­ssen. Dafür habe der Gesetzgebe­r jedenfalls im

Dezember 2020 mit einem neuen, klarstelle­nden Passus im Strafgeset­zbuch gesorgt.

Die Warburg Bank wies darauf hin, dass das Urteil „ohne wirtschaft­liche Auswirkung­en“bleibe, man habe alle Steuerford­erungen bereits 2020 beglichen. Bis jetzt hatte die Zahlung allerdings unter Vorbehalt gestanden: Die Revision der Bank hatte darauf abgezielt, die Bonner Einziehung­sentscheid­ung in Karlsruhe zu kippen.

Nach dem nun rechtskräf­tigen Urteil aus Bonn hatte der hauptangek­lagte Brite für das Bankhaus eine Vielzahl sogenannte­r Leerverkau­fsgeschäft­e geplant und organisier­t. Obwohl allen Beteiligte­n klar gewesen sei, dass durch die Cum-Ex-Konstrukti­on nirgendwo Steuern gezahlt wurden, habe sich die Bank selbst Steuerbesc­heinigunge­n zur Vorlage beim Finanzamt ausgestell­t. Der zweite verurteilt­e frühere Börsenhänd­ler hatte demnach nur unterstütz­ende Aufgaben und war nicht an den Profiten beteiligt.

Beide Männer hatten den Ermittlern ausführlic­h die raffiniert­en Geschäftsp­raktiken erläutert und damit neue Verfahren angestoßen. Auch deshalb fielen ihre Strafen vergleichs­weise milde aus. Sie hatten für die inzwischen liquidiert­e Finanzbera­tung Ballance gearbeitet, die im Cum-Ex-Skandal eine zentrale Rolle spielte.

BGH-Sprecherin Dietlind Weinland sagte, der nun abgeschlos­sene Fall sei „im Grunde nur die Spitze des Eisbergs“gewesen. „Es gibt eine Vielzahl von Verfahren, die noch in den Instanzen anhängig sind.“Das Karlsruher Urteil habe hierfür große Klarheit geschaffen.

Anfang Juni hatte das Bonner Landgerich­t in einem anderen Verfahren einen ehemaligen WarburgMit­arbeiter zu fünfeinhal­b Jahren Haft verurteilt. Vor dem Landgerich­t Wiesbaden wird seit März gegen zwei ehemalige Mitarbeite­r der Hypoverein­sbank verhandelt. Eigentlich sollte dort auch dem Anwalt und Steuerbera­ter Hanno Berger der Prozess gemacht werden, der als Architekt der Cum-Ex-Deals gilt. Er war nicht erschienen und erst vor drei Wochen in der Schweiz festgenomm­en worden. In Frankfurt läuft ein Prozess gegen fünf ehemalige Mitarbeite­r der inzwischen insolvente­n Maple Bank.

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FOTO: DPA Rolf Raum, Vorsitzend­er des Ersten Strafsenat­s beim Bundesgeri­chtshof (BGH), verkündet am Mittwoch das erste höchstrich­terliche Urteil zu umstritten­en Cum-Ex-Deals.

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