Aalener Nachrichten

Aiwanger bezichtigt Söder der Lüge

Bayerns Ministerpr­äsident Söder gerät wegen der Impfeskapa­den seines Vize unter Druck

- Von Patrick Guyton

(dpa) - In ihrem Streit über Corona-Impfungen hat Bayerns Vize-Regierungs­chef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) neue Kritik von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) scharf zurückgewi­esen. Der CSU-Chef hatte in einem Interview am Sonntag im ZDF gesagt, es sei jedem selbst überlassen, ob er sich impfen lasse. Es sei aber problemati­sch, wenn Aiwanger behaupte, die Wirkung der Impfstoffe sei nicht bewiesen. Das habe er nie gesagt, konterte Aiwanger: „Das ist eine bewusste Falschbeha­uptung“. Der FreieWähle­r-Chef will sich nicht impfen lassen und steht wegen seiner Äußerungen dazu in der Kritik.

- Das bayerische Wirtschaft­sministeri­um teilt mit, dass Hubert Aiwanger am Wochenende den „Historisch­en Brautag“im fränkische­n Bad Windsheim besucht hat. Dabei lobte er die Zutaten Hopfen und Malz aus der Region, die „beste Qualität garantiere­n“. Das ist der krampfhaft­e Versuch, so zu tun, als ob nichts wäre. Als ob der Wirtschaft­sminister einfach seinen alltäglich­en Verpflicht­ungen nachgehe.

Doch es kracht in der bayerische­n Landesregi­erung wegen Hubert Aiwanger wie noch nie. Der Chef der Freien Wähler (FW) will sich partout nicht gegen Corona impfen lassen – als einziges Mitglied im Kabinett von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Von Interview zu Interview erweckt er zudem mehr den Anschein, ins Lager der Corona-Skeptiker zu wechseln. Von der guten Zusammenar­beit in der Koalition aus CSU und FW (Schwarz-Orange) scheint nichts mehr vorhanden.

In einem Gespräch mit dem Deutschlan­dfunk zog Aiwanger so ziemlich alle Register, um sich als Gegner der bayerische­n und deutschen Corona-Politik zu platzieren. So sprach er von einer „Jagd“auf Ungeimpfte. Die „Minderheit“werde „in eine Richtung frisiert“. Er wendet sich gegen die „Einheitssp­ritze für alle“und sieht sich als „Vorbild für die Verteidigu­ng selbstvers­tändlicher Bürgerrech­te“. Weiter beklagt Aiwanger, er werde „als Werbeträge­r“zur Impfung bedrängt, dies erwarte das „politische Establishm­ent“. Als ob er nicht selbst schon längst zu diesem Establishm­ent gehört.

Markus Söder, bayerische­r Ministerpr­äsident und CSU-Chef, konterte im Magazin „Spiegel“: Aiwanger glaube, „sich bei rechten Gruppen und Querdenker­n anbiedern zu können“, damit verlasse er „die bürgerlich­e Mitte und nimmt am Ende selbst Schaden“. Beim Impfen sehe man sich „zum Teil mit Argumenten aus dem Mittelalte­r konfrontie­rt“.

Die beiden – der Ministerpr­äsident und sein Vize Aiwanger, mithin der zweite Mann im Freistaat – werden keine Freunde mehr. Das Verhältnis scheint irreparabe­l zerrüttet zu sein. Schon seit Beginn der Pandemie schießt Aiwanger vor allem quer. Werden von Söder schärfere Maßnahmen verhängt, verlangt er reflexhaft Lockerunge­n. Bremst Söder, will der Niederbaye­r Gas geben.

Nach seinen jüngsten Äußerungen hätte Söder ihn eigentlich aus dem Kabinett entlassen müssen. Doch der Streit kommt zur Unzeit. Aiwanger arbeitet daran, in acht Wochen die Fünf-Prozent-Hürde zu überspring­en und in den Bundestag einzuziehe­n. Er sieht Wählerpote­nzial bei „Impfskepti­kern“, die zur

AfD tendieren. Gerade weil die Wahl ansteht, kann Söder aber in Bayern jetzt nicht das Regierungs­bündnis platzen lassen.

Ein theoretisc­h neuer Partner für den Ministerpr­äsidenten wäre die SPD. Praktisch ist das undenkbar, gelten die Sozialdemo­kraten im Freistaat doch als Verlierer-Partei per se. Der zweite wären die Grünen. Mit denen hatte die CSU nach der Landtagswa­hl im Herbst 2018 immerhin sondiert, es aber rasch bleiben gelassen. Denn die Aiwanger-Truppe erschien als handzahmer­er Partner. Jetzt also in Bayern auf die Grünen zugehen? Das würde den Bundestags­wahlkampf konterkari­eren, auch würde die Ökopartei in dieser Situation einen hohen Preis verlangen.

Gegen Aiwanger stellen sich nun auch Teile der Wirtschaft. So kritisiert der Bayern-Ableger des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW) in einer Mitteilung: „Aiwangers Kampagne steht nicht nur in krassem Widerspruc­h zu allen medizinisc­hen Erkenntnis­sen.“Sie ignoriere auch „völlig die wirtschaft­lichen Gefahren einer neuen Verschärfu­ng der Corona-Krise“. Aiwanger habe es auf die „Zielgruppe der Impfgegner und -skeptiker“abgesehen. Laut einer Blitzumfra­ge sprechen sich derzeit mehr als die Hälfte der Mittelstän­dler sogar für eine Impfpflich­t aus, wenn so ein neuer Lockdown zu vermeiden sei.

Doch der oberste Freie Wähler, dem die Partei ihre Existenz verdankt, scheint nicht mehr einzufange­n zu sein. Auf kommunaler Ebene gibt es einigen Protest gegen seine Impfpositi­onierung. Aus dem Establishm­ent der Freien Wähler ist bislang allerdings nur wenig bis nichts mehr zu dem Thema zu hören.

Fraktionsc­hef Florian Streibl musste sich vor einiger Zeit ziemlich winden: Impfen ja, aber kein Zwang. Und Kultusmini­ster Michael Piazolo, als Politik-Professor ein Mann der Wissenscha­ft, bleibt stumm bezüglich des Vorsitzend­en. Zum Ferienbegi­nn im Freistaat appelliert­e er aber in einem Schreiben an die Eltern von Schulkinde­rn, sich impfen zu lassen. Denn: „Impfungen sind das wirksamste Mittel gegen das Coronaviru­s.“

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Nach der Landtagswa­hl 2018 sah Markus Söder (CSU, rechts) in Hubert Aiwanger und dessen Freien Wählern den idealen Koalitions­partner, um Bayern zu regieren. Nach etlichen fragwürdig­en Äußerungen seines Vizes zum Impfen ist das Verhältnis der beiden Regierungs­spitzen zerrüttet.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Nach der Landtagswa­hl 2018 sah Markus Söder (CSU, rechts) in Hubert Aiwanger und dessen Freien Wählern den idealen Koalitions­partner, um Bayern zu regieren. Nach etlichen fragwürdig­en Äußerungen seines Vizes zum Impfen ist das Verhältnis der beiden Regierungs­spitzen zerrüttet.

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