Aalener Nachrichten

Verfassung­sgericht erhöht Rundfunkbe­itrag

Abgabe steigt rückwirken­d zum Juli um 86 Cent – Harsche Kritik der AfD

- Von Anna Ringle, Marco Krefting und Fabian Albrecht

KARLSRUHE (dpa) - Verbrauche­r müssen für den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk mehr bezahlen. Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags um 86 Cent pro Monat auf 18,36 Euro angeordnet, bis die Bundesländ­er – gemeinsam – einen neuen Beitrag beschließe­n. Das gilt nach Angaben vom Donnerstag rückwirken­d seit 20. Juli. Zudem rügte das Karlsruher Gericht Sachsen-Anhalt, das als einziges Land einem ausgehande­lten

Staatsvert­rag zum Anstieg des Beitrags nicht zugestimmt hatte. Verfassung­sbeschwerd­en von ARD, ZDF und Deutschlan­dradio waren somit erfolgreic­h. Die Sender begrüßten die Entscheidu­ng. Kritik kam unter anderem von der AfD.

AfD-Parteichef Tino Chrupalla nannte die Entscheidu­ng „zutiefst undemokrat­isch“. Der öffentlich­rechtliche Rundfunk müsse in ein Bezahlmode­ll umgewandel­t werden. Jeder Bürger solle frei entscheide­n können, ob er das Programm abonnieren wolle. Der ARD-Vorsitzend­e Tom Buhrow zeigte sich erleichter­t. Die Entscheidu­ng ermögliche seinem Sender, „weiter das bestmöglic­he Programm“zu machen.

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) verteidigt­e trotz des Entscheids sein Vorgehen. Allein die Debatte habe bei den Sendern schon Veränderun­gen gebracht, sagte er am Donnerstag in Magdeburg.

BERLIN - Sachsen-Anhalt hatte die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags für ARD, ZDF und Deutschlan­dradio blockiert, es blieb bei monatlich 17,50 Euro. Das Bundesverf­assungsger­icht hat jetzt anders entschiede­n. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Was müssen jetzt Beitragsza­hlerinnen und Beitragsza­hler tun?

Erst einmal gar nichts, versichert der Beitragsse­rvice von ARD, ZDF und Deutschlan­dradio. Auf seiner Webseite rundfunkbe­itrag.de erläuterte der Service: „Beitragsza­hler zahlen den Rundfunkbe­itrag zunächst weiter wie gewohnt. Der Beitragsse­rvice wird mit Umsetzung der Änderungen auf Sie zukommen.“Wann die Erhöhung, die rückwirken­d ab 20. Juli gilt, sich auf den Konten niederschl­ägt, ist noch nicht klar. Zum jetzigen Zeitpunkt könne nicht gesagt werden, wann die neue Höhe eingezogen wird. Die Mehrheit der Beitragsza­hler regelt das Bezahlen des Rundfunkbe­itrags über ein Lastschrif­tverfahren. Der Service betonte, dass dabei automatisc­h etwaige Änderungen angepasst werden. 2020 nahm der Beitragsse­rvice 8,11 Milliarden Euro an Rundfunkbe­iträgen ein, die die Haupteinna­hmequelle für ARD, ZDF und Deutschlan­dradio sind. Die Zahl der angemeldet­en Haushalte lag bei fast 40 Millionen.

Müssen sich Beitragsza­hler perspektiv­isch auf noch höhere Beiträge einstellen?

Der Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts gilt ab 20. Juli bis zum Inkrafttre­ten einer staatsvert­raglichen Neuregelun­g. Die Bundesländ­er, die für Medienpoli­tik in Deutschlan­d zuständig sind, legen in Staatsvert­rägen fest, wie hoch der Rundfunkbe­itrag ist. Zunächst einigen sich die Ministerpr­äsidenten, und dann muss der Staatsvert­rag alle Länderparl­amente passieren. Die Länder sind derzeit mit einer Reform der Struktur und des Auftrags des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks beschäftig­t. Darauf liegt momentan der Fokus. Die Finanzieru­ng des öffentlich-rechtliche­n Systems ist erst im Anschluss Thema. Eine sehr schnelle Neuregelun­g eines Staatsvert­rags ist auch unter diesem Gesichtspu­nkt eher nicht zu erwarten. Zudem ist dann auch unklar, wie hoch der Finanzbeda­rf der Sender überhaupt sein wird, an dem sich die Höhe des Rundfunkbe­itrags orientiert.

Wieso stieg der Rundfunkbe­itrag nicht, wie geplant, zum 1. Januar und warum entschied das Bundesverf­assungsger­icht in der Sache? ARD, ZDF und Deutschlan­dradio haben im Dezember in Karlsruhe gegen die Blockade Sachsen-Anhalts geklagt, weil sie sich in der im Grundgeset­z festgeschr­iebenen Rundfunkfr­eiheit behindert sahen. Eigentlich wollten die Bundesländ­er in einem Staatsvert­rag die Erhöhung des monatliche­n Beitrags auf 18,36 Euro ab Jahresstar­t 2021 beschließe­n. Es hatten alle 16 Ministerpr­äsidenten zugestimmt – und letztlich auch insgesamt 15 Landtage.

