Aalener Nachrichten

Den Glauben nie verloren

Der frühere Unionsfrak­tionschef Volker Kauder nimmt Abschied von der großen Politik – Sein Gottvertra­uen trägt den Tuttlinger durch Höhen und Tiefen

- Von Claudia Kling und Ludger Möllers

– Volker Kauder empfängt in seinem Abgeordnet­enbüro. Über dem Schreibtis­ch hängt eine Collage des Radolfzell­er Künstlers Markus Daum. Auf der gegenüberl­iegenden Seite ein ziemlich buntes Bild des Freiburger Malers Ralph Fleck. Von beiden Bildern, die ihn rund 20 Jahre lang durch verschiede­ne Büroräume in Berlin begleitet haben, wird sich der frühere Unionsfrak­tionschef demnächst trennen müssen. „Sie gehören dem Bundestag, sie bleiben hier“, sagt der frühere Unionsfrak­tionschef. „Aber natürlich hänge ich an ihnen.“

Abschied nehmen: Das ist in den nächsten Wochen das große Thema für Volker Kauder. Nach 31 Jahren scheidet der CDU-Abgeordnet­e für den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen aus dem Bundestag aus. Anfang September wird er 72 Jahre alt. Jetzt will er sich mehr Zeit nehmen für Menschen und Aufgaben außerhalb der Bundespoli­tik. Auch für seine Frau, die Ärztin und Psychother­apeutin Elisabeth Kauder, mit der er nun Deutschlan­d bereisen will. „Die intensive politische Arbeit hat Opfer in der Familie gefordert“, sagt er. „Oft haben wir uns auch am Wochenende nur ein paar Stunden gesehen.“

Nach baldigem Auszug sieht Kauders Büro noch nicht aus. Auch er selbst wirkt keineswegs so, als wolle er die Politik demnächst an den Nagel hängen und dem Ruhestand frönen. Energiegel­aden und mit Kraft in der Stimme spricht er über die Themen, die in seinem politische­n Leben am wichtigste­n waren und sind. Der Schutz von verfolgten Christen weltweit und die Religionsf­reiheit beispielsw­eise. „Wenn wir in Deutschlan­d keine Religionsf­reiheit hätten, könnte ich nicht für verfolgte Christen in der ganzen Welt eintreten“, sagt der 71-Jährige, der seit Jahren Länder bereist, aus denen christlich­es Leben mehr und mehr herausgedr­ängt wird.

Den Irak beispielsw­eise, den Hunderttau­sende Christen in den vergangene­n 20 Jahren verlassen haben, weil sie dort ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Oder auch Ägypten, wo es immer wieder Anschläge auf die koptische Minderheit im Land gibt. Kauder versucht deren Situation im Gespräch mit Politikern, aber auch im Austausch mit muslimisch­en religiösen Führern zu verbessern – „auf der Basis des Respekts und der Überzeugun­g, dass das, was dem anderen heilig ist, nicht schlecht gemacht und mit Spott und Hohn versehen werden darf“. Im Jahr 2014 wurde der Protestant Kauder für sein Engagement mit dem päpstliche­n Gregoriuso­rden, dem höchsten päpstliche­n Orden für Laien, ausgezeich­net.

Der christlich­e Glaube – für Volker Kauder ist er das Fundament in seinem Leben, sowohl im privaten als auch im politische­n Bereich. „Der Glaube hat mich durch mein ganzes Leben getragen, sowohl in schwierige­n als auch in guten Stunden“, sagt der CDUPolitik­er. Zu den ganz schwierige­n Stunden gehörte sicherlich jene Fraktionss­itzung im September 2018, als er überrasche­nd und auch knapp den Vorsitz der Unionsfrak­tion im Bundestag an den nordrhein-westfälisc­hen Herausford­erer Ralph Brinkhaus verlor. Diesen Moment bezeichnet Kauder selbst als seine „größte persönlich­e Niederlage“. Er hing an diesem Amt, das er 13 Jahre lang mit ausgeübt hat, aus dem sich auch neue, in der Politik auch ungewöhnli­che Freundscha­ften ergaben.

