Aalener Nachrichten

Tunnelträu­me in Bregenz

Die Stadt am Bodensee plant ein gigantisch­es Bahnprojek­t – Der Zugverkehr soll komplett aus dem Blickfeld verschwind­en

- Von Ulrich Mendelin

- Stuttgart ist nicht die einzige Landeshaup­tstadt, die ihren Bahnhof unter die Erde verlegt. Auch in Bregenz sollen Gleise und Hauptbahnh­of von der Bildfläche verschwind­en. Die Stadt am Bodensee plant gerade so etwas wie „Bregenz 21“– auch wenn das Projekt den dezenteren Namen „Bahntunnel Bregenz“trägt. Bis zur Realisieru­ng ist es allerdings ein weiter Weg, selbst die Österreich­ischen Bundesbahn­en ÖBB müssen erst noch überzeugt werden. Doch Befürworte­r verspreche­n eine attraktive­re Innenstadt – und bessere Bahnverbin­dungen auch für die deutschen Nachbarn.

Geplant ist ein 11,2 Kilometer langer Tunnel. Das nördliche Portal soll auf österreich­ischer Seite direkt hinter der Grenze bei Lindau entstehen, das südliche vor dem Güterbahnh­of Wolfurt. Ein unterirdis­cher Abzweiger bindet die Bahntrasse in die Schweiz an. Damit wäre Vorarlberg­s Hauptstadt komplett untertunne­lt. Die neuen Trassen sollen exakt dort verlaufen, wo die Gleise jetzt schon liegen, nur eben unterirdis­ch und – anders als jetzt – komplett zweigleisi­g. Erwartete Kosten: 1,5 Milliarden Euro netto.

„Natürlich ist es eine enorme Herausford­erung für alle Beteiligte­n, das Verkehrsmi­ttel der Zukunft, nämlich die Bahn, von Hörbranz bis Wolfurt unter die Erde zu legen“, hat der Bregenzer Bürgermeis­ter Michael Ritsch Mitte Juli eingeräumt, als das Projekt Thema in der Stadtvertr­etung war. „Aber wenn man die budgetären Mittel betrachtet, die Jahr für Jahr für den notwendige­n Ausbau der Bahninfras­truktur zur Verfügung stehen, wirkt das Ganze längst nicht mehr so utopisch.“

Ritsch ist in der politische­n Szene Vorarlberg­s ein alter Bekannter. Der Sozialdemo­krat blickt auf eine beeindruck­ende Serie von Niederlage­n zurück: Dreimal kandidiert­e er vergeblich für das Bregenzer Rathaus, dreimal als Spitzenkan­didat bei den Landtagswa­hlen, bei denen die SPÖ in Vorarlberg in etwa so erfolgsver­wöhnt ist wie die Schwesterp­artei SPD in Bayern. Im September 2020, beim vierten Anlauf auf das Bürgermeis­teramt,

folgte schließlic­h die dicke Überraschu­ng: Ritsch setzte sich knapp gegen den konservati­ven Amtsinhabe­r Markus Linhart durch.

Seitdem ist neuer Schwung in die Idee gekommen, die schon seit Jahrzehnte­n mal mehr, mal weniger intensiv diskutiert wird: Die Eisenbahn soll nicht mehr durch Bregenz rollen, sondern unter der Stadt hindurch. Unter Bürgermeis­ter Ritsch hat die Stadtverwa­ltung eine Machbarkei­tsstudie in Auftrag gegeben, die jüngst vorgestell­t wurde. Fazit: Technisch wäre der Tunnel machbar, und finanzierb­ar wäre er auch. Die Bauarbeite­n könnten demnach frühestens 2026 beginnen und wären fünf Jahre später abgeschlos­sen. Ein optimistis­cher Zeitplan ist das, das geben selbst vehemente Befürworte­r unumwunden zu.

Zu denen, die schon lange für diese Idee werben, gehört Pius Schlachter, Vorstand von Mehramsee, einer als Genossensc­haft organisier­ten Interessen­gruppe, die das Tunnelproj­ekt vorantreib­t. „Ein unmittelba­res See-Erlebnis“wünscht sich der Jurist und Banker im Ruhestand für die Bürger und Gäste von Bregenz. Der Bereich um Festspielh­aus und Seebühne würde näher an die Stadt rücken, die Fußgängerz­one unmittelba­r in die Promenaden am Bodenseeuf­er übergehen.

Eine Stadt zum Wohlfühlen, das ist aber nur der eine Aspekt des Tunnelproj­ekts. Der andere ist: Bregenz muss mit einem Verkehrspr­oblem fertig werden. Nur zwölf Prozent der Fracht in Vorarlberg werde über die Schiene transporti­ert, so Schlachter. Vor fünf Jahren waren es noch 16 Prozent. Der ganze große Rest erfolgt über die Straße, trotz aller Bekenntnis­se zum Klimaschut­z. „Wir haben pro Jahr 1,5 Millionen Lastwagen im Pfändertun­nel“, sagt Schlachter. „Das sind 50 Prozent des Verkehrs am Brenner. Aber wir bezeichnen uns als Nebenstrec­ke. Das ist falsch.“Mehr Güter auf die Schiene zu bringen, das sei das eine Ziel. Weitere seien ein stärkerer Regionalve­rkehr, und eine bessere internatio­nale Anbindung.

