Wagner-Festspiele im Kampfsporttempel
Anna-Maria Wagner wird in Tokio zur Heldin des deutschen Judo-Teams - Ravensburgerin feiert zweite Bronzemedaille
(dpa) - Anna-Maria Wagner verließ den ehrwürdigen Kampfsport-Tempel Nippon Budokan mit Schmerzen in beiden Armen, aber einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ich bin so unfassbar stolz auf alle“, sagte die Weltmeisterin. Dann drückte Teamkollege Sebastian Seidl die 25Jährige fest an sich. „Sie ist der Superhero“, betonte der Abensberger nach dem abschließenden Bronze-Coup der deutschen Judokas im MixedTeamwettbewerb von Tokio.
Insgesamt drei Medaillen durfte der Deutsche Judo-Bund (DJB) bei diesen Spielen bejubeln – zwei mehr als in Rio de Janeiro vor fünf Jahren. „Phänomenal“fand das Sportdirektor Hartmut Paulat. Eine „super, super Mannschaftsleistung“hätten seine Schützlinge gezeigt. Da sei der „eine oder andere Traum in Erfüllung gegangen“. Vor allem für Wagner, die große Heldin aus deutscher Sicht. Die Ravensburgerin erlebte ihre ganz persönlichen Festspiele im Judo-Land Japan. Für Gold war sie gekommen, mit zweimal Bronze reiste sie wieder ab.
Trotz einer Bänderverletzung im rechten Ellenbogen war sie beim 4:2 im kleinen Finale gegen die Niederlande auf die Matte gegangen und hatte dort mit ihrem Sieg für die deutsche Führung gesorgt. Seidl als Schlusskämpfer holte später den entscheidenden Punkt zum Sieg. „Die Medaille ist da. Dafür würde ich auch ohne Arme auf die Matte gehen“, sagte Wagner nach dem grandiosen Schlussakt.
Vergangenen Donnerstag hatte die Studentin bereits Bronze im Einzel gewonnen – obwohl sie bei ihrer Niederlage im Halbfinale der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm von der späteren Olympiasiegerin Shori Hamada aus Japan gehebelt worden war und sich verletzt hatte. Bei der olympischen Premiere des Teamwettkampfs, bei dem pro Runde bis zu je drei Männer und Frauen für eine
Mannschaft antreten, war sie daher zunächst geschont und von Jasmin Grabowski ersetzt worden.
Gegen das Flüchtlingsteam des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewannen die Deutschen zum Auftakt zwar auch ohne Wagner locker mit 4:0. Beim 2:4 gegen die mit fünf amtierenden Olympiasiegern angetretenen Japaner im Viertelfinale verpassten sie nach 2:0-Führung dann aber die große Überraschung. Durch ein 4:2 über die Mongolei in der Hoffnungsrunde erreichten sie noch einen der Bronze-Kämpfe – und belohnten sich dort für ihren großen Einsatz und Zusammenhalt.
„Wir haben diese Medaille und diesen schönen Moment alle zusammen verdient“, sagte Wagner, nachdem sie die niederländische WMDritte Guusje Steenhuis nach einer Energieleistung durch Waza-ari besiegt hatte. Anschließend tat ihr auch noch der linke Arm weh. Doch die Freude über ihre zweite Bronzeplakette in Tokio verdrängte ihre Schmerzen. Sie werde sich nun eine Verschnaufpause gönnen, sagte Wagner. Dann peilt die Ravensburgerin aber schon den nächsten OlympiaZyklus an.
WM-Gold in Budapest, GrandSlam-Siege in Tel Aviv und Kasan sowie zwei Bronzemedaillen bei Olympia: Wagners Bilanz in diesem Jahr ist beeindruckend. Womöglich kann sie der ganzen Mannschaft, die in Tokio durch großen Teamspirit auffiel, einen Schub geben. „Es war mir eine Ehre, mit diesem Team auf der Matte zu stehen“, sagte Theresa Stoll. Die WM-Dritte hatte gegen die Niederlande für die Vorentscheidung gesorgt, ehe Seidl alles klarmachte. „Wir haben Geschichte geschrieben“, sagte der 31-Jährige. Immerhin habe man die erste Judo-Team-Medaille bei Olympia geholt. Also die allererste. Denn der zweite Bronze-Kampf und das Finale fanden erst danach statt.
Nachdem sie 2016 in Rio nur einmal Bronze durch Laura Vargas Koch geholt hatten, durften sich die deutschen Judokas nun also gleich dreimal über Edelmetall freuen. Dank Silbermedaillengewinner Eduard Trippel (bis 90 Kilogramm). Dank einer starken Mannschaftsleistung. Vor allem aber dank „Superhero“Wagner.