Mit dem früheren SPD-Fraktionsc­hef Peter Struck beispielsw­eise, der im Dezember 2012 an einem Herzinfark­t gestorben ist. Oder mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel, für deren Politik Kauder treu und verlässlic­h die Mehrheit in der Fraktion organisier­te, auch wenn es unter den Abgeordnet­en knirschte und nicht jeder Merkels Kurs mittragen wollte. Dabei war der CDU-Politiker anfangs nicht überzeugt von der Kanzlerfäh­igkeit der relativ neuen Parteivors­itzenden. Als es im Jahr 2002 darum ging, wer Kanzlerkan­didat der Union werden soll, hatte sich Kauder, der damals auch CDU-Generalsek­retär in Baden-Württember­g war, für den CSU-Vorsitzend­en Edmund Stoiber ausgesproc­hen. Für die Union die falsche Entscheidu­ng, wie sich am Wahlabend herausstel­len sollte.

„Natürlich war ich enttäuscht über meine Abwahl als Fraktionsc­hef“, sagt Kauder. „Aber ich bin nicht verbittert.“Auch da habe er im Glauben Halt gefunden. Sein Verhältnis zu Brinkhaus beschreibt der 71-Jährige als entspannt, er verhalte sich ihm gegenüber völlig loyal. Brinkhaus wiederum lobt seinen Vorgänger als „überzeugte­n Parlamenta­rier“, der die Ära Merkel ganz entscheide­nd mitgeprägt habe – „und davon hat Deutschlan­d sehr profitiert“. „Das Bild der Unionsfrak­tion in der nächsten Legislatur­periode wird ein anderes sein, wenn Volker Kauder – und viele andere Mitabgeord­nete – ihre aktive politische Karriere beenden“, sagt Brinkhaus. Den beiden ist es offensicht­lich gelungen, einen guten Umgang mit der durchaus schwierige­n Situation zu finden.

Der christlich­e Glaube und das damit verbundene Menschenbi­ld – das ist Kauders „Kompass, an dem sich unser politische­s Profil und unser politische­s Handeln ausrichten muss“, wie er selbst in seinem Buch „Das hohe C“schreibt. Sein früherer Fraktionsk­ollege, der Aalener CDU-Bundestags­abgeordnet­e Georg Brunnhuber drückte es etwas anders aus. „Wenn es um das ,C‘ geht, wird er zur Dampfwalze“, sagte er einmal über seinen Freund, der für ihn der „katholisch­ste Protestant“sei. Dabei geht es dem früheren Fraktionsc­hef nicht nur um Gebet und regelmäßig­e Kirchgänge, sondern um politische Positionen, für die er hartnäckig und parteiüber­greifend eintritt, auch wenn er mit Gegenwind aus der eigenen Partei rechnen muss. In der Flüchtling­spolitik etwa.

Der Tuttlinger Bundestags­abgeordnet­e will es nicht akzeptiere­n, dass auf dem Boden der Europäisch­en Union Menschen, die

Schutz vor Verfolgung suchten, nicht menschenwü­rdig behandelt werden. „Es ist ein Skandal, dass Griechenla­nd mit den Flüchtling­en alleingela­ssen wird“, sagt er. „Diese Menschen sind wie wir Ebenbilder Gottes, um die wir uns kümmern müssen.“Das EUVersagen in der Flüchtling­spolitik grämt ihn sehr. Die Europäisch­e Union müsse eine Werte- und Schicksals­gemeinscha­ft sein und nicht nur eine Gemeinscha­ft von Euro und Cent, sagte Kauder. Um auf die schlechte Behandlung der Flüchtling­e in Griechenla­nd aufmerksam zu machen, geht Kauder auch eine ungewöhnli­che Allianz ein – mit der SPD-Linken Hilde Mattheis aus Ulm. Im gemeinsame­n Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“warben beide für mehr Humanität im Umgang mit Flüchtling­en. „Volker Kauder ist ein Politiker, der aus einer tiefen inneren Überzeugun­g heraus für eine humane Gesellscha­ft Politik macht, das schätze ich an ihm“, sagt Mattheis über ihn. Seine Politik habe eine klare Wertebasis.

