Länder planen Impfangebote für Kinder
Gesundheitsminister verteidigen Vorgehen – Bislang keine generelle Empfehlung der Stiko
- Obwohl es bislang keine generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche gibt, haben die Gesundheitsminister und -ministerinnen am Montag beschlossen, dass nunmehr alle Länder Impfungen für 12- bis 17-Jährige anbieten wollen – in Impfzentren oder auf andere niedrigschwellige Weise. Ziel sei ein höherer Corona-Schutz zum Schulstart. Dabei sei ärztliche Aufklärung erforderlich. Zudem sollten Kinder und Jugendliche auch durch Kinder-, Haus- und Betriebsärzte geimpft werden können. Bundesminister Jens Spahn (CDU) sagte: „Jeder, der will, kann im Sommer geimpft werden. Wir haben genügend Impfstoff für alle Altersgruppen.“
Auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) unterstützt den Kurs. „Wir bewerben Impfungen für Kinder und Jugendliche von 12 bis 17 Jahren offensiv. Ihnen soll in den Impfzentren des Landes ein Angebot gemacht werden – selbstverständlich mit Beratung durch die Ärzte“, sagte er am
Montag. Auch die Eltern hole man mit ins Boot, man werde Familienimpfwochenenden anbieten.
Dass die Stiko unter ihrem Chef Thomas Mertens bislang noch keine klare Empfehlung herausgegeben hat? „Der Impfstoff von Biontech/ Pfizer ist auch für 12- bis 17-Jährige zugelassen. Die Politik betrachtet dies aus einer übergeordneten Perspektive. Deshalb ist es richtig, dass die Politik jetzt handelt“, sagte Lucha. Die Stiko schließe ja eine Impfung von Kindern und Jugendlichen nicht explizit aus, empfehle sie derzeit aber nur für vorerkrankte Jugendliche.
Lucha weiter: „Wir haben gerade während der Pandemie eine politisch-gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen und blicken nicht nur auf die individuelle Entscheidung. Ich schätze Professor Mertens sehr. In 99,9 Prozent aller Fälle sind wir auch einer Meinung, in diesem Fall ausnahmsweise nicht.“
Außerdem sollen laut Bundesminister Spahn besonders gefährdete Gruppen mit der Möglichkeit einer Auffrischimpfung im September, also einer dritten Dosis, im Herbst und Winter bestmöglich geschützt werden.
- Dritte Impfdosis, Vakzin für Kinder, wieder mehr PCR-Tests – angesichts der Delta-Variante des Coronavirus und der drohenden vierten Welle ist noch einmal Bewegung in die Pandemiebekämpfung gekommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Woher kommt der Ruf nach einer dritten Impfung?
In Israel, wo man sehr früh und sehr schnell geimpft hat, verhindert nach Regierungszahlen eine Impfung aus zwei Dosen wegen Delta eine Corona-Infektion nur noch zu 39 Prozent und schwere Erkrankungen noch zu 91 Prozent. Die über 60-Jährigen seien sogar nur noch zu 81 Prozent gegen Krankenhausaufenthalte geschützt – Anfang des Jahres war noch von 99 Prozent die Rede gewesen. Biontech und der US-Partner Pfizer selbst, deren Vakzin fast ausschließlich in Israel verwendet wurde, berichten, dass die generelle Schutzwirkung sechs Monate nach der Zweitimpfung von 96 auf 84 Prozent sinke. Eine dritte Dosis, auch Auffrischungsoder Boosterimpfung genannt, sei angebracht. Israel hat bereits mit der Gabe einer dritten Dosis für über 60-Jährige begonnen, deren Impfschutz seit mehr als fünf Monaten besteht. Auch die Universität Oxford und der Hersteller Astrazeneca haben mitgeteilt, dass eine dritte Dosis des Impfstoffs für eine deutlich stärkere Immunantwort sorgt. Für Deutschland spielt das aber keine Rolle: Hier sind ausschließlich Biontech und Moderna für den Booster vorgesehen.
Wer soll die dritte Dosis bekommen?
Ab September soll sie zunächst Pflegebedürftigen und Immungeschwächten angeboten werden. Für die allermeisten zweimal Geimpften gilt aber noch immer, dass sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vor einer schweren Erkrankung geschützt sind. Impfstoffhersteller arbeiten an speziellen Delta-Vakzinen, wann die einsatzbereit sein könnten, lässt sich aber noch nicht abschätzen. Impfdurchbrüche, also Ansteckungen bei vollständig Geimpften, waren bisher selten, aktuell aber liegen die Zahlen durch Delta je nach
Land bei 15 bis 20 Prozent der symptomatischen Neuinfektionen. Das ist bemerkenswert, weil das RobertKoch-Institut (RKI) seit Februar bei inzwischen 43,5 Millionen vollständig Geimpften bisher lediglich gut 7200 Impfdurchbrüche registriert hat – also gerade 0,2 Prozent. 760 davon mussten ins Krankenhaus –zumeist Ältere.
