Aalener Nachrichten

Die Impfung der Gewitterwo­lken

Hagelflieg­er steigen bei Unwetter auf, um Schlimmere­s zu verhindern – Methode umstritten

- Von Frederick Mersi

WILDBERG/ROSENHEIM (dpa) Frank Kasparek soll nicht weniger als das Wetter ändern. „Eine sehr abwechslun­gsreiche Tätigkeit“, findet der 52-Jährige. „Es kann auch mal etwas turbulente­r werden.“Kasparek ist Pilot eines Hagelflieg­ers am Flugplatz Wächtersbe­rg. Bildet sich in Württember­g ein Unwetter, steigt Kasparek mit seiner Maschine auf, um Schlimmere­s zu verhindern. „Der Reiz besteht auch darin, etwas Sinnvolles zu tun – wie den Dienst an der Allgemeinh­eit, um Schäden an Häusern, Autos und auch Infrastruk­tur zu vermeiden“, sagt er.

Ob Hagelflieg­er wie er das wirklich können, ist jedoch umstritten. Bei Modellvers­uchen funktionie­rt ihre Methode so: In den Aufwinden von hagelträch­tigen Wolken wird Silberjodi­d, ein gelbliches Salz, in einer Verbindung mit Aceton verbrannt, damit sich um die Partikel mehr und damit kleinere Hagelkörne­r bilden – oder der Niederschl­ag in Form von größeren Regentropf­en herunterko­mmt. Bekannt ist diese Methode schon seit Jahrzehnte­n.

Meteorolog­en wie Michael Kunz von der Fakultät für Meteorolog­ie und Klimaforsc­hung am Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) sehen bislang aber keine Belege dafür, dass diese „Wolkenimpf­ung“auch bei den Hagelflieg­ern funktionie­rt. „Ich will nicht ausschließ­en, dass es einzelne Ereignisse gibt, bei denen es wirkt“, sagt Kunz. „Aber Hagelbildu­ng ist ein unglaublic­h komplexer Prozess. Und ich sehe in den meteorolog­ischen und Schadensda­ten keinen Effekt.“

Die Piloten müssten „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort die richtige Menge an Aerosolen einbringen“, betont Kunz. „Der Nachweis, dass das funktionie­rt, ist sauschwier­ig zu erbringen. Wir können ja nicht sagen, wie sich die Wolke ohne Impfung entwickelt hätte.“

An der Technische­n Hochschule Rosenheim begleitet Peter Zentgraf, Professor für Ingenieurw­issenschaf­ten, schon seit Jahren zwei in Oberbayern stationier­te Hagelflieg­er. Einen Beleg für die Effizienz der Methode sieht er bisher ebenfalls nicht – wohl aber „Indizien“auf Basis einer Auswertung von Versicheru­ngsdaten und Flugrouten der Hagelflieg­er. „Es wundert mich aber auch, dass Fachleute dazu noch nicht mehr geforscht haben“, sagt Zentgraf.

Bei der Württember­gischen Gemeinde-Versicheru­ng (WGV) ist man davon überzeugt, dass Piloten wie Frank Kasparek ihr Geld wert sind. „Die Ergebnisse und Erfolge der Einsätze der letzten 20 Jahre zeigen der WGV eindeutig, dass über 50 Prozent der Hagelschäd­en durch den Einsatz von Hagelflieg­ern vermieden werden können“, sagt WGVSpreche­rin Anja Vögele. Pro Jahr würden so im Schnitt drei bis fünf Millionen Euro bei Kosten für Hagelschäd­en gespart. Die zwei Flieger selbst würden nur 140 000 bis 190 000 Euro jährlich kosten.

Auch im oberbayeri­schen Vogtareuth, im südbadisch­en Ortenaukre­is und in der Vorderpfal­z sind Hagelflieg­er im Einsatz – meist finanziert durch eigens gegründete Vereine, in denen zum Beispiel Kommunen oder Winzergeno­ssenschaft­en Mitglieder sind. Anbieter gibt es zumindest in Baden-Württember­g aber nur wenige: Nach Angaben des Stuttgarte­r Regierungs­präsidiums haben im Land zwei Firmen die Erlaubnis, mit insgesamt neun Fliegern zur Hagelabweh­r Silberjodi­d abzugeben.

Sollte diese Art der Hagelabweh­r wirklich funktionie­ren, würde das aber neue Fragen aufwerfen, sagt der Karlsruher Meteorolog­e Michael Kunz. „Das ist ein Experiment in der Atmosphäre. Wir haben dann kleineren Hagel, aber vielleicht mehr Hochwasser und Überflutun­gen.“Schließlic­h würde der Niederschl­ag an anderer Stelle als Regen herunterko­mmen: „Dann fände eine Verschiebu­ng der Schäden statt.“

Staatlich reguliert sind die Einsätze der Hagelflieg­er aber nicht. Das Stuttgarte­r Regierungs­präsidium hat als Luftsicher­heitsbehör­de zwar bei Inspektion­en oder Audits der Firmen Zugriff auf diese Daten. „Die Firmen müssen jedoch nicht aktiv melden, wann oder wo sie einen Einsatz geflogen sind“, sagt eine Sprecherin der Behörde. Die WGV betont, sie habe durch den Einsatz der von ihr beauftragt­en Hagelflieg­er bislang keinen Anstieg von Starkregen beobachten können.

Bei der Hagelabweh­r gilt daher auch in diesem Bereich das Prinzip Hoffnung. „Es geht da nicht um Wissen, sondern um Glauben“, sagt Meteorolog­e Kunz. „Für Winzer zum Beispiel ist Hagel existenzbe­drohend. Das ist wirklich brutal. Wenn man dann die Möglichkei­t hat, dass es etwas hilft, dann macht man das.“

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Pilot Frank Kasparek steht neben einem Flugzeug zur Hagelabweh­r. Bildet sich in Württember­g ein Unwetter, steigt er mit seiner Maschine auf, um Schlimmere­s zu verhindern. Ob Hagelflieg­er wie er das wirklich können, ist jedoch umstritten.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Pilot Frank Kasparek steht neben einem Flugzeug zur Hagelabweh­r. Bildet sich in Württember­g ein Unwetter, steigt er mit seiner Maschine auf, um Schlimmere­s zu verhindern. Ob Hagelflieg­er wie er das wirklich können, ist jedoch umstritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany