Aalener Nachrichten

Ein Büro, viele Berufe

Co-Working Spaces bieten Raum zum gemeinsame­n Arbeiten - Auf dem Land ist der Trend auf dem Vormarsch

- Von Anke Kumbier

Dennis Wiemers lebt mit seiner Familie in Tettnang, sein Arbeitgebe­r sitzt in Göppingen, 160 Kilometer entfernt. Zu seinem Büro fährt er trotzdem nur eine halbe Stunde mit dem Rad. Denn der Softwareen­twickler hat sich in Langenarge­n am Bodensee einen Schreibtis­ch gemietet – in einem Co-Working Space. Frei übersetzt handelt es sich dabei um einen Raum zum gemeinsame­n Arbeiten.

Das Beispiel von Wiemers ist nur eines von vielen. Es unterstrei­cht den Wandel, den die Arbeitswel­t seit einigen Jahren durchläuft. Der Wohnort ist nicht länger zwangsläuf­ig an den Arbeitsort gekoppelt. Immer seltener bleiben Menschen ihr Berufslebe­n lang bei einem Unternehme­n, die Zahl der Selbständi­gen wächst seit den 1990er-Jahren kontinuier­lich und immer mehr Arbeitgebe­r erlauben inzwischen mobiles Arbeiten oder sehen es sogar vor. Diese Entwicklun­gen eröffnen neue Möglichkei­ten, aber generieren auch neue Bedürfniss­e und Notwendigk­eiten.

Co-Working Spaces sind Teil dieser Entwicklun­g. Laut Bundesverb­and Coworking Spaces hat sich ihre Anzahl in ganz Deutschlan­d von 2018 auf 2020 vervierfac­ht - von 300 auf 1268. Sie sollen Menschen dort, wo sie es brauchen, ein Arbeitsumf­eld mit entspreche­nder Infrastruk­tur bieten.

Das Büro von Dennis Wiemers liegt im zweiten Stock eines ehemaligen Fabrikgebä­udes, das zu einem Gewerbezen­trum umgewandel­t wurde. Der Raum ist schlicht und funktional eingericht­et: Schreibtis­che aus hellem Holz, Bildschirm­e, schwarze Bürostühle und weiße Regale. Dass dort einmal Co-Worker sitzen würden, war nicht von Anfang an geplant. Denn eigentlich handelt es sich um die Räume von Ralph Kabots Kommunikat­ionsagentu­r „Zeitgeiste­r“, die er sich mit einem Partner zusammen gemietet hat. Doch Kabots Bürogemein­schaft reizt die rund 200 Quadratmet­er Fläche nicht komplett aus. So entstand die Idee, Co-Worker mit ins Boot zu holen – die außer den Arbeitsplä­tzen auch Küche und Besprechun­gsecke nutzen dürfen.

Wer für eine Woche oder einen Tag einen Ort zum Arbeiten sucht, wird bei Ralph Kabot ebenfalls fündig. Zwei solcher Plätze hat er im Angebot, buchbar über seine Homepage. Wiemers Büro hingegen ist für Langzeitnu­tzer vorgesehen, er teilt es mit drei anderen Co-Workern – einem Selbständi­gen und zwei Angestellt­en. Mit den verschiede­nen Nutzungsop­tionen erfüllt Kabot, dessen

Space mit insgesamt sechs Plätzen zu den kleineren zählt, ein zentrales Charakteri­stikum von Co-Working: Denn: „Ein flexibles Mietmodell gehört unbedingt dazu“, sagt Viktoria Heinzel. Sie ist Doktorandi­n an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart und forscht im Bereich Creative Industries and Media Society zu neuen Arbeitsfor­men. „CoWorking ist da ganz präsent“, sagt sie.

Die Nutzungsva­rianten sollen die Bedürfniss­e verschiede­ner Gruppen abdecken, merkt Kim Schneider an. Sie betreut für das Unternehme­n Prisma, mit Hauptsitz im österreich­ischen Dornbirn, Coworking Spaces in Friedrichs­hafen und Ravensburg, mit insgesamt über 50 Arbeitsplä­tzen. Diese Orte wollen, so beschreibt es Schneider, jungen Unternehme­rn, Existenzgr­ündern aber auch Freelancer­n und Studierend­en, die Voraussetz­ung bieten, ihre Arbeit zu erfüllen – „egal ob während einer Geschäftsr­eise, als Alternativ­e zum Homeoffice oder als Student, wenn die Bibliothek mal wieder zu voll wird.“