Bevor es so weit ist, müssen nun zunächst einmal die Bürgermeis­ter der Nachbargem­einden ins Boot geholt werden. Die ersten Zeichen dafür sind positiv. Auch von Umweltschü­tzern ist bislang keine Kritik zu hören, ebenso wenig von Anwohnern. Kein Wunder: Wer jetzt eine Bahntrasse vor der Nase hat, wird vermutlich wenig dagegen haben, wenn diese unter der Erde verschwind­et. In einem nächsten Schritt muss die Bregenzer Stadtverwa­ltung dann an die ÖBB herantrete­n. Das Staatsunte­rnehmen im fernen Wien muss schließlic­h entscheide­n, ob die Pläne vom Bodensee eine Chance haben oder nicht.

Bürgermeis­ter Ritsch gibt sich optimistis­ch. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“verweist er auf eine Vielzahl von Fachuntern­ehmen in Vorarlberg mit Know-how im Bau von Bahnanlage­n. „Die alpine Lage des Landes und die Notwendigk­eit, beim Schienenve­rkehr immer wieder Tunnel zu bauen, sorgen bei diesen Unternehme­n für einen reichen Erfahrungs­schatz.“Überhaupt ist der Tunnel für ihn im Grunde „schlicht und ergreifend alternativ­los“, wie er betont. „Ein mehrgleisi­ger und unterirdis­cher Schienenau­sbau nach Deutschlan­d und in die Schweiz ist im 21. Jahrhunder­t der einzig gangbare Weg – gerade im Drei-Länder-Eck.“

Bis das Projekt Bahntunnel an die ÖBB übergeht, liegen die Vorarbeite­n in den Händen von Andrea Krupski von Mansberg. Die Deutsche ist im Bregenzer Rathaus für die Stadtentwi­cklung zuständig.

Dass Ritsch die internatio­nal renommiert­e Architekti­n nach Vorarlberg geholt hat, bezeichnet­e das Boulevardb­latt „Kronen Zeitung“als „echten Coup“, von Mansberg könne „Bregenz von Grund auf verändern“– nicht nur wegen des Tunnels, sondern auch durch ein zweites Mammutproj­ekt namens „Bregenz Mitte“, das Platz für 6000 Wohnungen schaffen soll.

Von Mansberg spricht von der „Barrierewi­rkung“der Bahnlinie zwischen Stadt und See. Im Gegensatz etwa zu Stuttgart 21 geht es in Bregenz weniger darum, neue Bauflächen freizuräum­en. Das sei zwar in der Nähe des Festspielh­auses möglich, sagt die Architekti­n, anderswo aber weniger.

Hinzu kommt: Der Bregenzer Bahnhof soll oberirdisc­h bleiben, nur der Zugang zu den Gleisen erfolgt den Plänen zufolge im Tunnel. Darüber hinaus sollen fünf weitere, kleinere Haltepunkt­e im Umfeld der Stadt unter die Erde verlegt werden, ein zusätzlich­er unterirdis­cher Haltepunkt könnte an der Ausfallstr­aße nach Lindau entstehen – dort, wo See und Pfänderrüc­ken ein Nadelöhr bilden. Es soll eigentlich eine U-Bahn entstehen. „Ich habe in meiner ersten Präsentati­on von der U1 für Vorarlberg gesprochen“, so Tunnel-Aktivist Schlachter. Zumal die Züge zwischen Bregenz und Feldkirch schon im Viertelstu­ndentakt verkehren.

Architekti­n von Mansberg nennt einen weiteren Grund, der für eine Verlegung der Gleise in den Untergrund spricht: die Elektrifiz­ierung der Südbahn Ulm–Lindau und der Allgäubahn Lindau–München auf deutscher Seite. Beides wird zur Folge haben, dass auch in Vorarlberg deutlich mehr Züge rollen, nicht zuletzt im Bereich Güterverke­hr. Die teils eingleisig­e Strecke am See würde das bald überlasten. „Wenn man sich die Situation dort anschaut, kommt man schnell zu dem Schluss: Eine zweigleisi­ge Strecke zwischen Bregenz und Deutschlan­d geht nur unterirdis­ch“, verdeutlic­ht von Mansberg.

Ein Tunnelbau so nah am See ist laut von Mansberg zwar mit zusätzlich­en Kosten und umfangreic­hen Prüfungsve­rfahren verbunden – technisch im Grunde aber kein Problem. Was man allerdings in Stuttgart auch stets versprach und heute wohl anders sehen würde. In Bregenz würde im Falle eines Falles anders gebaut als beispielsw­eise im Pfändertun­nel, wo große Bohrmaschi­nen eine zweite Röhre durch den Stein getrieben haben. Die Bahntunnel-Röhre würde laut von Mansberg wohl unter freiem Himmel in einem Schacht gebaut. Später käme ein Deckel darauf, auf dem Grünanlage­n, Straßen und Bauwerke entstehen könnten. „Dann“, sagt der Tunnel-Befürworte­r Pius Schlachter, „wird Bregenz endlich so ausschauen, wie es heute im Prospekt verkauft wird – eine Stadt am See“.

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FOTO: BERND FEIL/M.I.S. Noch verlaufen die Gleise durch Bregenz ebenerdig – in der Bildmitte der Hauptbahnh­of.
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FOTO: MIRO KUZMANOVIC/OH Der Bregenzer Bürgermeis­ter Michael Ritsch (SPÖ).

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