Wandern im Zeichen des Löwen
Die Heldentour ist ganz neu und führt 24 Kilometer lang über die Schwäbische Alb
Wo es hochgeht, geht’s auch wieder runter. Das ist eine Binsenweisheit. Auf den fast 24 Kilometern der Heldentour im Landkreis Göppingen geht’s gleich viermal so richtig hoch und runter. Insgesamt gilt es, fast 800 Höhenmeter zu bezwingen. Gewandert wird hier im Zeichen des Löwen, dem magischen Symbol der Schwäbischen Alb, auf der schließlich auch der prähistorische Löwenmensch entdeckt wurde. Der König der Tiere steht für Macht und Würde, Stolz und Kraft und findet sich auch im Wappen des Stauferkreises und des Landes Baden-Württemberg wieder.
Bei Lauterstein, unweit von Schwäbisch Gmünd, ist erst vor Kurzem der neueste und längste der insgesamt 16 Löwenpfade eröffnet worden, der jetzt als Königsetappe gilt. Wer meint, mit Länge und Höhenmetern sei der Name Heldentour erklärt, irrt sich. Die Wahrheit ist: Die Rundwanderung beginnt und endet am Heldenberg. Aber heldenhaft dürfen sich Wanderer nach der Tagestour trotzdem fühlen. Hier steht nämlich vor allem die sportliche Herausforderung im Fokus. Neben den knackigen Anstiegen bietet sie aber auch wunderschöne Ausblicke ins Lautertal, typische Alblandschaften und urige Einkehrmöglichkeiten. Ganz zu schweigen von den vielen, durchaus auch ebenen Strecken durch Buchenwälder und Wacholderheiden, auf denen man oft ganz alleine unterwegs ist.
Los geht’s bei der Pieta in Nenningen. Ein Abstecher in die kleine Friedhofskapelle lohnt sich, birgt sie doch einen hinter hohen Gittertoren verborgenen Schatz, um den viele internationale Museen die Stadt Lauterstein beneiden. Bereits 1772, nach der Hungersnot, soll dieses Ensemble mit der Pieta des bayerischen Hofbildhauers Franz Ignaz Günther entstanden sein. Über den Heldenberg geht’s Richtung Reiterleskapelle durch Waldabschnitte und Wacholderheiden, die mit wildromantisch und idyllisch perfekt beschrieben sind. Gesäumt werden die Pfade von Blumen, Bergminze und Johanniskraut, Kornblumen blühen um die Wette, Bienen und Schmetterlinge bedienen sich zu Hunderten.
Der florale Höhepunkt wird am Franz-Keller-Haus erreicht, einem Wanderheim des Schwäbischen Albvereins. Es steht auf 781 Metern Höhe. Kaltes Feld heißt das weitläufige Plateau, auf dem sich eisige Winterwinde gut vorstellen lassen. Wer Glück hat, trifft dort auf Toni Schopf, in gebückter Haltung. „Seit 50 Jahren sammel’ ich mindestens zweimal die Woche Kräuter,“erzählt die Ehrenamtliche des Schwäbischen Albvereins, „für den besten Tee der Welt.“Der wäre? „Sagen Sie bloß, Sie kennen den Kalte-Feld-Tee nicht?“Bass erstaunt ist sie. Ihr Mann sei eigentlich der „Teepapst“, wie sie es nennt, sie würde nur zuarbeiten und Kräuter wie Augentrost, Dost und Thymian
pflücken. Das handgeschriebene Originalrezept – natürlich ein Geheimnis – wird seit Generationen in der Familie vererbt. Und dann zeigt sie, wie Augentrost aussieht und erklärt den Unterschied zwischen Johanniskraut und dem viel giftigeren Jakobskreuzkraut, das ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. „Blüten reiben“, empfiehlt sie, „werden die Finger blau, ist es Johanniskraut.“Den Kalte-Feld-Tee gibt’s für vier Euro den Liter am Wanderheim im Freien. Eine Wohltat – auch bei sommerlichen Temperaturen –, die sogar zu Schmalzbrot und Landjägern schmeckt.
Derart gestärkt geht’s vorbei an den eingezäunten Schafen, die laut Toni Schopf „unsere Alblandschaft pflegen und nur den Thymian stehen lassen“. Kurz danach passiert man die drei Skischanzen von Degenfeld. Bekannt sind die Skisprunggrößen, vor allem die weiblichen. Carina Vogt hat den Verein und das FrauenSkispringen mit dem ersten Olympia-Gold, das in dieser Disziplin 2014 in Sotschi vergeben wurde, bekannt gemacht. Über den Galgenberg mit traumhafter Aussicht auf Nenningen erreicht man den Ort. Früher gab es in Degenfeld einmal vier Wirtschaften, heute keine mehr. Aber an der Bushaltestelle hängt ein großes Plakat. „Degenfeld gratuliert seiner Weltmeisterin“. Gemeint ist Anna Rupprechts, die den Titel MixedTeamwettbewerb bei den SkisprungWeltmeisterschaften 2021 in Oberstdorf errungen hat.
Durchs Schweinetal geht’s hinauf auf den Albtrauf. Wenn beim nächsten Abstieg plötzlich Schloss Weissenstein zwischen den Bäumen auftaucht, ist das Tourende fast schon erreicht. Der Weg führt direkt durch den Privatbesitz der Familie Kage, der auch als Hochburg der Mikrofotografie bekannt ist und das „Institut für wissenschaftliche Fotografie“beherbergt. Ins dazugehörende Museum kommt man derzeit nur mit Anmeldung.
Die restlichen, flachen Kilometer durch den Buchenwald sind ein Kinderspiel. Zumal die Zivilisation von Nenningen mit kulinarischen Angeboten lockt – zum Beispiel mit Kaffee und einem gigantischen Himbeerkuchen auf der Terrasse der Landbäckerei Geiger mit ihren freundlichen Bedienungen.
Die 16 Löwenpfade (von vier bis 24 Kilometern Länge) sind allesamt Rundwanderungen und können in beide Richtungen gelaufen werden. Qualität steht dabei immer im Vordergrund. Das gilt auch für die Beschilderung: Verlaufen ist (fast) unmöglich. Die Heldentour mit ihren knapp 24 Kilometern Länge und 800 Höhenmetern wird als schwer eingestuft. Leichter wird’s, wenn man sie in zwei Etappen bewältigt und in Nenningen übernachtet – oder im Wanderheim Franz-Keller-Haus des Schwäbischen Albvereins. Das geht dort vermutlich erst wieder ab Oktober, einkehren ist aber täglich möglich. Alle Informationen unter www.loewenpfade.de, www.schlossweissenstein.de, www.franz-keller-haus.de