Sparkassen drohen mit Strafzinsen
Wie sich die Zinspolitik der EZB und steigende Inflationsraten zum gefährlichen Mix für Geldanleger entwickeln
(ank) - Sparkassenkunden müssen damit rechnen, künftig in größerem Umfang mit Strafzinsen auf ihre Geldeinlagen belastet zu werden. Das deutete Verbandspräsident Peter Schneider am Donnerstag in Stuttgart an. Weil die Institute einen immer größeren Teil ihrer Einlagen bei der EZB zu einem negativen Zins parken müssten, seien sie gezwungen, Verwahrentgelte auf hohe Einlagensummen von ihren Kunden zu erheben. Das gelte insbesondere für Neukunden.
- Der Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, Peter Schneider, bringt die aktuelle Lage mit einem Bonmot auf den Punkt: „Es gab Zeiten, da waren wir als Sparkassen scharf auf Einlagen“, sagte der Banker anlässlich der Halbjahreszahlen des Verbands am Donnerstag in Stuttgart. „Doch heute bist du froh über jeden, der mit seinem Geldkoffer an der Sparkasse vorbeiläuft.“
Das Problem: Die Kunden tun Schneider und den 50 SparkassenChefs im Südwesten diesen Gefallen nicht. Mehr noch. Sie überschwemmen die Institute geradezu mit Geld. Zum Stichtag 30. Juni 2021 erreichten die Kundeneinlagen bei den Sparkassen in Baden-Württemberg 162 Milliarden Euro. Das sind 7,5 Prozent oder 11,3 Milliarden Euro mehr als vor Jahresfrist. Der Löwenanteil davon kommt mit 122 Milliarden Euro von Privatkunden.
Da die Sparkassen das Geld nicht in gleichem Umfang als Darlehen ausreichen können (Kreditvolumen zum 30. Juni 2021: 146 Milliarden Euro), müssen sie – wie alle Banken in Deutschland auch – einen Teil ihrer überschüssigen Liquidität bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken. Seit September 2019 verlangt die Notenbank dafür einen Strafzins von 0,5 Prozent – ein Umstand, der das Ergebnis der Sparkassen immer stärker belastet.
Und da der Verbandschef davon ausgeht, dass es eine Zinswende „auf Jahre hinaus nicht geben wird“, seien die Kreditinstitute gezwungen, sogenannte „Verwahrentgelte auf hohe Einlagensummen zu erheben“. Dies gelte insbesondere für neue Kunden, erklärte Schneider.
Ein einheitliches Vorgehen gibt es bei den 50 Sparkassen im Südwesten gleichwohl nicht. Denn die Entscheidung darüber ob, und wenn ja, ab welcher Summe Strafzinsen erhoben werden, liegt im Ermessen des einzelnen Kreditinstituts. „Wir haben Sparkassen, die werden nach eigener Aussage keine Verwahrentgelte erheben“, sagte Schneider.
Doch immer mehr Institute reichen den von der EZB erhobenen Einlagensatz an ihre Kundschaft durch. Bei Neukunden nannte Schneider eine Schwelle von 100 000 Euro, ab der Strafzinsen berechnet würden. Bei Bestandskunden sei es Verhandlungssache. Man suche das Gespräch. Perspektivisch würden die Schwellenwerte aber sinken, gab der Verbandspräsident zu Protokoll. Aktuell berechnet beispielsweise die Sparkasse Bodensee Neukunden Strafzinsen von 0,5 Prozent ab einer Anlagesumme von 50 000 Euro. Die Kreissparkasse Ravensburg macht keinen Unterschied zwischen Neuund Bestandskunden und erhebt Verwahrentgelte in gleicher Größenordnung bei Einlagen ab 100 000 Euro. Die Kreissparkasse Biberach verzichtet bislang auf Strafzinsen für Privatkunden.
Schneider machte keinen Hehl daraus, dass ihm diese Praxis missfällt. „Negativzinsen widersprechen unserem öffentlichen Auftrag und unserer Grundüberzeugung, denn wir sind Sparkassen und keine Entreicherungskassen“, sagte der Verbandschef. Deshalb hätten die Institute auch ihre Schwierigkeiten damit, den Kunden beizubringen, dass sie für ihr Geld auf dem Konto auch noch zahlen müssten.
Er forderte die Europäische Zentralbank auf, Kreditinstitute erheblich stärker von den schädlichen Auswirkungen des Negativzinses zu entlasten. Eine Möglichkeite sei, die Schwelle, bis zu der bei der EZB geparkte Gelder vom Einlagensatz freigestellt sind, anzuheben. Aktuell liegt diese Schwelle beim Sechsfachen der Mindestreserve eines Kreditinstituts. Diese Pflichtguthaben, die Banken und Sparkassen bei der Zentralbank unterhalten müssen, entsprechen rund einem Prozent ihrer Einlagen. In anderen Währungsräumen, zum Beispiel in der Schweiz, sei das Dreißigfache der Mindestreserve freigestellt.
Das Problem für Sparer wird angesichts einer anziehenden Teuerung sogar noch verschärft. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Donnerstag ist die Inflationsrate im Juli in Deutschland mit 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gesprungen – und sie dürfte in den nächsten Monaten nach Ansicht von Ökonomen weiter anziehen. Mit sicheren Anlagen, so Schneider, verliere man im aktuellen Marktumfeld daher durch die Bank weg Geld.
Die vielfach propagierte Alternative des Wertpapiersparens ist dem Sparkassenpräsidenten zufolge aber auch keine Lösung für das Gros der Sparer. „Viele Kunden haben ihre Probleme mit Wertpapieren. Sie wollen Sicherheit bei der Geldanlage und keine Kursschwankungen“, berichtet Schneider. Zwar würden die Wertpapierumsätze bei den Sparkassen im Südwesten steigen – im ersten Halbjahr 2021 um elf Prozent auf 13,7 Milliarden Euro gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Doch habe nur jeder sechste Sparkassenkunde in BadenWürttemberg überhaupt ein Depot – mit größtenteils überschaubaren Vermögen.
Die Folgen des jüngsten Gebührenurteils des Bundesgerichtshof (BGH) halten sich für die Sparkassen im Südwesten nach Einschätzung ihres Verbandschefs zum jetzigen Zeitpunkt in Grenzen. Dies sei kein großes Ergebnisthema, sagte Schneider. Wenn man alles zurückerstatten müsse, handele es sich wohl um einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag. Der Verbandschef wies aber darauf hin, dass bisher nur wenige Kunden darauf reagiert haben. Die Quote liege unter einem Prozent.
Die viel entscheidendere Frage sei jedoch, wie es perspekivisch weitergehe. „Mit dem BGH-Urteil ist ein riesiges Chaos angerichtet worden“, schimpfte Schneider und forderte Rechtssicherheit ein, da man im Bankgeschäft mit durchschnittlich 200 000 Kunden pro Sparkasse auf einfache Lösungen angewiesen sei. Individuelle Anschreiben bei Gebührenerhöhungen seien nicht machbar.
Der BGH hatte Ende April entschieden, dass Banken bei Änderungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Zustimmung ihrer Kunden einholen müssen. Viele Gebührenerhöhungen sind daher vorerst ausgesetzt, Bankkunden können einen Teil zu viel gezahlter Gebühren zurückfordern.