Ist Delta wirklich gefährlicher?
Delta ist viel ansteckender, durchbricht eher den Impfschutz und kann schwerere Erkrankungen verursachen als alle anderen bekannten Versionen des Virus, lautet die Zusammenfassung der US-Behörde für Krankheitskontrolle und Prävention. Delta sei übertragbarer als die Viren, die Atemwegserkrankung Mers, Ebola, saisonale Grippe oder Pocken verbreiten, und so ansteckend wie Windpocken.
Weshalb sollen Kinder geimpft werden?
Politiker hoffen, so die Impfquote in der Bevölkerung zu erhöhen. Dass Kinder selbst an Corona erkranken, ist dagegen selten. In England und Schottland ist die Zahl der infizierten Kinder jüngsten Studien zufolge durch Delta zwar gestiegen, Klinikbehandlungen aber bleiben selten. Für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sind die Risiken, die von Delta ausgehen, etwa durch
Langzeitfolgen, trotzdem weit höher als die durch die Impfung. Eine kanadische Studie geht davon aus, dass sechs Prozent der infizierten Kinder Long Covid entwickeln. In den USA seien mehr als sechs Millionen Kinder geimpft, die Immunisierung, so Lauterbach, gut untersucht. Die Ständige Impfkommission dagegen hat erklärt, es gebe zu wenige Daten. Laut Bundesgesundheitsministerium stehen jedenfalls genügend Dosen der genehmigten Vakzine von Biontech und Moderna zur Verfügung, dass jeder der 4,5 Millionen Zwölf- bis 17-Jährigen, der das möchte, geimpft werden kann. 900 000 Kinder und Jugendliche hätten das bereits getan.
Warum soll der PCR-Test wieder eine größere Rolle spielen?
Weil die Impfquote so schnell nicht die vom RKI erhofften 85 Prozent erreichen wird, kommen sichere Tests ins Spiel – also die sogenannten PCR-Tests. Sie gelten als verlässlichste Möglichkeit, eine Corona-Infektion nachzuweisen und liefern genauere Ergebnisse als AntigenSchnelltests. Karl Lauterbach fordert, dass im Herbst PCR-Tests für Ungeimpfte eine viel größere Rolle spielen müsse: „Bei der Delta-Variante sind Schnelltests zu oft falsch negativ. PCR sind das nicht.“Auch FDP-Chef Christian Lindner betont: „PCR-Tests sind zuverlässiger als Schnelltests.“Zusammen mit Impffortschritten
„wäre das eine gute Kombination“. Der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin betont denn auch, man solle bei steigenden Neuinfektionszahlen „PCR als das sicherste diagnostische Verfahren“verwenden, so Vorsitzender Michael Müller. Die Kapazitäten in den Laboren seien da.
Bleiben die Tests kostenlos?
Die Bundesregierung will mit den Ländern zumindest über ein Ende kostenloser Corona-Schnelltests beraten.. Das Thema soll am 10. August in der Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten besprochen werden. Eine Regierungssprecherin betonte, dass Schnelltests „ganz sicher nicht über Nacht plötzlich kostenpflichtig“werden, sondern noch eine ganze Weile kostenlos bleiben sollten. Aus Fairnessgründen solle erst allen Menschen die Chance gegeben werden, sich zweimal impfen zu lassen. Der Bund übernimmt seit März die Kosten für mindestens einen Schnelltest pro Woche für alle Bürger. Angesichts der schwächeren Nachfrage nach Corona-Impfungen wird darüber diskutiert, dass man für Tests künftig etwas bezahlen soll – auch als Anreiz für Menschen, die sich impfen lassen könnten, damit aber zögern. Demmer sagte, dass es hierzu keine Einigung in der Regierung gebe. Gespräche dazu würden fortgesetzt. Unter anderem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte sich dafür ausgesprochen, dass der Staat ab einem bestimmten Zeitpunkt die Tests für jene nicht mehr zahlt, die sich impfen lassen könnten. Dies müsse aber lange vorher angekündigt werden.
Was wird aus der Inzidenz?
Um die wird gestritten. Während das RKI die Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner als zentralen Indikator erhalten will, möchte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Bedeutung relativieren, andere Faktoren dazutun. Einen „Indikatorenmix“, um das Infektionsgeschehen einzuschätzen, fordert denn auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Neben der Inzidenz müssten die Klinikbelegung, die Belegung von Intensivkapazitäten, die Impfquote und die Positivrate an Tests berücksichtigt werden.