Den Glauben nie verloren
Der frühere Unionsfraktionschef Volker Kauder nimmt Abschied von der großen Politik – Sein Gottvertrauen trägt den Tuttlinger durch Höhen und Tiefen
– Volker Kauder empfängt in seinem Abgeordnetenbüro. Über dem Schreibtisch hängt eine Collage des Radolfzeller Künstlers Markus Daum. Auf der gegenüberliegenden Seite ein ziemlich buntes Bild des Freiburger Malers Ralph Fleck. Von beiden Bildern, die ihn rund 20 Jahre lang durch verschiedene Büroräume in Berlin begleitet haben, wird sich der frühere Unionsfraktionschef demnächst trennen müssen. „Sie gehören dem Bundestag, sie bleiben hier“, sagt der frühere Unionsfraktionschef. „Aber natürlich hänge ich an ihnen.“
Abschied nehmen: Das ist in den nächsten Wochen das große Thema für Volker Kauder. Nach 31 Jahren scheidet der CDU-Abgeordnete für den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen aus dem Bundestag aus. Anfang September wird er 72 Jahre alt. Jetzt will er sich mehr Zeit nehmen für Menschen und Aufgaben außerhalb der Bundespolitik. Auch für seine Frau, die Ärztin und Psychotherapeutin Elisabeth Kauder, mit der er nun Deutschland bereisen will. „Die intensive politische Arbeit hat Opfer in der Familie gefordert“, sagt er. „Oft haben wir uns auch am Wochenende nur ein paar Stunden gesehen.“
Nach baldigem Auszug sieht Kauders Büro noch nicht aus. Auch er selbst wirkt keineswegs so, als wolle er die Politik demnächst an den Nagel hängen und dem Ruhestand frönen. Energiegeladen und mit Kraft in der Stimme spricht er über die Themen, die in seinem politischen Leben am wichtigsten waren und sind. Der Schutz von verfolgten Christen weltweit und die Religionsfreiheit beispielsweise. „Wenn wir in Deutschland keine Religionsfreiheit hätten, könnte ich nicht für verfolgte Christen in der ganzen Welt eintreten“, sagt der 71-Jährige, der seit Jahren Länder bereist, aus denen christliches Leben mehr und mehr herausgedrängt wird.
Den Irak beispielsweise, den Hunderttausende Christen in den vergangenen 20 Jahren verlassen haben, weil sie dort ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Oder auch Ägypten, wo es immer wieder Anschläge auf die koptische Minderheit im Land gibt. Kauder versucht deren Situation im Gespräch mit Politikern, aber auch im Austausch mit muslimischen religiösen Führern zu verbessern – „auf der Basis des Respekts und der Überzeugung, dass das, was dem anderen heilig ist, nicht schlecht gemacht und mit Spott und Hohn versehen werden darf“. Im Jahr 2014 wurde der Protestant Kauder für sein Engagement mit dem päpstlichen Gregoriusorden, dem höchsten päpstlichen Orden für Laien, ausgezeichnet.
Der christliche Glaube – für Volker Kauder ist er das Fundament in seinem Leben, sowohl im privaten als auch im politischen Bereich. „Der Glaube hat mich durch mein ganzes Leben getragen, sowohl in schwierigen als auch in guten Stunden“, sagt der CDUPolitiker. Zu den ganz schwierigen Stunden gehörte sicherlich jene Fraktionssitzung im September 2018, als er überraschend und auch knapp den Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag an den nordrhein-westfälischen Herausforderer Ralph Brinkhaus verlor. Diesen Moment bezeichnet Kauder selbst als seine „größte persönliche Niederlage“. Er hing an diesem Amt, das er 13 Jahre lang mit ausgeübt hat, aus dem sich auch neue, in der Politik auch ungewöhnliche Freundschaften ergaben.
Mit dem früheren SPD-Fraktionschef Peter Struck beispielsweise, der im Dezember 2012 an einem Herzinfarkt gestorben ist. Oder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, für deren Politik Kauder treu und verlässlich die Mehrheit in der Fraktion organisierte, auch wenn es unter den Abgeordneten knirschte und nicht jeder Merkels Kurs mittragen wollte. Dabei war der CDU-Politiker anfangs nicht überzeugt von der Kanzlerfähigkeit der relativ neuen Parteivorsitzenden. Als es im Jahr 2002 darum ging, wer Kanzlerkandidat der Union werden soll, hatte sich Kauder, der damals auch CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg war, für den CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber ausgesprochen. Für die Union die falsche Entscheidung, wie sich am Wahlabend herausstellen sollte.
„Natürlich war ich enttäuscht über meine Abwahl als Fraktionschef“, sagt Kauder. „Aber ich bin nicht verbittert.“Auch da habe er im Glauben Halt gefunden. Sein Verhältnis zu Brinkhaus beschreibt der 71-Jährige als entspannt, er verhalte sich ihm gegenüber völlig loyal. Brinkhaus wiederum lobt seinen Vorgänger als „überzeugten Parlamentarier“, der die Ära Merkel ganz entscheidend mitgeprägt habe – „und davon hat Deutschland sehr profitiert“. „Das Bild der Unionsfraktion in der nächsten Legislaturperiode wird ein anderes sein, wenn Volker Kauder – und viele andere Mitabgeordnete – ihre aktive politische Karriere beenden“, sagt Brinkhaus. Den beiden ist es offensichtlich gelungen, einen guten Umgang mit der durchaus schwierigen Situation zu finden.
