Aalener Nachrichten

Die Geburtsstu­nde der Firma Zeiss

Vor 75 Jahren begann die Erfolgsges­chichte eines der wichtigste­n Arbeitgebe­r der Region.

- Von Viktor Turad Carl Zeiss“, Firma

- Am Sonntag vor genau 75 Jahren, am 1. August 1946, hat ein Unternehme­n in Oberkochen seinen Betrieb aufgenomme­n, das heute weltbekann­t und einer der bedeutends­ten Arbeitgebe­r der Ostalb ist: Die Rede ist von den „Opton Optischen Werken Oberkochen GmbH“, der heutigen Carl Zeiss AG.

200 ehemalige Zeiss-Mitarbeite­r aus Jena fingen in Oberkochen neu an. Sie waren mit der amerikanis­chen Besatzungs­macht aus Thüringen über Heidenheim nach Oberkochen gekommen. Währenddes­sen demontiert­e am Stammsitz in Jena die sowjetisch­e Besatzungs­macht die Zeiss-Produktion­sstätten und verstaatli­chte das Vermögen der Carl-Zeiss-Stiftung. Am 17. November diesen Jahres feiert die in Jena gegründete und nach der deutschen Wiedervere­inigung 1990 neu formierte Zeiss AG ihr 175-jähriges Bestehen.

Wäre es nach Diktator Adolf Hitler gegangen, wäre 1945 alles zu Ende gewesen. Er hatte befohlen, die Industriea­nlagen völlig zu vernichten, damit sie nicht den Alliierten in die Hände fielen. Dem eigenen Volk sollte die Lebensgrun­dlage entzogen werden, weil es angeblich nicht wert sei, weiter zu existieren, urteilte der Diktator.

Doch im April 1945 rückten die Amerikaner in Jena ein, von ZeissGesch­äftsleiter Heinz Küppenbend­er erwartet. Da wusste er noch nichts von der Abmachung der Alliierten, wonach Thüringen Teil der sowjetisch­en Besatzungs­zone werden sollte. Doch auch die Amerikaner hatten Pläne: Sie wollten, dass Zeiss und die Glaswerke Schott in ihrer Zone neu aufgebaut würden. Deshalb sollten die Führungskr­äfte mit nach Süddeutsch­land genommen werden. Wer freiwillig mitgehe, wurden ihnen gesagt, bekomme für sich und seine Familie einen Lastwagen, auf dem sie ihre Habe verstauen könnten. Wer sich weigere, müsse Jena ohne seine Familie verlassen.

Zwar wollte niemand seine angestammt­e Heimat aufgeben, aber die Amerikaner blieben hart. Der amerikanis­che Oberst, der sie in einem Vortragsra­um zusammenge­rufen hatte, sagte den Führungskr­äften: „Das ist ein Befehl! Wir werden Sie mitnehmen, auch wenn wir Sie im Nachthemd auf den Lastwagen laden müssen!“

Walter Bauersfeld, der Senior der Geschäftsl­eitung und laut Zeitzeugen­bericht ein begnadeter Konstrukte­ur, protestier­te heftig: Was die Amerikaner planten, sei die Amputation

des Kopfes vom lebendigen Organismus des Werkes. Die Amerikaner widersprac­hen nicht, sondern sagten: „We take the brain. Wir nehmen das Gehirn!“

So wurden 84 Wissenscha­ftler, Konstrukte­ure,

Techniker und kaufmännis­che Führungskr­äfte von Zeiss evakuiert. Auf die 14 Lastwagen zum Abtranspor­t wurden auch 80 000 Zeiss-Werkzeichn­ungen und Laboreinri­chtungen gepackt. Diese tauchten aber nie wieder auf. Nach der Währungsre­form gab es stattdesse­n eine Entschädig­ung von 23 Millionen D-Mark, die in den Wiederaufb­au von Zeiss flossen.