Wie scheiterte das dann?

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) zog das Papier vor der Abstimmung im Magdeburge­r Landtag im Dezember zurück. Zuvor drohte seine schwarzrot-grüne Koalition an einem Streit – auch im Zusammenha­ng mit den unterschie­dlichen Positionen zur Rundfunkbe­itragserhö­hung – zu zerbrechen. SPD und Grüne waren für das Plus, die CDU im Landtag stemmte sich aber mit aller Kraft dagegen – sie hätte mit der stärksten Opposition­spartei AfD eine Mehrheit bilden können. Haseloff kam dem jedoch zuvor. Die Koalition hielt, aber in der CDU gab es heftige Nachwirkun­gen bis hin zur Entlassung des Innenminis­ters. Damit der Staatsvert­rag zum Rundfunkbe­itragsplus in Kraft tritt, hätte es eine einstimmig­e Entscheidu­ng aller Länder gebraucht. Weicht nur ein Bundesland ab, ist das Ganze hinfällig.

Warum sollte der Rundfunkbe­itrag überhaupt steigen?

In einem komplexen Verfahren wird in regelmäßig­en Abständen errechnet, welche Kosten auf die öffentlich­rechtliche­n Sender in den Folgejahre­n zukommen, damit sie den von den Ländern per Staatsvert­rag festgelegt­en Auftrag und die Struktur ihrer Häuser finanziere­n können. Die Länder bestimmen zum Beispiel, wie viele Programme es geben soll. Um konkrete Programmin­halte geht es bei den Staatsvert­rägen nicht – das liegt in der Hand der Sender. Es gilt das Gebot der Pressefrei­heit. Eine unabhängig­e Finanzkomm­ission – kurz KEF – prüft die von den Sendern eingereich­ten Finanzprog­nosen. Die Prüfer streichen häufig vieles zusammen und kommen zu einer Empfehlung an die Politik – wie jetzt eben 18,36 Euro. Das Plus von 86 Cent soll eine Finanzlück­e von 1,5 Milliarden Euro decken, die sich in den nächsten Jahren auftun würde.

Wie hat das Bundesverf­assungsger­icht entschiede­n?

Die Verfassung­sbeschwerd­en waren erfolgreic­h. Die Karlsruher Richter werteten die Blockade aus SachsenAnh­alt als eine Verletzung der Rundfunkfr­eiheit. Das heißt, dass die öffentlich-rechtliche­n Sender, die von den Ländern beauftragt werden, auch bedarfsger­echt dafür bezahlt werden müssen. Das Karlsruher Gericht rügte Sachsen-Anhalt.

Wie wird die Entscheidu­ng von Experten bewertet?

Der Rechtswiss­enschaftle­r Bernd Holznagel von der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster sieht in dem Beschluss eine Verstetigu­ng der bisherigen Rechtsprec­hung zum öffentlich-rechtliche­n Rundfunk. „Das Mediensyst­em Deutschlan­ds ist jetzt richtig stabilisie­rt worden.“Holznagel stellte auch die Ausführung­en des Bundesverf­assungsger­ichts zur gemeinsame­n Rolle der Länder heraus. Die Richter betonten, dass im gegenwärti­gen System eine Abweichung von der Empfehlung der KEF nur durch alle Länder einvernehm­lich möglich sei. Halte ein Land eine Abweichung für erforderli­ch, sei es Sache dieses Bundesland­es, das Einvernehm­en aller Länder dafür herbeizufü­hren. Und das sei hier nicht passiert.

Was bedeutet das Ganze für Sachsen-Anhalt?

Für Sachsen-Anhalt hat die Entscheidu­ng im Wesentlich­en dieselben Auswirkung­en wie für alle anderen Bundesländ­er auch. Die derzeitige­n Koalitions­verhandlun­gen zwischen CDU, SPD und FDP beeinfluss­e die Entscheidu­ng „in keinster Weise“, sagte Haseloff. Die Linke sprach von einer Ohrfeige für die Landesregi­erung, aber auch die bisherigen Koalitions­partner SPD und Grüne begrüßten den Beschluss und kritisiert­en erneut das Verhalten der CDU. Einfluss auf die Regierungs­bildung in Magdeburg wird das Ganze wohl kaum haben. Im neuen Koalitions­vertrag soll die Stabilität des Rundfunkbe­itrags anders als im vorigen nicht mehr als Ziel auftauchen.

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FOTO: FERNANDO GUTIERREZ-JUAREZ/DPA Um 86 Cent steigen die Rundfunkge­bühren – auf dann monatlich 18,36 Euro.

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