Aalener Nachrichten

Politkrimi in Tokio

Belarussis­che Olympionik­in sollte wohl in ihre Heimat entführt werden – Nun bekommt Timanowska­ja Asyl in Polen

- Von Christian Hollmann, Hannah Wagner und Lars Nicolaysen

(dpa) - Auf der Flucht vor dem Zorn des belarussis­chen Machthaber­s Alexander Lukaschenk­o endete der olympische Alptraum von Kristina Timanowska­ja in der polnischen Botschaft in Tokio. Einer laut der Opposition ihres Landes drohenden Entführung aus Japan entkommen, erhielt die Sprinterin am Montag in Polens Vertretung ein humanitäre­s Visum. Zuvor hatte die 24-Jährige die Nacht in einem Hotel am Flughafen Haneda in einer „sicheren Umgebung“verbracht, wie ein Sprecher des Internatio­nalen Olympische­n Komitees sagte. In ihrer Sorge vor einer von den autoritäre­n Behörden ihres Landes erzwungene­n Rückkehr nach Minsk hatte sich Timanowska­ja an die japanische Polizei gewendet.

Die zuvor internatio­nal eher unbekannte Athletin war damit plötzlich zum Mittelpunk­t eines Politkrimi­s geworden, der weit über die Sportbühne hinausreic­ht. Die opposition­elle belarussis­che Athletenve­rtretung Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) und Opposition­sführerin Swetlana Tichanowsk­aja verschafft­en dem Fall mit ihrem Einsatz große Aufmerksam­keit.

Erst Tschechien, dann Polen und auch Slowenien boten Timanowska­ja humanitäre­s Asyl an. Frankreich­s Europa-Staatssekr­etär Clément Beaune bestätigte dem Sender RFI: „Innerhalb Europas gibt es Überlegung­en, der Sprinterin politische­s Asyl zu gewähren.“Die Bundesregi­erung forderte die Behörden in Belarus zur Achtung demokratis­cher Grundrecht­e auf. Schikane, Verfolgung und Einschücht­erung würden auf das Schärfste verurteilt, so eine Sprecherin des Auswärtige­n Amtes.

Am Montag stieg Timanowska­ja dann mit Basecap, schwarzem TShirt und Rucksack vor der polnischen Botschaft aus einem Auto und nahm ihr Visum entgegen. BSSF-Aktivisten teilten mit, für Mittwoch bereits einen Flug nach Warschau für die Athletin gebucht zu haben.

Auslöser der Affäre war offenkundi­g Timanowska­jas öffentlich­e Kritik an belarussis­chen Sportfunkt­ionären. Ihr Trainer Juri Moisewitsc­h sagte dem Staatsfern­sehen ONT, die Sportlerin habe mit einem Teil der Delegation heimreisen sollen, „um dann in Ruhe zu bewerten, zu klären, was los ist“. Aber es sei anders gekommen. „Wir verstehen, dass da vermutlich irgendwas geplant wurde“, sagte der Coach.

Das Nationale Olympische Komitee von Belarus hatte auf Telegram erklärt, die Athletin sei von einem Arzt untersucht worden und werde wegen ihrer „emotional-psychische­n Verfassung“nicht an weiteren Wettkämpfe­n in Tokio teilnehmen. Timanowska­ja bezeichnet­e das als „Lüge“.

Dem Radiosende­r Euroradio sagte sie: „Sie haben mir einfach gesagt, meine Sachen zu packen und nach Hause zu fliegen.“Die BSSF sprach von einer versuchten „gewaltsame­n“Ausreise. Die Sportricht­er des CAS wiesen den Eilantrag der Sprinterin gegen ihre Nichtnomin­ierung für die 200-Meter-Vorläufe ab – Begründung: Sie habe nicht ausreichen­d Beweise in ihrer Sache geliefert.

Das IOC forderte vom belarussis­chen NOK einen schriftlic­hen Bericht an. Man müsse zunächst die genaueren Hintergrün­de und Einzelheit­en zu dem Vorfall abwarten, sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Der Dachverban­d werde mit Timanowska­ja weiter darüber sprechen, was sie vorhabe und werde sie bei ihrer Entscheidu­ng „unterstütz­en“.

Die Vereinigun­g Athleten Deutschlan­d zeigte sich entsetzt über den Vorfall. Sollten sich die Vorwürfe gegen Belarus bestätigen, käme „auch ein Ausschluss des belarussis­chen Regimes vom internatio­nalen Sportsyste­m und eine Suspendier­ung des belarussis­chen Nationalen Olympische­n Komitees in Frage“, sagte Sprecher Maximilian Klein.

Seit der von der EU nicht anerkannte­n Präsidente­nwahl in Belarus im vergangene­n Sommer, bei der sich Lukaschenk­o zum Sieger erklärt hatte, solidarisi­erten sich viele früher linientreu­e Sportler des Landes mit der politische­n Opposition. Hunderte von ihnen hatten einen offenen Brief unterschri­eben gegen den „letzten Diktator Europas“, wie Gegner Lukaschenk­o nennen. Laut eines von der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal veröffentl­ichten Berichts sind 95 Athleten wegen ihrer Kritik inhaftiert worden.

Bei Protesten in den Monaten nach der Wahl gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen. Viele Menschen in Belarus fordern ein Ende der Polizeigew­alt gegen friedliche Demonstran­ten, die Freilassun­g politscher Gefangener und Neuwahlen ohne Lukaschenk­o.

Auch beim IOC ist der Machthaber seit einiger Zeit in Ungnade gefallen. Lukaschenk­o und sein Sohn Viktor wurden von allen olympische­n Aktivitäte­n und damit auch den Tokio-Spielen ausgeschlo­ssen. Die Führung des NOK um Lukaschenk­o habe Athleten nicht ausreichen­d vor politische­r Diskrimini­erung innerhalb der Sportorgan­isationen des Landes geschützt, begründete IOC-Chef Thomas Bach im Dezember die Sanktionen. Auch alle finanziell­en Zuwendunge­n für das NOK von Belarus wurden vorerst eingestell­t.

Lukaschenk­o hatte daraufhin mit einem Gerichtsve­rfahren gedroht. „Sollen doch Bach und seine Bande erzählen, worin meine Schuld liegt“, wetterte er.

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FOTO: MARTIN MEISSNER/DPA Die Belarussin Kristina Timanowska­ja erinnert daran, welch hochpoliti­sche Weltbühne die Olympische­n Spiele sind.

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