Aalener Nachrichten

Der Bottich wird nicht mehr öffnen

Corona-Pandemie besiegelt das Ende der ältesten Disco in Aalen.

- Von Verena Schiegl

- Die Tage des Bottich sind gezählt. Die älteste Disco in Aalen hat die Corona-Pandemie nicht überlebt und wird nach fast eineinhalb Jahren Lockdown nicht mehr aufmachen. Was mit dem über 100 Jahre alten Gebäude, in dem auch der Nachtclub White Horse untergebra­cht war, passiert, ist offen. Eine Sanierung sei wenig sinnvoll, sagt Rainer Holz, Verwalter der Immobilien der ehemaligen Aalener Grünbaum-Brauerei, zu denen neben der Wilhelmshö­he und der Bierhalle auch der Bottich gehört. Einen Abriss müsse allerdings der Eigentümer Christian Schmid ebenso in die Wege leiten wie einen Verkauf des rund 2400 Quadratmet­er großen Grundstück­s, der bereits seit einiger Zeit im Raum steht.

53 Jahre ist es her, dass der Bottich im Tanzsaal der ehemaligen Gaststätte Rössle in Unterromba­ch seine Pforten öffnete. Bei der Einweihung, die in einem Zeitungsar­tikel vom 13. September 1968 mit der Schlagzeil­e „Das originells­te Lokal im Kreis“befeuert wurde, spielte kein Geringerer als Manfred Schiegl, der zu den musikalisc­hen Aushängesc­hildern Aalens gehört und sich als Grandseign­eur des Jazz und Swing sowie der Schlager- und Tanzmusik in den vergangene­n Jahrzehnte­n weit über die Region hinaus einen Namen machte. Der heute 82-Jährige war es auch, der mit seinem ManfredSch­iegl-Quartett vor drei Jahren die Veranstalt­ungsreihe zu „50 Jahre Bottich“mit einem Konzert in der Kultdisco einläutete. Die Nachricht, dass der Bottich für immer seine Pforten schließt, hat ihn getroffen. Für ihn geht damit ein wichtiges Stück Aalener Geschichte für immer unwiederbr­inglich verloren: „Und das stimmt mich traurig.“

Viele Erinnerung­en verbindet der 82-Jährige mit der legendären Location im Westen der Stadt, die die Schließung vieler Discotheke­n wie dem Skylight, der Tenne, dem Pub, dem Safe oder dem Hollywood (heute Club del Mar) überlebt hat. „Das Besondere am Bottich war, dass hier über all die Jahrzehnte hinweg Wert auf handgemach­te Musik gelegt worden ist“, sagt Manfred Schiegl. Denn von Musik aus der Konserve hält der Schlagzeug-Virtuose und ehemalige Kammermusi­ker bei den Stuttgarte­r Philharmon­ikern nicht viel. „Das Lokal für Teens, Twens und Ältere kam von Anfang an gut an“, erinnert er sich. Legendär seien in der Anfangszei­t die Tanzcafés am Sonntagnac­hmittag gewesen, zu der die Aalener in Massen geströmt seien. Überdies seien etliche hochkaräti­ge Musiker verpflicht­et worden. Schiegl denkt etwa an die Musiker von Erwin Lehn, an Günther Leimstoll oder an Peter Witte. Aber auch Schlager-Stars wie Howard Carpendale, Rex Gildo oder Peter Maffay waren im Bottich zu Gast.

Kult seien auch die legendäre Super-8-Schlagerpa­rade Ende der 70er Jahre und später Veranstalt­ungen wie die Tenne-Nacht, die Pub-Nacht, der Ü40-Beat-Club oder die Jazz-Jam-Sessions mit hochkaräti­gen Protagonis­ten gewesen, bei denen der Laden voll gewesen sei. Gelebt habe der Bottich auch von Stammgäste­n, die ihm über die Jahre die Treue gehalten haben und die das Ende der Disco sicherlich ebenso schmerzt wie ihn und die 20 Mitarbeite­r.

Eine Freundscha­ft verbindet den 82-Jährigen seit Jahrzehnte­n auch mit Wolfgang Fausel. 1978 hat dieser als Geschäftsf­ührer die Nachfolge von

Klaus Lehmann, Heinz Mohring und Walter Pawlita angetreten. Seit 1989 ist er Pächter des Bottich, den er mit viel Herzblut geführt hat. Als bekannter Ringer beim KSV Aalen war der heute 66-Jährige auch ein Anziehungs­punkt für zahlreiche Sportler aus der Region. Fausel hat auch den Nerv jeder Generation getroffen und Ereignisse in Aalen aufgegriff­en. Ein Plakat mit Elton John, dem 2007 der Auftritt im Waldstadio­n (heute OstalbAren­a) verwehrt wurde, weil der Rasen laut VfR Aalen Ruhe brauche, hängt noch heute im Bottich. „Um auf diesen Super-Gau aufmerksam zu machen, haben wir damals den gesamten Bottich mit Rollrasen ausgelegt und eine Party veranstalt­et“, sagt Peter Fausel, der Bruder des Pächters, der über all die Jahre im Bottich „Mädchen für alles“war und sich um das Marketing gekümmert hat.

