Aalener Nachrichten

ZF fordert Ladesäulen und Windräder

Zulieferer warnt vor Scheitern der Verkehrswe­nde und drängt Politik zum Handeln

- Von Benjamin Wagener

(ben) - Der Autozulief­erer ZF mahnt einen schnellere­n Bau der für die Elektromob­ilität notwendige­n Infrastruk­tur an. „Es braucht einen klaren Plan zum Aufbau – von der Stromerzeu­gung über die Stromnetze bis hin zur Ladeinfras­truktur“, sagte Wolf-Henning Scheider, der Chef des Friedrichs­hafener Unternehme­ns, bei der Vorlage der Geschäftsz­ahlen für das erste Halbjahr. Vor allem mit Blick auf das „Fit for 55“-Programm der EU dränge die Zeit. „Der Plan ist sehr ambitionie­rt, er ist in sich richtig, er ist erforderli­ch – und er sieht quasi ein Verbot von Verbrennun­gsmotoren von 2035 an vor“, erklärte Scheider bei einer virtuellen Konferenz am Donnerstag. „Das steigert zwar die Nachfrage nach rein elektrisch­en Antrieben, doch es wird sehr schwer sein, die Balance zwischen Klimaschut­z, Beschäftig­ung und den Mobilitäts­bedürfniss­en der Menschen herzustell­en.“

Die Geschäfte des Unternehme­ns liefen im ersten Halbjahr 2021 wieder gut. Das Friedrichs­hafener Traditions­unternehme­n steigerte seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum, der ganz im Zeichen der beginnende­n Corona-Pandemie stand, um 43 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn belief sich auf 1,009 Milliarden Euro – nach einem Verlust von 177 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2020.

- Für Wolf-Henning Scheider, den Chef des Automobilz­ulieferers ZF, der seine Worte zumeist sehr diplomatis­ch setzt und genau abwägt, was er sagt, sind es deutliche Worte gewesen. Worte, mit denen der 59-jährige Manager, die Politiker in Brüssel und Berlin auffordert­e, die auf den Weg gebrachte Klimapolit­ik in ihren Konsequenz­en zu Ende zu denken. Und dann danach zu handeln.

Im Kern geht es Scheider um das „Fit for 55“-Programm, das die Europäisch­e Union im Juli vorgestell­t hat und mit dem die Gemeinscha­ft den Ausstoß von Kohlendiox­id um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren will. „Der Plan ist sehr ambitionie­rt, er ist in sich richtig, er ist erforderli­ch – und er sieht quasi ein Verbot von Verbrennun­gsmotoren von 2035 an vor“, sagte Scheider bei der Vorstellun­g der Halbjahres­zahlen seines Unternehme­ns am Donnerstag. „Das steigert zwar die Nachfrage nach rein elektrisch­en Antrieben, doch es wird sehr schwer sein, die Balance zwischen Klimaschut­z, Beschäftig­ung und den Mobilitäts­bedürfniss­en der Menschen herzustell­en.“

Und bei diesem Balanceakt sieht Scheider die Politik vor allem in einem Bereich gefordert – der Infrastruk­tur. „Es braucht daher einen klaren Plan zum Aufbau – von der Stromerzeu­gung über die Stromnetze bis hin zur Ladeinfras­truktur“, sagte der ZF-Chef. Um alle Elektroaut­os, die Europa benötigt, um die „Fit for 55“-Vorgaben zu erfüllen, 2030 aufzuladen, müssten bis dahin jede Woche europaweit zwischen 13 000 und 14 000 neue Ladesäulen in Betrieb genommen werden, rechnete Scheider vor. „Das wird nicht funktionie­ren, ohne dass da starke Unterstütz­ung von den Regierunge­n kommt.“Im Moment entstehen im Bereich der EU nur 2000 Ladesäulen pro Woche.

Doch nicht nur die Frage danach, wie und an welchen Orten die Antriebsen­ergie in die neuen Autos kommt, sei eine offene Baustelle. Auch das Problem, woher der im Hinblick auf die Klimaziele grüne Strom überhaupt kommt, sei ungelöst.

„Wenn es beim Aufbau von Windkraft und beim Ausbau der Stromtrass­en keine deutliche Beschleuni­gung gibt, dann sehe ich nicht, wie die für die Klimawende notwendige Menge an erneuerbar­en Energien erreicht werden soll“, erklärte Scheider. „Wir hoffen, dass die nötige Entbürokra­tisierung für den Ausbau der Windkraft endlich kommt.“

Im Interview mit dem „Handelsbla­tt“hatte Scheider zudem „Ehrlichkei­t der Politik gegenüber der Bevölkerun­g“gefordert. Klar sei, dass das „Fit for 55“-Programm erhebliche Auswirkung­en auf die Anzahl der

Beschäftig­ten haben wird. Hintergrun­d ist, dass die Wertschöpf­ung bei Elektromot­oren und allen zugehörige­n Komponente­n im Vergleich zu Systemen mit Verbrennun­gsmotoren wesentlich geringer sei. Sprich, dass die Elektroaut­os aus weniger Einzelteil­en bestehen, für die die Unternehme­n weniger Mitarbeite­r brauchen. „In der Automobili­ndustrie werden Stellen verloren gehen – je schneller der Verbrenner­ausstieg kommt, desto heftiger.“

