Die Krone kampflos abgegeben
Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul sieht auf der Tribüne den Olympiasieg von Damian Warner
TOKIO (dpa/SID) - Für Niklas Kaul war es ein weiterer schmerzhafter Augenblick, als einen Tag nach seinem Olympia-Aus im Zehnkampf Gold, Silber und Bronze verteilt wurden. „Ganz großen Spaß machte es nicht, weil man selbst auf der Bahn hätte stehen können“, sagte der 23 Jahre alte Weltmeister, der auf der Tribüne des Olympiastadions von Tokio die Kür der Medaillengewinner miterlebte. Der Mainzer Leichtathlet lag bis zu seiner im Hochsprung erlittenen Fußverletzung gut im Rennen, musste dann aber mit Schmerzen aufgeben. „Es ist umso schmerzhafter, aufgeben zu müssen, wenn es gut läuft und man ein Wörtchen hätte mitreden können“, bekannte Kaul.
Ob es gereicht hätte, den neuen „König der Athleten“Damian Warner aus Kanada, der mit überragenden 9018 Punkten Olympiasieger wurde, oder Weltrekordler Kevin Mayer (Frankreich/8726) sowie Ashley Moloney (Australien/8649) von einem Medaillenrang fernzuhalten? Fraglich. So gut wie Warner hatte noch nie ein Zehnkämpfer bei Olympia gepunktet. „Als ich in der 6. Klasse war, habe ich in einem Schulprojekt geschrieben, dass ich eines Tages bei den Olympischen Spielen sein werde – aber wer hätte gedacht, dass ich mal Olympiasieger werde“, sagte der Kanadier, der mit einem letzten Kraftakt über die abschließenden 1500 m die ersehnte 9000erMarke übertraf: „Ich dachte, wenn ich diese 9000 Punkte schaffen will, muss ich jetzt loslegen. Und ich habe alles gegeben, was ich hatte. Es war nicht schön, aber ich habe den Job erledigt.“
Schön war es auch nicht für Kaul, den Triumph seines Konkurrenten aus der Ferne beobachten zu müssen. Die Enttäuschung saß auch am Tag nach dem Ausscheiden noch tief. „Ich bin aber froh, dass mit dem Fuß nix ist. Da sind keine bleibenden Schäden“, berichtete der Pechvogel, der am Ende Glück hatte. Das Sprunggelenk im Fuß wurde beim Absprung über 2,11 Meter nur gequetscht. Eine Kernspintomographie ergab: Nichts gerissen, keine Fraktur. „Dass die Verletzung bei einem Sprung über eine Bestleistung passiert, sorgt für eine Achterbahn der Gefühle“, so Kaul. „Das muss ich erst einmal verarbeiten und meinem Körper die nötige Ruhe geben“, meinte er und zeigte sich zugleich kämpferisch: „Wenn der Fuß wieder voll belastbar ist, beginnt dann das Training für die WM in Eugene und die EM in München. Das Ziel der Olympia-Medaille muss ich mir dann wohl noch für Paris 2024 aufsparen.“
Niklas Kaul trauerte als Zaungast auf der Tribüne nicht nur über das missglückte Olympiadebüt, sondern fieberte mit Trainingspartnerin Carolin Schäfer, die sich wie er Hoffnungen auf eine Medaille gemacht hatte, mit. „Ein bisschen Daumendrücken bekomme ich hin. Es ist ja nur der Fuß, der wehtut“, meinte der traurige WM-Held von 2019 mit Galgenhumor. Die ehemalige WMZweite Schäfer verpasste trotz dieser Unterstützung dennoch wie schon 2016 in Rio de Janeiro, als sie Fünfte wurde, einen Podestplatz. Mit 6419 Punkten kämpfte sich die 29-jährige Frankfurterin trotz eines Rückschlages in der Olympia-Vorbereitung auf den siebten Platz. „Ich bin super glücklich und happy mit dieser Platzierung“, sagte Schäfer. „Der siebte Platz fühlt sich fast an wie eine Medaille. Das macht mich sehr stolz und glücklich.“
Kein Wunder bei der Vorgeschichte. Viel früher als Kaul wäre um ein Haar Schäfer schon vor den Tokio-Spielen auf der Strecke geblieben. Nebenwirkungen einer CoronaImpfung verwandelte die Weltklasseathletin acht Wochen in ein Häuflein Elend. „Mein Nervensystem war lahmgelegt, der Fettstoffwechsel funktionierte nicht“, berichtete Schäfer. „Es war eine herausfordernde Zeit, die viel Kraft gekostet hat.“Für die ehrgeizige Hessin war deshalb schon die Olympiateilnahme ein Gewinn, der Ausgang dennoch eine Niederlage. Sie wollte ihre Edelmetall-Sammlung nach EM-Bronze (2018) und WM-Silber (2017) um eine von den Sommerspielen ergänzen – letztlich ohne Erfolg.
Die fünf Jahre jüngere OlympiaDebütantin Vanessa Grimm vom Königsteiner LV landete mit 6114 Punkten auf den 19. und vorletzten Rang. Olympia-Gold gewann Nafissatou Thiam aus Belgien mit 6791 Zählern. Wacker schlug sich bis zum abschließenden 1500-Meter-Lauf Kai Kazmirek, der einen Zehnkampf mit Höhen und Tiefen erlebte. Der 30-Jährige von der LG Rhein-Wied kam am Ende mit 8126 Punkten auf den 14. Rang. „Der rote Faden hat komplett gefehlt. Ich bin ein bisschen enttäuscht, geschockt und verwundert“, meinte Kazmirek. Immerhin konnte er im Gegensatz zu Kaul den Wettkampf zu Ende bringen.