Gemeinsam mit den Fausel-Brüdern begab sich Manfred Schiegl jetzt bei einem Vor-Ort-Termin auf eine Zeitreise durch die Vergangenh­eit und nahm gleichzeit­ig Abschied von dem Urgestein im Westen, das zu den ältesten Discotheke­n in Deutschlan­d zählt und in dem Generation­en von Nachtschwä­rmern über die Jahrzehnte

ein- und ausgegange­n sind. Der Blick auf die seit fast eineinhalb Jahren verwaiste Tanzfläche, auf der vor Corona noch Hunderte Aalener und Gäste von außerhalb unter anderem zu der Musik des legendären Bottich-Franz in Person von DJ Franz Rieger abgetanzt haben, macht traurig. Traurig stimmen auch die aufgestuhl­ten Barhocker und das verwaiste DJ-Pult. Auf den Tischen liegen noch Reste der letzten Faschingsp­arty in Form von Luftschlan­gen. „Damals war die Welt noch in Ordnung“, sagt Wolfgang Fausel.

Mit viel Wehmut geht auch Manfred Schiegl durch den Bottich. Gerne hätte er nochmals seine Schlagzeug­stöcke in die Hand genommen und ein Abschlussk­onzert zum Ende der ältesten Disco in Aalen gegeben. Ein gebührende­r Abschied ist wegen Corona und den vorgegeben­en Regeln allerdings nicht möglich.

Die Pandemie hat auch Wolfgang Fausel dazu bewegt, die Reißleine zu ziehen. Immer von Inzidenzza­hlen abhängig zu sein, die einem vorschreib­en, wann man öffnen darf, sei keine Perspektiv­e. Überdies würde sich der Betrieb unter den geltenden Corona-Vorschrift­en mit einer begrenzten Anzahl an Besuchern pro Quadratmet­er und Abstands- und Hygienevor­schriften nicht mehr lohnen. Unabhängig davon sei nach wie vor unklar, ob das Grundstück, auf dem der Bottich steht, veräußert wird. Spätestens dann wäre das Ende der Disco besiegelt. Ein Verkauf steht seit längerer Zeit im Raum. Spruchreif sei laut Rainer Holz allerdings noch nichts. Letzten Endes entscheide der Eigentümer Christian Schmid darüber, was mit dem Filetstück passiert. Ob nach einer Veräußerun­g hier Wohnungen entstehen oder das Areal für eine Optimierun­g der Verkehrssi­tuation in der Hofherrnst­raße genutzt wird, habe dieser nicht in der Hand, sagt Holz.

In den kommenden Monaten wird Wolfgang Fausel den Bottich leer räumen. Das Inventar werde größtentei­ls entsorgt. Unikate wie das Betriebsun­d Schankbuch aus dem Jahr 1968 werde er allerdings ebenso behalten wie viele kleine Details, die mittlerwei­le Sammlerwer­t haben. Diese würden ihn auch immer an die schöne Zeit im Bottich erinnern, die jetzt leider vorbei ist. Veranstalt­ungen wie der Ü40-BeatClub oder die Jazz-Jam-Sessions sollen trotz Ende der Disco weitergefü­hrt werden. Wo, sei noch unklar.

„Mit dem Ende des Bottich geht ein Stück Aalener Geschichte verloren“, sagt Manfred Schiegl.

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FOTO: GREIFENEDE­R
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FOTO: GREIFENEDE­R Eine Ära geht zu Ende. Corona besiegelt das Ende des Bottich. Nach 53 Jahren wird die Disco nicht mehr ihre Pforten öffnen.
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FOTO: GREIFENEDE­R Wolfgang Fausel (links) und Peter Fausel (rechts) bedauern das Ende des Urgesteins. Gerne hätte Manfred Schiegl (Mitte) noch ein Abschiedsk­onzert im Bottich gegeben. Doch das ist wegen Corona nicht möglich.
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ARCHIVFOTO: PRIVAT Die zu Sitzplätze­n umfunktion­ierten Gärbottich­e, die dem Bottich seinen Namen gaben, waren Kult. Ebenso wie die aus alten Bierfässer­n gefertigte­n Barhocker, von denen aus die Männer nach schönen Frauen Ausschau hielten.
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ARCHIVFOTO: PRIVAT So mancher hat in all den 53 Jahren im Bottich seine Liebe gefunden, die er auch geheiratet hat.
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ARCHIVFOTO: PRIVAT Das „Rössle“war ein beliebtes Ausflugszi­el. 1968 öffnete der Bottich hier im Tanzsaal seine Pforten.
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ARCHIVFOTO:PRIVAT Manfred Schiegl hat den Bottich 1968 musikalisc­h eröffnet. Das Ende schmerzt den heute 82-Jährigen.

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