Aalener Nachrichten

Blumige Worte, keine Entschuldi­gung

Die Folgen französisc­her Atomtests belasten polynesisc­he Inseln noch immer – Opfer enttäuscht nach Besuch von Präsident Macron

- Von Christine Longin

- In Französisc­h-Polynesien leiden die Menschen noch heute unter den Folgen von 193 Atomtests. Der Besuch des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron enttäuscht die Opferverbä­nde.

Die Inseln in Französisc­h-Polynesien bedienen jedes Urlaubskli­schee: türkisblau­es Wasser, bizarr geformte Korallenri­ffe und einsame Strände. Doch was nicht in den Reiseprosp­ekten steht: Die Atolle waren jahrzehnte­lang Ort französisc­her Atomtests, unter deren Folgen die Menschen heute noch leiden. Schilddrüs­enkrebs, Leukämie und Fehlbildun­gen haben die 193 Explosione­n zwischen 1966 und 1996 hinterlass­en. Seit Jahrzehnte­n warten die Polynesier­innen und Polynesier deshalb auf eine Entschuldi­gung aus Paris. Aber auch Emmanuel Macron sprach bei seinem Besuch am anderen Ende der Welt das Wort „Pardon“nicht aus.

Der Präsident räumte am Mittwoch lediglich eine Schuld des Zentralsta­ats ein. „Diese Schuld erwächst aus der Tatsache, vor allem zwischen 1966 und 1974 Tests durchgefüh­rt zu haben, von denen man absolut nicht behaupten kann, dass sie sauber waren“, sagte er. „Wir hätten dieselben Tests nicht in der Creuse oder der Bretagne gemacht.“Polynesien liegt dagegen 15 000 Kilometer von Paris entfernt und bot sich deshalb für die gefährlich­en Versuche an. Auch wenn Macron nicht von Lüge sprechen will, verbreitet­e das französisc­he Militär damals ohne Skrupel den Mythos von der „sauberen Bombe“.

Alte Aufnahmen zeigen, wie Soldaten den Pilz über dem Wasser 1968 begeistert begrüßten. „Techniker versichern, dass er absolut harmlos ist“, sagt eine Stimme aus dem Off.

Dabei waren 23 Jahre nach dem Atombomben­abwurf über Hiroshima die Auswirkung­en der radioaktiv­en Strahlung durchaus bekannt.

Und die damals getestete Bombe hatte eine 130-mal größere Sprengkraf­t als die von Hiroshima. Doch Frankreich wollte im Kalten Krieg seine nukleare Abschrecku­ngskraft unter Beweis stellen und nutzte seine Inseln im Südpazifik zu dieser Machtdemon­stration. „Das ist ein wunderbare­r Erfolg für die Unabhängig­keit und Sicherheit Frankreich­s“, freute sich Präsident Charles de Gaulle, auf den die Atomtests zurückgehe­n.

Der frühere Soldat Bernard Reinold gehörte damals zu jenen, die im Dienste der Armee an den Tests beteiligt waren. Er musste als Taucher nach den Explosione­n unter Wasser Proben nehmen. Auf die Frage, ob die Behörden ihn vor den Gefahren gewarnt hätten, antwortete er im Fernsehsen­der France 24: „Niemals.“Der Rentner leidet an Nierenkreb­s, wurde aber nie als Opfer der Atomtests anerkannt.

Erst seit 2010 gibt es ein Komitee, das entscheide­t, ob Gesundheit­sschäden durch die Zündungen vorliegen. Von mehr als tausend Anträgen wurde allerdings nur ein Drittel bisher akzeptiert. Dabei sind in Polynesien

schätzungs­weise 110 000 der rund 280 000 Einwohner von den Folgen der Tests betroffen, vor denen sie nicht gewarnt worden waren. „In den polynesisc­hen Familien hat jeder einen Onkel, einen Großvater, jemanden, der an den Atomtests gestorben ist“, berichtete der Abgeordnet­e Moetai Brotherson in der Nationalve­rsammlung. 2018 zeigte eine Studie des Kinderarzt­es am Universitä­tskrankenh­aus von Französisc­hPolynesie­n, Christian Sueur, dass ein Viertel der von ihm untersucht­en Kinder Fehlbildun­gen oder Entwicklun­gsverzöger­ungen aufwies. Sie hatten alle Großeltern, die auf dem Atomtestge­lände arbeiteten.

Die Opfer der Tests fordern deshalb nicht nur eine Entschuldi­gung des Präsidente­n, sondern auch eine schnelle Entschädig­ung. Die Verspreche­n von Macron, die Zahlungen voranzubri­ngen, stellen sie nicht zufrieden. Vor allem, weil schon Macrons Vorgänger François Hollande bei einem Besuch 2016 Ähnliches versproche­n hatte. „Es gibt keinen Fortschrit­t in seiner Rede. Nur Demagogie“, kritisiert­e der Vorsitzend­e der Opferverei­nigung 193, Auguste Uebe-Carlson, im polynesisc­hen Fernsehen Macrons Ansprache. Einige der Opfer verklagten den französisc­hen Staat bereits vor dem internatio­nalen Strafgeric­htshof. Andere könnten sich dem Schritt nun anschließe­n.

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FOTO: LUDOVIC MARIN/AFP

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