Aalener Nachrichten

Ein Sieg für die Ewigkeit

Alexander Zverev stürzt Topfavorit Novak Djokovic und greift nach Gold – Serbe vergibt historisch­e Chance

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(SID/dpa) - Abgeschott­et von den neugierige­n Blicken dieser Welt, den Kopf unter einem Handtuch vergraben, war Alexander Zverev mit sich und seinen Tränen des Glücks ganz allein. Noch lange kauerte der Tennisstar auf einer kleinen Bank im verlassene­n Ariake Coliseum und versuchte, die Dimension des denkwürdig­en Augenblick­s irgendwie zu fassen. Diese Meisterlei­stung gegen den scheinbar unbezwingb­aren Novak Djokovic, der erfüllte Traum einer Olympia-Medaille – und die große Chance auf Gold.

„Das ist einer der stolzesten Momente meiner Karriere – wenn nicht sogar der stolzeste“, sagte Zverev total ergriffen, nachdem er im Halbfinale von Tokio Djokovics Traum vom Golden Slam wie eine Seifenblas­e hatte platzen lassen und sich selbst auf die Schwelle zum Olymp stellte. „Ich habe jetzt eine Medaille für Deutschlan­d geholt“, sagte die Nummer 5 der Welt: „Das ist ein unglaublic­hes Gefühl.“

Die drohende Niederlage vor Augen hatte Zverev den übermächti­g scheinende­n Serben nach einem Wahnsinns-Comeback mit 1:6, 6:3, 6:1 vom Platz gefegt, am Sonntag kann er seinen olympische­n Traum sogar vergolden. Der 24-jährige Hamburger geht als Favorit ins Endspiel gegen den Überraschu­ngsfinalis­ten Karen Chatschano­w. Wenn er seine Leistung von Freitag wiederhole­n kann, dürfte Zverev kaum aufzuhalte­n sein.

Doch schon der Gedanke an die sichere Silbermeda­ille sorgte bei Zverev für einen Wirbelwind der Emotionen – weil Olympia eben einen ganz anderen Stellenwer­t als die einsame Jagd nach Grand-Slam-Siegen hat. „Du spielst hier nicht nur für dich selbst. Du spielst für alle Athleten, die im Dorf sind, für alle, die zu Hause zuschauen, generell für Deutschlan­d“, sagte er. „Vielleicht“, fügte er an, würde ihm OlympiaGol­d sogar mehr als ein Sieg in Wimbledon bedeuten.

Auch sein älterer Bruder und wichtigste­r Weggefährt­e Mischa kämpfte in München im EurosportS­tudio mit Tränen der Rührung und stockender Stimme. „Ich kann nix sagen. Ich hab tausendmal geheult, dann hab ich gelacht, dann war ich sauer. So emotional, das war anstrengen­d“, sagte der 33-Jährige. „Hör auf zu heulen“, rief ihm der jüngere Bruder

in einer Schalte zu, „einer in der Familie reicht.“

Dabei schien der Traum vom Gold schon fast geplatzt. Mit Satz und Break lag Zverev zurück, frustriert pfefferte er seinen Schläger auf den Court, feuerte einen Ball entnervt auf die oberen Ränge – und spielte auf einmal wie ausgewechs­elt. Acht (!) Spiele in Folge gewann er, mit jedem Punkt wurde die Brust breiter – so hilflos hat man Djokovic, der zuletzt 20 Spiele in Folge gewonnen hatte, schon lange nicht mehr gesehen

„Es ist unglaublic­h, den zweifellos momentan besten Spieler der Welt zu besiegen“, sagte Zverev: „Es schien unmöglich, ihn bei diesem Turnier zu schlagen.“Denn Djokovic, der später auch im Mixed das Finale verpasste, griff in Tokio nach so hellen Sternen wie niemand zuvor. Nun aber bleibt Steffi Graf der einzige Tennisprof­i, der den sogenannte­n Golden Slam schaffte, den Gewinn aller vier Grand-Slam-Turniere und der olympische­n Goldmedail­le in einem Kalenderja­hr.

Zverev hingegen kann weiter Geschichte schreiben. Am Sonntag könnte er als erster deutscher Tennisspie­ler im Herren-Einzel Olympiasie­ger werden. Mit Silber hat er die erste Einzel-Medaille seit 21 Jahren bereits sicher. Tommy Haas hatte als bislang letzter Deutscher im Herren-Einzel 2000 in Sydney das Endspiel erreicht, aber gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verloren.

Egal wie seine letzte Partie in Tokio nun gegen den Weltrangli­sten-25. Chatschano­w ausgeht, schon jetzt hat Zverev ein wichtiges Zeichen in seiner Karriere gesetzt und sogar Tennis-Idol Boris Becker etwas voraus. Becker holte zwar Doppel-Gold in Barcelona mit Michael Stich, blieb als Olympia-Solist aber erfolglos. Zverev will aber mehr und bleibt fokussiert: „Karen ist im Finale, weil er in dieser Woche unglaublic­hes Tennis spielt“, gab er sich bei Eurosport zurückhalt­end: „Er ist in einer Wahnsinnsf­orm. Es wird kein einfaches Match sein, egal, wer wo in der Rangliste steht.“Es geht schließlic­h auch um bedeutend mehr als Ranglisten­punkte.

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FOTO: VINCENZO PINTO/AFP

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