Blumige Worte, keine Entschuldigung
Die Folgen französischer Atomtests belasten polynesische Inseln noch immer – Opfer enttäuscht nach Besuch von Präsident Macron
- In Französisch-Polynesien leiden die Menschen noch heute unter den Folgen von 193 Atomtests. Der Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron enttäuscht die Opferverbände.
Die Inseln in Französisch-Polynesien bedienen jedes Urlaubsklischee: türkisblaues Wasser, bizarr geformte Korallenriffe und einsame Strände. Doch was nicht in den Reiseprospekten steht: Die Atolle waren jahrzehntelang Ort französischer Atomtests, unter deren Folgen die Menschen heute noch leiden. Schilddrüsenkrebs, Leukämie und Fehlbildungen haben die 193 Explosionen zwischen 1966 und 1996 hinterlassen. Seit Jahrzehnten warten die Polynesierinnen und Polynesier deshalb auf eine Entschuldigung aus Paris. Aber auch Emmanuel Macron sprach bei seinem Besuch am anderen Ende der Welt das Wort „Pardon“nicht aus.
Der Präsident räumte am Mittwoch lediglich eine Schuld des Zentralstaats ein. „Diese Schuld erwächst aus der Tatsache, vor allem zwischen 1966 und 1974 Tests durchgeführt zu haben, von denen man absolut nicht behaupten kann, dass sie sauber waren“, sagte er. „Wir hätten dieselben Tests nicht in der Creuse oder der Bretagne gemacht.“Polynesien liegt dagegen 15 000 Kilometer von Paris entfernt und bot sich deshalb für die gefährlichen Versuche an. Auch wenn Macron nicht von Lüge sprechen will, verbreitete das französische Militär damals ohne Skrupel den Mythos von der „sauberen Bombe“.
Alte Aufnahmen zeigen, wie Soldaten den Pilz über dem Wasser 1968 begeistert begrüßten. „Techniker versichern, dass er absolut harmlos ist“, sagt eine Stimme aus dem Off.
Dabei waren 23 Jahre nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung durchaus bekannt.
Und die damals getestete Bombe hatte eine 130-mal größere Sprengkraft als die von Hiroshima. Doch Frankreich wollte im Kalten Krieg seine nukleare Abschreckungskraft unter Beweis stellen und nutzte seine Inseln im Südpazifik zu dieser Machtdemonstration. „Das ist ein wunderbarer Erfolg für die Unabhängigkeit und Sicherheit Frankreichs“, freute sich Präsident Charles de Gaulle, auf den die Atomtests zurückgehen.
Der frühere Soldat Bernard Reinold gehörte damals zu jenen, die im Dienste der Armee an den Tests beteiligt waren. Er musste als Taucher nach den Explosionen unter Wasser Proben nehmen. Auf die Frage, ob die Behörden ihn vor den Gefahren gewarnt hätten, antwortete er im Fernsehsender France 24: „Niemals.“Der Rentner leidet an Nierenkrebs, wurde aber nie als Opfer der Atomtests anerkannt.
Erst seit 2010 gibt es ein Komitee, das entscheidet, ob Gesundheitsschäden durch die Zündungen vorliegen. Von mehr als tausend Anträgen wurde allerdings nur ein Drittel bisher akzeptiert. Dabei sind in Polynesien
schätzungsweise 110 000 der rund 280 000 Einwohner von den Folgen der Tests betroffen, vor denen sie nicht gewarnt worden waren. „In den polynesischen Familien hat jeder einen Onkel, einen Großvater, jemanden, der an den Atomtests gestorben ist“, berichtete der Abgeordnete Moetai Brotherson in der Nationalversammlung. 2018 zeigte eine Studie des Kinderarztes am Universitätskrankenhaus von FranzösischPolynesien, Christian Sueur, dass ein Viertel der von ihm untersuchten Kinder Fehlbildungen oder Entwicklungsverzögerungen aufwies. Sie hatten alle Großeltern, die auf dem Atomtestgelände arbeiteten.
Die Opfer der Tests fordern deshalb nicht nur eine Entschuldigung des Präsidenten, sondern auch eine schnelle Entschädigung. Die Versprechen von Macron, die Zahlungen voranzubringen, stellen sie nicht zufrieden. Vor allem, weil schon Macrons Vorgänger François Hollande bei einem Besuch 2016 Ähnliches versprochen hatte. „Es gibt keinen Fortschritt in seiner Rede. Nur Demagogie“, kritisierte der Vorsitzende der Opfervereinigung 193, Auguste Uebe-Carlson, im polynesischen Fernsehen Macrons Ansprache. Einige der Opfer verklagten den französischen Staat bereits vor dem internationalen Strafgerichtshof. Andere könnten sich dem Schritt nun anschließen.