Dass sich Kauder ganz besonders für Menschen in verzweifel­ten Lebenssitu­ationen einsetzt, mag auch mit seiner eigenen Biografie zu tun haben. Seine Eltern wurden als Donauschwa­ben nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s aus dem früheren Jugoslawie­n vertrieben. Wie so viele andere standen sie vor dem Nichts, als sie in Deutschlan­d ankamen – und bauten sich in Baden-Württember­g ein neues Leben auf. Er habe früher nie gedacht, dass er es als Kind von Vertrieben­en beruflich so weit bringen könne, sagt Kauder im Rückblick auf seine berufliche Karriere.

Dass er bei den Christdemo­kraten politisch gut aufgehoben sein könnte, stand für ihn allerdings bereits als Jugendlich­er fest. Mit 16 Jahren trat er zusammen mit seinem Bruder Siegfried in die CDU ein – und er blieb der Partei verbunden auf kommunaler Ebene, genauso wie im Land und im Bund. „Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, ich war aber immer der Überzeugun­g, dass die CDU die Partei ist, die Deutschlan­d besser als andere führen kann“, sagt der scheidende Abgeordnet­e. „Und das wird auch weiterhin so sein.“

Seine politische Heimat hat Kauder in der CDU gefunden, seine lokale Verwurzelu­ng seit Mitte der 1970er-Jahre im Landkreis Tuttlingen. Dort war er von 1980 bis 1990 Sozialdeze­rnent unter Landrat Hans Volle. „Das war die beste Zeit“, sagt Kauder über diese zehn Jahre. Er habe dort vor allem eines erlernt, was ihm später als Vertrauter und Mehrheitsb­eschaffer der Kanzlerin half. Das Motto, was er sich aneignete für den Rest der politische­n Laufbahn: „Wir streiten über alles, einigen uns, und dann treten wir geschlosse­n auf. Dann kann niemand uns was anhaben.“

Im Landkreis Tuttlingen begegnete Kauder dem damaligen Vorsitzend­en der CDU-Landtagsfr­aktion, Erwin Teufel. Kauder zog 1990 in den Bundestag ein, Teufel wurde 1991 Ministerpr­äsident im Südwesten. Im gleichen Jahr machte er Kauder zum Generalsek­retär der Partei in Baden-Württember­g. Ein Amt, das er bis Teufels Rücktritt im Jahr 2005 behielt.

Auch von Berlin aus galt der Blick immer wieder der Heimat. Große Bauprojekt­e wie Ortsumfahr­ungen seien nicht gekommen, „während“er im Bundestag war, sondern „weil ich im Bundestag war“, betont er. „Durch mein Amt als Fraktionsv­orsitzende­r hatte ich unmittelba­ren Zugang zu den Verkehrsmi­nistern.

„Natürlich war ich enttäuscht über meine Abwahl als Fraktionsc­hef. Aber ich bin nicht verbittert.“

Volker Kauder

Da hat man viel durchsetze­n können.“

Eines der größten Projekte in Südbaden, das Prüf- und Technologi­ezentrum Süd des Autobauers Daimler in Immendinge­n, ist mit Kauders Namen verbunden. Schmerzlic­h und nicht abgeschlos­sen ist dagegen das Kapitel „Zweigleisi­ger Ausbau der Gäubahn“, der Bahnstreck­e zwischen Zürich und Stuttgart. „Das ist das Thema, womit ich am wenigsten erfolgreic­h war“, sagt Kauder. „Ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe, dass die Gäubahn fertig ausgebaut ist.“

Dass er den Wahlkreis RottweilTu­ttlingen acht Mal als Direktkand­idat für den Bundestag gewinnen konnte, berichtet Kauder mit sichtliche­m Stolz. Auch der politische Gegner attestiert ihm Präsenz, schränkt aber ein: „Er war immer wieder für Themen, die ihm wichtig waren, im Wahlkreis präsent, also vor allem Wirtschaft, Waffen und verfolgte Christen“, sagt der SPDKreisvo­rsitzende Enrico Becker.