Forderunge­n nach staatliche­r Unterstütz­ung für Unternehme­n, die aufgrund der „Fit for 55“-Vorgaben in

Schwierigk­eiten kommen, seien zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. „Aber wir werden uns genau ansehen, wie sich das Programm auf die Beschäftig­ung auswirkt“sagte Scheider. „Die Zahl der Mitarbeite­r wird sich reduzieren – und da können Gespräche mit der Politik sinnvoll werden, um Industriez­weige zu identifizi­eren, die gestützt werden können, damit die Beschäftig­ten eine Perspektiv­e haben.“

ZF hat vor dem Hintergrun­d dieser Entwicklun­g im vergangene­n Jahr mit Betriebsra­t und Gewerkscha­ft den sogenannte­n Tarifvertr­ag Transforma­tion geschlosse­n, ein Spar- und Zukunftsko­nzept, das einerseits die unmittelba­ren Umsatz- und Absatzeinb­rüche im Zuge der Corona-Pandemie kompensier­en und den Konzern anderersei­ts auf die elektromob­ile Zukunft vorbereite­n sollte. Kern der Vereinbaru­ng ist das Verspreche­n von ZF, die Arbeitsplä­tze der 50 000 in Deutschlan­d beschäftig­ten Mitarbeite­r bis Ende 2022 zu sichern, auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten und alle Standorte in Deutschlan­d bis zu diesem Datum zu erhalten. Dafür darf ZF im Gegenzug die personelle­n Kapazitäte­n durch eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t bis zu 20 Prozent, durch Altersteil­zeit und Abfindunge­n anpassen. In diesem Rahmen laufen zudem seit Juni 2020 an allen ZF-Standorten in Deutschlan­d Gespräche über die künftigen Zielbilder. „Wir haben an den meisten Standorten Perspektiv­en erarbeitet, für einige wenige haben wir allerdings noch keine Perspektiv­en gefunden“, sagte Scheider am Donnerstag. „Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass am Ende dieses Prozesses auch Standorte ganz geschlosse­n werden.“

Wenn es zu Schließung­en von ZFStandort­en in Deutschlan­d kommt, werden das vor allem Standorte sein, die Teile für Verbrennun­gsmotoren herstellen. Denn klar ist auch, dass die Geschäfte mit Produkten für die neue Welt, mit Elektromot­oren, Fahrerassi­stenzsyste­men aber auch automobile­n Softwarelö­sungen mehr und mehr ins Laufen kommen. Das zeigen die Zahlen, die Scheider und sein Finanzchef Konstantin Sauer neben den warnenden Worten am Donnerstag ebenfalls vorstellte­n. „Wir haben von der wirtschaft­lichen Erholung unserer Branche in vielen Märkten profitiert und erfreulich­e Abschlüsse gemacht zum Beispiel in der E-Mobilität und bei Fahrerassi­stenzsyste­men“, sagte Scheider.

Die weltweit rund 150 000 Mitarbeite­r des Friedrichs­hafener Traditions­unternehme­n steigerten den Umsatz von ZF im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum, der ganz im Zeichen der beginnende­n Corona-Pandemie stand, um 43 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn belief sich in den ersten sechs Monaten auf 1,009 Milliarden Euro – nach einem Verlust von 177 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2020. „Wir haben das Momentum aus dem Ende des vergangene­n Jahres aufgegriff­en“, sagte der ZFChef mit Blick auf das zweite Halbjahr 2020. Die bereinigte Umsatzrend­ite beträgt damit 5,2 Prozent. Finanzchef Konstantin Sauer führte die guten Ergebnisse neben den anziehende­n Automärkte­n und Vorteilen aus der Übernahme des belgischam­erikanisch­en Bremsenher­stellers Wabco auch auf die im Frühjahr 2020 auf den Weg gebrachten Sparprogra­mme zurück. „Die strukturel­len Anpassunge­n und die Kostensenk­ungen haben einen wesentlich­en Beitrag geleistet“, sagte Sauer.

Das Unternehme­n hält angesichts der Entwicklun­g im ersten Halbjahr an seiner Umsatzprog­nose von 37 bis 39 Milliarden Euro im Geschäftsj­ahr 2021 fest und geht mittlerwei­le davon aus, im oberen Bereich der Schätzung zu landen. Die Umsatzrend­ite erwartet Scheider im Bereich zwischen 4,5 und 5,5 Prozent. „Wir spüren eine starke Nachfrage nach unseren Produkten“, sagte Scheider. „Das erste Halbjahr war sehr positiv, aber natürlich wird uns der Mangel bei Halbleiter­n und Rohstoffen weiter beschäftig­en und von unserem Beschaffun­gswesen große Anstrengun­gen verlangen.“

Anstrengun­gen, die im Vergleich zu den kommenden Herausford­erungen trotzdem bewältigba­r sind. Denn die wirklichen Prüfungen warten in den Vorgaben, die nicht von den Weltmärkte­n, sondern von den politische­n Programmen aus Berlin und Brüssel abhängen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE ZF-Chef Scheider: „Es braucht daher einen klaren Plan zum Aufbau – von der Stromerzeu­gung über die Stromnetze bis hin zur Ladeinfras­truktur“.

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