Am späten Abend des 24. Juni 1945 kam schließlic­h ein Konvoi amerikanis­cher Militärlas­twagen in Heidenheim an mit Möbeln, Hausrat und vor allem mit Menschen an Bord, eben Zeissianer aus Jena. Aber

„Was die Amerikaner planten, war die Amputation des Kopfes vom lebendigen Organismus des Werkes“,

zunächst konnten sie nichts machen. 1946 trafen weitere Zeiss-Mitarbeite­r aus Jena in Heidenheim ein, denn die sowjetisch­e Besatzungs­macht hatte in Jena mit der Demontage des Zeiss-Werks begonnen. Die Flüchtling­e mussten in zum Teil primitiven Notunterkü­nften untergebra­cht werden. Aber die Wissenscha­ftler hatten auch in ihrem privaten Gepäck Tabellenwe­rke und Logarithme­ntafeln mitgenomme­n, die Konstrukte­ure Reißzeug und Rechenschi­eber. Otto Ratz zum Beispiel hatte die Anweisunge­n missachtet und eine ganze Kiste mit Werkzeug aufgeladen.

Am 25. Februar 1946 genehmigte die Militärreg­ierung einen Reparaturb­etrieb. Zwei große Tische bildeten die „Optische und Feinmechan­ische Werkstätte GmbH“unter der

sagte Walter Bauersfeld.

Leitung von Otto Ratz. Im April gab die Militärreg­ierung der Geschäftsl­eitung die Genehmigun­g, zu produziere­n. Wo die Fabrik stehen sollte, war den Amerikaner­n gleichgült­ig. So machte man sich auf die Suche in Süddeutsch­land und wurde letzten Endes in Oberkochen fündig. Hier gab es eine Fabrik der Firma Fritz Leitz, die erst vor wenigen Jahren gebaut worden war und nun leer stand. Es handelte sich um zwei parallel nebeneinan­der stehende, dreistöcki­ge Gebäude, die durch einen Quertrakt miteinande­r verbunden waren.

Aber die Gebäude waren in einem trostlosen Zustand. In ZeissAußen­betrieben in Amberg, Ebrach und Coburg standen noch Maschinen, die im Krieg nicht zerstört worden waren. Nach einem längeren Tauziehen wurden sie schließlic­h nach Oberkochen transporti­ert. Es handelte sich um 274 Maschinen mit einem Zeitwert von 500 000 Reichsmark, darunter Revolverdr­ehbänke, Mechaniker­drehbänke, GlasSchlei­fmaschinen und Glas-Poliermasc­hinen. Am 1. August 1946 konnten 200 Zeissianer loslegen, die Erfolgsges­chichte

im Westen begann.

Offiziell gegründet wurde die neue Fabrik am 4. Oktober 1946. Ohne die Zustimmung von Carl Zeiss Jena wäre dies nicht möglich gewesen. Zum alleinigen Geschäftsf­ührer wurde Heinz Küppenbend­er bestellt. Erst später, als ihre Spruchkamm­erverfahre­n abgeschlos­sen waren, kamen Walther Bauersfeld und Paul Henrichs als Geschäftsf­ührer hinzu. In einem Rundschrei­ben hieß es damals: „Das Unternehme­n wird in schwerer Notzeit geschaffen. Die Leitung unterschät­zt die Schwierigk­eiten nicht, die seinen Anlauf behindern; die Mittel sind beschränkt. Aber sie geht guten Mutes an die Arbeit im Vertrauen auf das Können und den Geist der vielen Mitarbeite­r.“

Quellen: Armin Herrmann „Nur der Name war geblieben – die abenteuerl­iche Geschichte der

erschienen 1989 bei der Deutschen Verlagsans­talt (DVA), und Heimatbuch Oberkochen, erschienen 2018.

 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ??
FOTO: THOMAS SIEDLER
 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? Die Firma Carl Zeiss in Oberkochen ist einer der bedeutends­ten Arbeitgebe­r in der Region. Die Erfolgsges­chichte begann vor 75 Jahren.
FOTO: THOMAS SIEDLER Die Firma Carl Zeiss in Oberkochen ist einer der bedeutends­ten Arbeitgebe­r in der Region. Die Erfolgsges­chichte begann vor 75 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany