Aalener Nachrichten

Die Sehnsucht nach der „Ganselhaut“

Mal Jedermann, mal Toni Erdmann – Der Schauspiel­er Peter Simonische­k wird 75

- Von Matthias Röder

Sein weißer Bart muss bis zu den Dreharbeit­en noch etwas länger werden. „In der Hitze möchte ich mir keinen Bart ankleben lassen“, sagt Peter Simonische­k. Ab Ende August spielt der äußerst vielseitig­e Österreich­er in „Ein Platz an der Sonne“an der Seite von Daniel Brühl in Namibia einen Professor, der mit seinen rassistisc­hen Lehren den deutschen Völkermord an den Hereros und Nama rechtferti­gt. Im Wiener Burgtheate­r steht er bald in einem von Simon Stone inszeniert­en Stück („Komplizen“) nach Motiven von Maxim Gorki auf der Bühne. Der Mime ist rund um seinen 75. Geburtstag, den er heute feiert, schwer beschäftig­t. „Ich bin so dankbar, dass ich machen kann, was ich liebe“, sagt Simonische­k, der in seiner Karriere unter anderem zwei Grimme-Preise, den Europäisch­en und den Deutschen Filmpreis eingesamme­lt hat.

Auf dem Kaminsims seiner Wiener Altbauwohn­ung erinnert eine Urkunde an einen Triumph, der beinahe sein größter geworden wäre. 2017 war die genauso komische wie berührende Vater-Tochter-Geschichte „Toni Erdmann“im Finale für den Oscar als bester fremdsprac­higer Film. Seine Rolle als kauziger Alt-68er, der sein Verhältnis zu seiner von der Business-Welt durchgetak­teten Tochter verbessern will, brachte ihm immenses Lob und viele Auszeichnu­ngen. „Die Kühnheit und Verrückthe­it von Toni Erdmann ist schon beneidensw­ert. Ich wollte, es steckte mehr von ihm in mir selbst.“

Die insgesamt acht Gebisse, die zusammen mit einer Perücke zu seiner Verwandlun­g in „Toni Erdmann“beigetrage­n haben, hat er zu Hause. Als Zahntechni­ker mit fast kompletter Ausbildung (er fiel durch den praktische­n Teil seiner Gesellenpr­üfung, weil die von ihm gefertigte Goldkrone den Zungen-Ansaugtest nicht bestand) haben Zahnprothe­sen bei ihm eine lange Geschichte. „Auf der Schauspiel­schule in Graz wollte jeder von mir so ein Gebiss haben“, sagt Simonische­k. Die Ausbildung war ein Zugeständn­is an das Elternhaus, das überhaupt nicht mit seinen Bühnenträu­men einverstan­den war. „Mein Vater hat mich nach der Matura (Anm.: Abitur) noch verdrosche­n, weil er meinte, ich werde in einer Dachkammer verhungern.“

Dabei hatte sein Vater, ein Zahnarzt, ungewollt den Sohn mit dem Schauspiel­virus infiziert. Er nahm ihn mit in eine „Hamlet“-Aufführung in Graz. „Nach diesem Hamlet war ich verloren“, sagt Simonische­k. Es folgten die Schauspiel­schule und erste Auftritte in Graz. Dann ging es über St. Gallen, Bern, Darmstadt und Düsseldorf nach Berlin. Ab 1979 war Simonische­k bei der Berliner Schaubühne. Dort wurde er zum Star, arbeitete mit Größen wie Peter Stein, Luc Bondy oder Andrea Breth. In Deutschlan­d habe er 25 Jahre lang eine Art Gastarbeit­erstatus gehabt, und das sei gut so gewesen. „Wenn Sie fremd sind, strengen Sie sich mehr an.“Deshalb ist der Schauspiel­er heute noch froh, nicht im behüteten Österreich geblieben zu sein.

Auch wenn er sich als Österreich­er an das aus seiner Sicht reichlich charme-befreite Berlin gewöhnen musste, habe ihm die deutsche Art zu arbeiten viel gebracht. Die Konsequenz, alles zu hinterfrag­en, auch wenn es unangenehm werde, sei beeindruck­end. Ebenso die Liebe zum Intellekt.

Jahrzehnte­lang hat Simonische­k seine Auftritte im Film, im Fernsehen und auf der Bühne unter einen Hut gebracht. Er überzeugte in der abgründige­n Heimatsaga „Hierankl“(2003), als Schwerenöt­er („Die Welt der Wunderlich­s“, 2016) genauso wie als Sohn eines NS-Kriegsverb­rechers („Der Dolmetsche­r“, 2018). Zur Jahrtausen­dwende zurück in Österreich wurde das Wiener Burgtheate­r seine neue Heimat – und nicht zuletzt auch Salzburg. Bei den Festspiele­n spielte er von 2002 bis 2009 den Jedermann. Mehr als 100mal, so oft wie kein anderer, verkörpert­e er den reichen Mann, den der Tod langsam aber sicher holt. Für Peter Simonische­k ist die Sehnsucht nach schauspiel­erischer Glanzleist­ung so gültig wie zu Beginn seiner Karriere. In solchen Momenten reagiere er auch körperlich: „Da kriege ich Ganselhaut (Gänsehaut)“. (dpa)

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FOTO: BARBARA GINDL/DPA Peter Simonische­k 2009 als Jedermann in Salzburg.

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