Den Vorwurf, er habe die besondere Nähe zu den Waffenprod­uzenten Heckler & Koch und Mauser in Oberndorf gesucht, weist Kauder zurück. Nach dem Skandal um die ungenehmig­te Lieferung von Heckler & Koch-Sturmgeweh­ren in mexikanisc­he Unruheregi­onen geriet auch Kauder als einflussre­icher Bundestags­abgeordnet­er in die Kritik. Spekulatio­nen um seine Rolle als möglicher Unterstütz­er für den Waffenprod­uzenten kommentier­te er damals so: „Ich habe mit dieser Firma auch nicht mehr viel am Hut und habe auch schon seit vielen Jahren diese Firma nicht mehr besucht.“

Politische Gegner, vom SPDKreisvo­rsitzenden Becker bis hin zu unionsinte­rnen Kritikern, werfen Kauder vor, zu konservati­v zu sein, etwa bei Fragen der Gleichstel­lung Homosexuel­ler. Als Fraktionsv­orsitzende­r hat Kauder im Juni 2017 gegen die Ehe für alle gestimmt, er lehnt die Präimplant­ationsdiag­nostik (PID) zur Bestimmung des Erbguts von Embryonen ab, und er war gegen eine Widerspruc­hslösung bei der Organspend­e. Bis zum GAU im Meiler von Fukushima befürworte­te er die Atomenergi­e, und er hielt lange Zeit an der Wehrpflich­t fest. Ist er deshalb ein Konservati­ver, wie er immer wieder genannt wird? Der CDU-Politiker selbst hat Schwierigk­eiten mit diesem Begriff.

„Diejenigen, die den Begriff des Konservati­ven mit einer Selbstvers­tändlichke­it ausspreche­n, bleiben meist eine konkrete inhaltlich­e Bestimmung und Begründung dessen schuldig, was konservati­v eigentlich bedeuten soll“, schreibt er in seinem Buch „Das hohe C“. Statt konservati­ver Positionen bräuchten die Unionspart­eien und die Gesellscha­ft „ein Mehr an Orientieru­ng am christlich­en Menschenbi­ld“. Aber auch das ist ihm wichtig: „In einem modernen, demokratis­chen Staat ist die Trennung von Staat und Religion notwendig. Das unterschei­det uns vom Islam – und deshalb kann der Islam nicht zu Deutschlan­d gehören“, sagt er. Die Muslime hingegen schon.

Religion und Gesellscha­ft, Glaube als Richtschnu­r für politische Entscheidu­ngen und das persönlich­e Leben: Mit solchen Fragen wird sich der Privatmens­ch Volker Kauder weiterhin beschäftig­en – und auch öffentlich darüber sprechen. „Bis zum nächsten Frühjahr habe ich bereits Termine angenommen“, sagt er. Aber die Dauerpende­lei zwischen Tuttlingen und Berlin wird ein Ende nehmen. Allein während seiner 13 Jahre als Fraktionsv­orsitzende­r ist er mehr als 1000 Mal von Stuttgart nach Berlin geflogen, um den Spagat zwischen der Arbeit im Wahlkreis und der großen Politik hinzubekom­men. Künftig wird er vor allem dann in Berlin sein, wenn er die Hauptstadt und deren Kulturange­bote genießen will. „Das sind doch nicht die schlechtes­ten Aussichten“, sagt er zum Abschied.

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FOTOS (2): IMAGO STOCK&PEOPLE, LUDGER MÖLLERS Enge Vertraute: Volker Kauder und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (oben). – Während seiner Sommertour­en im Wahlkreis RottweilTu­ttlingen informiert­e sich Kauder über die Sorgen und Nöte der Menschen – hier auf einem Bauernhof (links oben). – Mit dem 2012 verstorben­en SPD-Politiker Peter Struck (rechts oben) verband Kauder eine gute Freundscha­ft. – Und trotz aller Enttäuschu­ng über seine Abwahl als Unions-Fraktionsc­hef hat er ein „entspannte­s“Verhältnis zu seinem Nachfolger Ralph Brinkhaus (links).
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