Das Allerletzte
Wer in der Nähe eines Schulzentrums wohnt und nach Unterrichtschluss durch die Scharen von Schülern läuft, hört so allerlei. Am Mittwoch war Ferienbeginn, und da klagte ein Junge dem anderen: „Wir haben noch Hausaufgaben machen müssen bis zum aller-letz-ten Tag!“Und das klang so empört, als hätte er sagen wollen, das sei doch das Allerletzte von diesem Lehrer – oder dieser Lehrerin, so viel Gender muss sein. Uns interessiert hier nun aber weniger die pädagogische Seite als die sprachliche. Eine Form wie allerletzte ist ein beredtes Beispiel für unsere Tendenz, auf einen Superlativ, der ja eigentlich einen nicht mehr steigerbaren Zustand beschreibt, um der Verstärkung willen noch etwas draufzusatteln. Früher hatte das System: Allerchristlichste Majestät lautete der Titel des französischen Königs, Allerkatholischste Majestät durfte sich der spanische Herrscher nennen, und Allerdurchlauchtigster war die Anrede für den deutschen Kaiser. Damit sollten Erhabenheit und Entrücktheit signalisiert werden. In der Kirche leben solche Formen fort: Christen erflehen den Segen des Allerhöchsten, und vor dem Allerheiligsten geht man andächtig in die Knie. Die Auswahl lässt sich aber auch ins Profane hinein erweitern: allerbeste, allergrößte, allermeiste, allermindeste, allerneueste, allerliebste… Und der Allerwerteste gehört der Vollständigkeit halber auch dazu.
Allerdings halten solche Formen einer Prüfung nach den Gesetzen der Logik nicht stand. Besser als das Beste, größer als das Größte, neuer als das
Neueste geht eigentlich nicht. Das Letzte ist schlichtweg das Letzte, also nicht mehr zu steigern. Ein Leser schrieb einmal, er werde seinen ersten Rausch nie vergessen, sein allererster Rausch aber habe seltsamerweise dieselben üblen Folgen gehabt ... Besser kann man die Absurdität einer solchen Formulierung kaum beschreiben. Aber im täglichen Sprachgebrauch setzen wir uns locker darüber hinweg. Sprache ist eben manchmal nicht logisch. Schauen wir uns noch kurz einen ähnlich gelagerten Fall an: Gibt man bei Google die drei Wörter größte aller Zeiten ein, so kommt man aus dem Staunen kaum heraus: Alles kann der oder die größte aller Zeiten sein: ein Dinosaurier, Drogenboss, Pottwal oder Kokainfund, eine Schlacht, Schildkröte, Forschungsreise oder Raubkatze … Aber auch hier bleibt die Logik auf der Strecke. Denn einen Sportler wie Muhammad Ali oder Michael Schumacher den Größten aller Zeiten in seiner Sportart zu nennen, heißt doch nichts anderes, als dass er nie mehr von einem anderen übertrumpft werden kann, und das ist Unsinn. Die Formulierung aller
Zeiten schließt auch die Zukunft mit ein – und wer kann darauf schon einen Blankoscheck ausstellen.
Außerdem denkt man bei uns unwillkürlich an den größten Feldherrn aller
Zeiten, wie Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel seinen Führer Adolf Hitler nach den ersten Kriegserfolgen von 1940 genannt haben soll. Als sich die Niederlagen häuften, wurde das Zitat dann spöttisch zu Gröfaz abgekürzt – natürlich nur insgeheim. Und dieses Modell lebte munter weiter, bis heute: Grömaz (größte Mutti
aller Zeiten für Angela Merkel), Gröpaz (größter Präsident aller Zeiten für Donald Trump), und Grövaz (größter Versager aller Zeiten, einsetzbar für wechselndes Personal). Angesichts der historischen Konnotation hält sich der Witz dabei in Grenzen. Und nun noch eine Ansage: Das war jetzt die letzte Glosse vor der Sommerpause. Die allerletzte soll es nicht gewesen sein.