Das Konzept „Co-Working“beschränkt sich also längst nicht mehr nur auf Großstädte, wo digitale Nomaden aus der Kreativbra­nche an einem Tag in Berlin und am nächsten Tag in Hamburg arbeiten. Seit 2014 fasst es im ländlichen Raum Fuß, berichtet Viktoria Heinzel. Für sie liegt darin ein großes Potenzial. Denn CoWorking Spaces könnten auf dem Land Leerstände füllen, Menschen am Wegziehen hindern und den Pendlerver­kehr einschränk­en. Sie zeigt sich überzeugt, dass das Konzept Zukunft hat. „Durch die aktuelle Krisenlage hat es sogar noch einen Schub bekommen“, stellt sie mit Blick auf die Corona-Pandemie fest. Auch eine Sprecherin der Genossensc­haft Coworkland, die bundesweit die Gründung von Co-Working Spaces auf dem Land unterstütz­en will, stellt fest: „Der Trend ist ungebroche­n und wird eher noch intensiver.“

Der Anteil von Co-Working Spaces auf dem Land an der Gesamtzahl ist gegenwärti­g allerdings noch gering. Eine Studie der Bertelsman­nStiftung und von Coworkland vom vergangene­n Jahr zu „Coworking im ländlichen Raum“hat bundesweit 142 ländliche Co-Working Spaces ermittelt - unter dem Vorbehalt, dass sich die Zahlen gerade schnell ändern.

Die Studie zeigt, dass die Mischung von Co-Workern auf dem Land bunter ist als in der Großstadt. Im ländlichen Raum arbeiten Softwareen­twickler

neben Pädagogen und Manager neben Handwerker­n. Nicht nur Selbständi­ge nutzen solche Angebote, sondern vermehrt auch Angestellt­e. Vielen geht es demnach vor allem darum, den Weg zur Arbeit zu verkürzen, nahe bei der Familie zu sein, aber trotzdem Beruf und Privatlebe­n zu trennen. Dieser Wunsch treibt auch den 37-jährigen Dennis Wiemers an. Er zog im Juni 2019 in den Co-Working Space in Langenarge­n ein, nachdem er erst nach Göppingen pendelte und später von zuhause aus arbeitete. Doch seit seine beiden Töchter auf der Welt sind, sei es dort immer turbulente­r geworden. Außerdem habe er die Arbeitsatm­osphäre eines Büros vermisst.

Co-Working Spaces sollen genau das bieten und können nebenbei ganz verschiede­ne Menschen miteinande­r vernetzen. Dennis Wiemers berichtet von Projektman­agern, Technische­n Zeichnern oder dem Finanzvors­tand eines Dax-Unternehme­ns, die er an seinem Arbeitspla­tz bereits getroffen hat. „Das macht es super interessan­t“, sagt er. Einziges Manko: Der fehlende persönlich­e Kontakt zu den eigenen Kollegen. Wiemers erklärt aber, dass er sowieso meist alleine arbeite und für gemeinsame Projekte dann eben doch ab und zu nach Göppingen fahre. Die Entscheidu­ng, in den Co-Working Space zu gehen, bereut er nicht: „Hier kann ich in Ruhe arbeiten und komme mit Gleichgesi­nnten zusammen.“Auch sein Vermieter Ralph Kabot zeigt sich mit dem Konzept zufrieden. Er schätze die nette Atmosphäre und die Querfinanz­ierung. Für ihn sei es aber wichtig, dass die vier Langzeitpl­ätze belegt sind, sonst lohne sich der Organisati­onsaufwand nicht. Denn die temporären Plätze seien eher im Sommer gefragt. Dann könne es schon mal vorkommen, dass ein Gast vom nahe gelegenen Campingpla­tz bei ihm einen Platz bucht.

Für einen Tag verlangt Kabot 30 Euro und sagt, dass sich seine Preise im oberen Mittel bewegen. Der Monat kostet bei ihm 240 Euro netto. Softwarent­wickler Wiemers teilt sich diesen Betrag mit seinem Arbeitgebe­r. Das muss aber nicht immer so geregelt sein. Die Sprecherin von Coworkland geht davon aus, dass Angestellt­e keinen Anspruch auf Co-Working und die Kostenüber­nahme durch den Arbeitgebe­r haben. Dabei sieht sie auch Gründe für Unternehme­n ihren Beschäftig­en Co-Working zu ermögliche­n: Gerade im Wettbewerb um begehrte Fachkräfte könnten sie mit diesem Angebot zusätzlich punkten.

 ?? FOTO: ANKE KUMBIER ?? Dennis Wiemers (links) und Ralph Kabot (Mitte) arbeiten bereits zwei Jahren in Kabots Co-Working Space in Langenarge­n zusammen. Tom Lacey (rechts) hat seinen Platz nur temporär gebucht. Er kommt aus Köln und verbringt ein paar Tage am Bodensee.
FOTO: ANKE KUMBIER Dennis Wiemers (links) und Ralph Kabot (Mitte) arbeiten bereits zwei Jahren in Kabots Co-Working Space in Langenarge­n zusammen. Tom Lacey (rechts) hat seinen Platz nur temporär gebucht. Er kommt aus Köln und verbringt ein paar Tage am Bodensee.

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