Aalener Nachrichten

Eine Raumstatio­n vor der Rente

Russland, die USA und die Zukunft der ISS – 2024 soll die Zusammenar­beit enden

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Von Christina Horsten, Wolfgang Jung und Christian Thiele

(dpa) Wenn der deutsche Astronaut Matthias Maurer im Herbst zur Internatio­nalen Raumstatio­n fliegt, dann ist die Zukunft der ISS ungewisser denn je. Russland hat zuletzt wenig Interesse gezeigt an einem Weiterbetr­ieb. Moskau will eine eigene Station ins All schicken. Wann? Das ist noch unklar. Andere Länder sollen dort allenfalls noch zu Gast sein, aber nicht mitreden dürfen. Die ISS ist längst zum Spielball in den von vielen Konflikten belasteten amerikanis­ch-russischen Beziehunge­n geworden.

Wie angespannt die Zusammenar­beit mittlerwei­le ist, zeigen die Drohungen des Chefs der russischen Raumfahrtb­ehörde Roskosmos. „Entweder arbeiten wir zusammen – und dann müssen die Sanktionen sofort zurückgeno­mmen werden“, sagte Dmitri Rogosin kürzlich. Oder wenn nicht, dann sei Washington dafür verantwort­lich, dass Moskau aus der Kooperatio­n aussteige. Lange galt die Raumfahrt als eines der wenigen Beispiele, wo es noch gut läuft zwischen Moskau und Washington.

Der neue Chef der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa, Bill Nelson, versucht zu besänftige­n. Er habe schon mehrere „sehr freundlich­e“Gespräche mit Rogosin gehabt, sagte Nelson jüngst in einem Interview. „Ich möchte, dass die Russen unsere Partner bleiben. Sie sind ein sehr wichtiger Partner bei der ISS.“

Aber Russland ärgert sich schon lange über US-Strafmaßna­hmen, von denen sich russische Raumfahrtu­nternehmen auf den internatio­nalen Märkten ausgebrems­t sehen. Dabei geht es um lukrative Aufträge, um die sich die Russen gebracht sehen. Die USA hatten Strafmaßna­hmen im Zusammenha­ng mit dem Konflikt in der Ostukraine verhängt. Auch Rogosin selbst wurde auf die US-Sanktionsl­iste gesetzt. Die Nasa hatte vor zwei Jahren eine Einladung an Rogosin für einen Besuch nach Texas auf politische­n Druck hin zurückgezo­gen.

Immerhin bleiben die Chefs der beiden großen Raumfahrtb­ehörden im Gespräch. Und es solle auch Fortschrit­te bei den Verhandlun­gen über Lieferunge­n russischer Raketenant­riebswerke an die USA geben, hieß es zuletzt. Erst vor Kurzem hat Russland ein neues Forschungs­modul mit dem Namen „Nauka“(Wissenscha­ft) zur ISS geschickt. Es sollte eigentlich schon seit Jahren im All arbeiten. Dass es nun doch vom russischen Weltraumba­hnhof Baikonur abgehoben ist, deuten einige Beobachter als Zeichen, dass Russland an der ISS festhalten könnte.

In Moskau ist die ISS zuletzt oft als anfällig und altersmüde abgestempe­lt worden. Seit Monaten werden im russischen Sektor undichte Stellen untersucht. Experten glauben, dass kleine Teile im All gegen die Außenhülle geprallt sind und deshalb die Lecks entstanden sind.

Ein Grundstein für den Außenposte­n der Menschheit in 400 Kilometer Höhe wurde am 20. November 1998 gelegt, als eine russische

Proton-Rakete das erste Bauteil ins All brachte. Bis 2024 haben die internatio­nalen Partner ihre Zusammenar­beit verabredet. Roskosmos teilt nun der Deutschen Presse-Agentur mit: Eine Entscheidu­ng über die Zukunft werde nach 2024 getroffen auf der Grundlage des technische­n Zustands der einzelnen Module, die „schon größtentei­ls das Ende ihrer Lebensdaue­r erreicht haben“. „Wenn wir die Entscheidu­ng getroffen haben, dann werden wir mit unseren Partnern Verhandlun­gen über die Bedingunge­n und Formen der Zusammenar­beit nach 2024 aufnehmen.“Neben den USA, Russland,

Kanada und Japan sind die Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa an der ISS beteiligt.

Manche sehen eine Kommerzial­isierung als Zukunftspe­rspektive für die ISS – nach dem Motto: vermieten statt versenken. So soll es schon bald zwei Missionen mit Weltraumto­uristen geben. Für Dezember ist ein Sojus-Flug mit zwei japanische­n Besuchern zur Station geplant. Und im Januar sollen drei Gäste aus den USA, Israel und Kanada mit einem „Crew Dragon“der privaten Firma SpaceX zur ISS starten. Bereits im Oktober will eine russische Filmcrew ins All fliegen und in den Modulen drehen. Das US-Unternehme­n Axiom Space, das an einer eigenen All-Station baut, will Teile davon zunächst an der ISS andocken.

Für andere verstellt das zähe Ringen um die Zukunft des Labors die Frage nach den nächsten Zielen der bemannten Raumfahrt. Soll der Mensch erstmals seit 1972 wieder auf den Mond? Oder auf den Mars? Lassen sich die Kräfte der Raumfahrtm­ächte USA, China und Russland sowie von Esa, Japan und Kanada bündeln? 20 Jahre nach dem kontrollie­rten Absturz der Station „Mir“in den Pazifik binde die ISS wichtige Ressourcen, meinen Kritiker. Es fehle eine Vision, wie es weitergehe.

Auch die neue US-Regierung unter dem demokratis­chen Präsidente­n Joe Biden hat in dieser Hinsicht noch keine genaue Vision durchschei­nen lassen. Von Vorgänger Donald Trump wurde die Vorgabe geerbt, bis 2024 wieder zum Mond und dann zum Mars zu fliegen und am Mond auch eine eigene fliegende Basis aufzubauen. Das wurde erst mal – wenn auch mit flexiblere­m Zeitplan – übernommen und würde in den kommenden Jahren viele finanziell­e Mittel binden.

Nasa und auch der kommerziel­le Partner Boeing betonen allerdings anders als Russland, dass die ISS zumindest vom Material her theoretisc­h noch bis mindestens 2028, aber auch über 2030 hinaus einsatzfäh­ig sei. „Meiner Meinung nach wäre es eine Tragödie, wenn wir nach all dieser Zeit und all diesen Anstrengun­gen die niedrige Umlaufbahn der Erde verlassen und das Territoriu­m aufgeben würden“, gab Jim Bridenstin­e, vor Nelson Chef der Nasa, seinem Nachfolger mit auf den Weg. „Wir werden die ISS nicht mit einer neuen 100-Milliarden-Dollar-Station ersetzen. Der Übergang muss kommerziel­le Stationen bedeuten. Nicht nur eine, sondern mehrere.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Die Internatio­nale Raumstatio­n ISS fliegt einer ungewissen Zuknuft entgegen. Sie ist längst zum Spielball in den von vielen Konflikten belasteten amerikanis­chrussisch­en Beziehunge­n geworden.

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