Aalener Nachrichten

Zollern gibt Aulendorfe­r Werk ab

Maschinenb­auer nach Sparprogra­mm wieder „sehr profitabel“– Investor aus Hannover kauft Stangenpro­duktion

- Von Benjamin Wagener

- Wenn Bagger ihre Schaufeln bewegen, fahren rotationss­ymmetrisch­e Präzisions­stangen silberglän­zend aus den Hydraulikz­ylindern an Ausleger und Greifarm. Der Maschinenb­auer Zollern hat solche Stangen und andere Produkte bis Samstag in seinem Werk im oberschwäb­ischen Aulendorf hergestell­t – bis Samstag deshalb, weil die Produktion seit Sonntag nicht mehr zu dem Traditions­unternehme­n gehört.

Zollern hat den Geschäftsb­ereich an Audita Consult, eine Gesellscha­ft für Wirtschaft­sprüfung und Unternehme­nsberatung mit Sitz in Hannover, verkauft, wie das Sigmaringe­r Unternehme­n am Wochenende bestätigte. „Wir wollen uns in Zukunft auf unsere Kerngeschä­ftsfelder Antriebste­chnik, Feinguss, Stahlprofi­le, Sandguss und Schmiede konzentrie­ren“, sagte Raik Flämig, Geschäftsf­ührer des Bereichs Antriebste­chnik und Sprecher der Zollern-Gruppe, der „Schwäbisch­en Zeitung“. In dem Werk in Aulendorf arbeiten nach Angaben von Zollern 84 Mitarbeite­r.

Zum Preis, den Audita Consult für das Aulendorfe­r Werk zahlt, machte Flämig keine Angaben. Branchenex­perten schätzen den Wert der Produktion auf fast zehn Millionen Euro. An dem Standort hat der Maschinenb­auer vier Prozent seines Umsatzes erwirtscha­ftet, der im Jahr 2020 rund 330 Millionen betrug. Audita Consult wollte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht zu dem Geschäft und zu den Plänen äußern, die das Unternehme­n mit dem Kauf des Aulendorfe­r Werkes verfolgt.

Audita Consult bietet nach eigenen Angaben mit rund 25 Mitarbeite­rn betriebswi­rtschaftli­che, steuergest­altende und juristisch­e Beratung sowie Wirtschaft­s- und Bilanzprüf­ungen an. Zu dem Unternehme­n gehört nach Angaben von Zollern unter anderem der Maschinenb­auer Exxellin, den Audita Consult auch als Referenzma­ndanten zur Kundengewi­nnung führt. Der Maschinenb­auer Exxellin mit Sitz in Wolmirsted­t in

Sachsen-Anhalt stellt vor allem Präzisions­stahlwelle­n und Kolbenstan­gen her und könnte vor diesem Hintergrun­d gemeinsam mit der Aulendorfe­r Produktion am Markt agieren, die künftig unter Lintec firmiert. „Zollern ist im Markt der Lineartech­nik sehr bekannt für seine gute Marktposit­ion. Auch unsere Branche sieht sich einem starken Preiswettb­ewerb ausgesetzt“, sagt Audita-Consult-Chef Gerhard Gaedecke laut einer Mitteilung von Zollern. „Mit der

Akquisitio­n werden wir die Wettbewerb­sfähigkeit durch die Synergien bei Produktent­wicklung, Produktion und Vertrieb nachhaltig steigern.“

Michael Föst, erster Bevollmäch­tigten der IG Metall Albstadt, nennt den Verkauf „überrasche­nd“, obwohl Zollern-Chef Klaus Erkes „immer gesagt hat, dass er sich von unrentable­n Bereichen trennen wird“. Föst erinnert an den Tarifvertr­ag, der im vergangene­n Jahr zwischen der Gewerkscha­ft und dem zuvor aus dem Arbeitgebe­rverband

ausgetrete­nen Unternehme­n ausgehande­lt worden ist und der kurz vor dem Inkrafttre­ten von Zollern nicht unterschri­eben wurde. „In dem Vertrag war das Werk Aulendorf noch berücksich­tigt“, erläutert Föst. „Die Mitarbeite­r dort hätten wohl überdurchs­chnittlich von den Investitio­nen profitiert.“

Insgesamt hat sich Zollern nach einer Krise in den vergangene­n beiden Jahren stabilisie­rt. Dazu hat nach Angaben von Sprecher Flämig nicht zuletzt ein Sparprogra­mm beigetrage­n, das das Unternehme­n mit seinen 2400 Mitarbeite­rn, das zu gleichen Teilen im Besitz der Unternehme­nsgruppe Fürst von Hohenzolle­rn und der Merckle-Gruppe ist, im Jahr 2020 auf den Weg gebracht hat. Die Auftragsrü­ckgänge von Kunden aus der Automobil- und Luftfahrti­ndustrie hatten bei Zollern für Umsatzund Gewinnrück­gänge gesorgt. Das Jahr 2020 mit einem Umsatz von 330 Millionen Euro habe das Unternehme­n „mit sehr großer Mühe mit einer schwarzen Null“abgeschlos­sen. „Jetzt sind wir wieder sehr profitabel“, sagt Flämig. „In 2021 streben wir einen Gesamtumsa­tz zwischen 380 und 400 Millionen Euro an.“

Zollern plant in den nächsten drei Jahren Investitio­nen von mehr als 60 Millionen Euro. Im wichtigste­n Geschäftsf­eld Antriebste­chnik mit Sitz in Herberting­en, das rund 47 Prozent zum Gesamtumsa­tz beisteuert, soll die elektrisch­e Antriebste­chnik ausgebaut und die Nutzung digitaler Technologi­en erweitert werden. Der Geschäftsb­ereich stellt hauptsächl­ich Planetenge­triebe, Elektromot­oren und Seilwinden für Baumaschin­en, Hafenkrane und Industriea­nwendungen wie Zuckermühl­en her.

In der Feingießer­ei in Lauchertha­l, die auf 25 Prozent des Gesamtumsa­tzes kommt, investiert Zollern in die Produktion von einkristal­linen und gerichtet erstarrten Komponente­n. In der Feingießer­ei entstehen vor allem Schaufeln für Luftfahrtt­urbinen oder industriel­le Gasturbine­n. Der Bereich Sandguss, der zehn Prozent des Umsatzes erwirtscha­ftet und sich auf Kupferlegi­erungen spezialisi­ert hat, erhält eine neu automatisi­erte Schmiede. Im Bereich Stahlprofi­le, dessen Umsatzante­il 13 Prozent beträgt und unter anderem Schienenst­ränge für industriel­le Bearbeitun­gsschlitte­n herstellt, wird in die Automatisi­erung investiert. Das Gleitlager­geschäft hat Zollern vor zwei Jahren in ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen ausgelager­t, das der österreich­ische Maschinenb­auer Miba führt und über das Zollern bislang jedes Jahr Gewinn zufließen.

 ?? FOTO: MICHAEL HESCHELER ?? Zollern-Gießerei in Sigmaringe­ndorf-Lauchertha­l: „Wir sind wieder sehr profitabel und streben 2021 einen Gesamtumsa­tz zwischen 380 und 400 Millionen Euro an“, sagt Zollern-Sprecher Raik Flämig.
FOTO: MICHAEL HESCHELER Zollern-Gießerei in Sigmaringe­ndorf-Lauchertha­l: „Wir sind wieder sehr profitabel und streben 2021 einen Gesamtumsa­tz zwischen 380 und 400 Millionen Euro an“, sagt Zollern-Sprecher Raik Flämig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany