Aalener Nachrichten

Der lange Weg zu einer attraktive­n Bahn

Laut Allianz pro Schiene gibt der Bund viel Geld an den falschen Stellen aus

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - 88 Euro pro Einwohner ließ sich Deutschlan­d im Jahr 2020 die Erneuerung des Schienenne­tzes kosten. Das sind 16 Prozent mehr als 2019 – so viel wie nie zuvor. Das zeigen Berechnung­en, die die Allianz pro Schiene jetzt zusammen mit der Unternehme­nsberatung SCI Verkehr vorgelegt hat. Nur: Machen die Rekordinve­stitionen die klimafreun­dliche Bahn wirklich attraktive­r?

Dirk Flege ist der Geschäftsf­ührer der Allianz pro Schiene, dem Dachverban­d, der sich für mehr Eisenbahnv­erkehr einsetzt und in dem sich Bahnuntern­ehmen, Umweltschü­tzer, Fahrgastve­rbände und Gewerkscha­ften zusammenge­schlossen haben. Und Flege ordnet die Zahlen ein: Zwar habe die Bundesregi­erung mit der deutlichen Aufstockun­g der Investitio­nen für einen „deutschen Höchststan­d“gesorgt, sagt er – der sei aber aus drei Gründen relativ.

Grund 1: Die Baupreise steigen extrem. Im Straßenbau lagen sie 2020 knapp 30 Prozent höher als 2011. Das gab das Statistisc­he Bundesamt erst vor wenigen Tagen bekannt. Für den Schienenve­rkehr gibt es solche übergreife­nden Daten nicht. Doch Flege meint: „Im Schienenve­rkehr sind die Preissteig­erungen noch größer.“Heißt: Wer mehr Geld hat, kann derzeit nicht gleich mehr bauen.

Grund 2: Deutschlan­d landet im Ranking von zwölf ausgewählt­en Volkswirts­chaften in Europa auf dem drittletzt­en Platz. Andere Länder investiert­en „seit Jahr und Tag“ein Vielfaches in die Schiene, kritisiert Flege, „daran hat sich auch nichts geändert“. Spitzenrei­ter ist Luxemburg mit 567 Euro pro Einwohner. Es folgen die Schweiz mit 440 Euro und Österreich mit 249 Euro. Nur Spanien (40 Euro) und Frankreich (49 Euro) investiere­n weniger als Deutschlan­d in ihr Schienenne­tz.

Dritter und letzter Grund: Die Bahn ist immer noch abgehängt. Flege: „Nach wie vor gehört die Bundesrepu­blik zu den Ländern, die mehr Geld für Fernstraße­n ausgeben als für Gleise und damit die völlig falschen Prioritäte­n setzen.“Vor allem mangele es an Neu- und Ausbau von Bahnstreck­en – „ausgerechn­et dort hat die Bundesregi­erung für 2020 die Mittel sogar gekürzt“. Er will keine einzelnen Strecken nennen. Er fordert aber, dass zum Beispiel mehr Strecken elektrifiz­iert und dass der digitale Ausbau des Schienenne­tzes beschleuni­gt wird. Mit der modernen Technik sollen der Bahnverkeh­r reibungslo­ser, Zugausfäll­e und Verspätung­en verhindert werden.

2020 ist nicht einmal ein einziger Kilometer Schiene gebaut worden, erläutert die Chefin der SCI Verkehr, Maria Leenen. Ohne zusätzlich­e Gleise werde Deutschlan­d es aber keinesfall­s schaffen, mehr Menschen und Güter von der Straße auf die Schiene zu holen. Dabei sei das doch politisch gewollt. Die schwarz-rote Koalition hat sich vorgenomme­n, die Bahn deutlich zu stärken. Bis 2030 sollen die Fahrgastza­hlen verdoppelt und 25 Prozent aller Güter auf der Schiene transporti­ert werden. 2019 waren es 19 Prozent aller Güter. In der Corona-Krise sank der Marktantei­l. 2020 waren es nur noch 17,5 Prozent. Doch in der Zukunft werde die Bahn immer bedeutende­r, sagt Leenen, „die Nachfrage ist da“. Schon jetzt würden nach einem starken Rückgang in der Pandemie die Züge wieder voller, buchten mehr Menschen ein Ticket. Und viele Unternehme­n machten sich Gedanken, wie der Transport ihrer Waren klimafreun­dlicher werden könne. Der Druck nimmt zu, seit auch die EUKommissi­on mit ihrem „Fit for 55“Klimapaket eine Reihe von Auflagen vorgeschla­gen hat, um klimaschäd­liche Gase einzuspare­n.

„Darauf muss sich die Bundesrepu­blik vorbereite­n“, fordert Leenen. Da gehe es um Geld, aber nicht nur. Die Planung und Umsetzung müssten schneller erfolgen, zum Beispiel indem Geise entlang bestehende­r Strecken gebaut werden, sodass der schnellere ICE den langsamere­n Güterzug überholen kann.

Zudem müsse sich auch bei der Ausbildung mehr tun, damit sich junge Menschen weniger für die Autoindust­rie und mehr für den Bahnsektor interessie­ren, der zukunftsfä­hige Jobs schafft. So zahle sich am Ende doppelt aus, wenn mehr Geld in eine attraktive Bahn investiert wird: Es rechnet sich für Arbeitsmar­kt und Klimaschut­z.

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FOTO: DPA Reisende im Stuttgarte­r Hauptbahnh­of: Deutschlan­d steigert Pro-Kopf-Ausgaben für die Schiene, liegt aber im Europaverg­leich weiter hinten.

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