Der christliche Glaube und das damit verbundene Menschenbild – das ist Kauders „Kompass, an dem sich unser politisches Profil und unser politisches Handeln ausrichten muss“, wie er selbst in seinem Buch „Das hohe C“schreibt. Sein früherer Fraktionskollege, der Aalener CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Brunnhuber drückte es etwas anders aus. „Wenn es um das ,C‘ geht, wird er zur Dampfwalze“, sagte er einmal über seinen Freund, der für ihn der „katholischste Protestant“sei. Dabei geht es dem früheren Fraktionschef nicht nur um Gebet und regelmäßige Kirchgänge, sondern um politische Positionen, für die er hartnäckig und parteiübergreifend eintritt, auch wenn er mit Gegenwind aus der eigenen Partei rechnen muss. In der Flüchtlingspolitik etwa.
Der Tuttlinger Bundestagsabgeordnete will es nicht akzeptieren, dass auf dem Boden der Europäischen Union Menschen, die
Schutz vor Verfolgung suchten, nicht menschenwürdig behandelt werden. „Es ist ein Skandal, dass Griechenland mit den Flüchtlingen alleingelassen wird“, sagt er. „Diese Menschen sind wie wir Ebenbilder Gottes, um die wir uns kümmern müssen.“Das EUVersagen in der Flüchtlingspolitik grämt ihn sehr. Die Europäische Union müsse eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft sein und nicht nur eine Gemeinschaft von Euro und Cent, sagte Kauder. Um auf die schlechte Behandlung der Flüchtlinge in Griechenland aufmerksam zu machen, geht Kauder auch eine ungewöhnliche Allianz ein – mit der SPD-Linken Hilde Mattheis aus Ulm. Im gemeinsamen Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“warben beide für mehr Humanität im Umgang mit Flüchtlingen. „Volker Kauder ist ein Politiker, der aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus für eine humane Gesellschaft Politik macht, das schätze ich an ihm“, sagt Mattheis über ihn. Seine Politik habe eine klare Wertebasis.
Dass sich Kauder ganz besonders für Menschen in verzweifelten Lebenssituationen einsetzt, mag auch mit seiner eigenen Biografie zu tun haben. Seine Eltern wurden als Donauschwaben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem früheren Jugoslawien vertrieben. Wie so viele andere standen sie vor dem Nichts, als sie in Deutschland ankamen – und bauten sich in Baden-Württemberg ein neues Leben auf. Er habe früher nie gedacht, dass er es als Kind von Vertriebenen beruflich so weit bringen könne, sagt Kauder im Rückblick auf seine berufliche Karriere.
Dass er bei den Christdemokraten politisch gut aufgehoben sein könnte, stand für ihn allerdings bereits als Jugendlicher fest. Mit 16 Jahren trat er zusammen mit seinem Bruder Siegfried in die CDU ein – und er blieb der Partei verbunden auf kommunaler Ebene, genauso wie im Land und im Bund. „Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, ich war aber immer der Überzeugung, dass die CDU die Partei ist, die Deutschland besser als andere führen kann“, sagt der scheidende Abgeordnete. „Und das wird auch weiterhin so sein.“
Seine politische Heimat hat Kauder in der CDU gefunden, seine lokale Verwurzelung seit Mitte der 1970er-Jahre im Landkreis Tuttlingen. Dort war er von 1980 bis 1990 Sozialdezernent unter Landrat Hans Volle. „Das war die beste Zeit“, sagt Kauder über diese zehn Jahre. Er habe dort vor allem eines erlernt, was ihm später als Vertrauter und Mehrheitsbeschaffer der Kanzlerin half. Das Motto, was er sich aneignete für den Rest der politischen Laufbahn: „Wir streiten über alles, einigen uns, und dann treten wir geschlossen auf. Dann kann niemand uns was anhaben.“
Im Landkreis Tuttlingen begegnete Kauder dem damaligen Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Erwin Teufel. Kauder zog 1990 in den Bundestag ein, Teufel wurde 1991 Ministerpräsident im Südwesten. Im gleichen Jahr machte er Kauder zum Generalsekretär der Partei in Baden-Württemberg. Ein Amt, das er bis Teufels Rücktritt im Jahr 2005 behielt.
Auch von Berlin aus galt der Blick immer wieder der Heimat. Große Bauprojekte wie Ortsumfahrungen seien nicht gekommen, „während“er im Bundestag war, sondern „weil ich im Bundestag war“, betont er. „Durch mein Amt als Fraktionsvorsitzender hatte ich unmittelbaren Zugang zu den Verkehrsministern.
„Natürlich war ich enttäuscht über meine Abwahl als Fraktionschef. Aber ich bin nicht verbittert.“
Volker Kauder
Da hat man viel durchsetzen können.“
Eines der größten Projekte in Südbaden, das Prüf- und Technologiezentrum Süd des Autobauers Daimler in Immendingen, ist mit Kauders Namen verbunden. Schmerzlich und nicht abgeschlossen ist dagegen das Kapitel „Zweigleisiger Ausbau der Gäubahn“, der Bahnstrecke zwischen Zürich und Stuttgart. „Das ist das Thema, womit ich am wenigsten erfolgreich war“, sagt Kauder. „Ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe, dass die Gäubahn fertig ausgebaut ist.“
Dass er den Wahlkreis RottweilTuttlingen acht Mal als Direktkandidat für den Bundestag gewinnen konnte, berichtet Kauder mit sichtlichem Stolz. Auch der politische Gegner attestiert ihm Präsenz, schränkt aber ein: „Er war immer wieder für Themen, die ihm wichtig waren, im Wahlkreis präsent, also vor allem Wirtschaft, Waffen und verfolgte Christen“, sagt der SPDKreisvorsitzende Enrico Becker.
Den Vorwurf, er habe die besondere Nähe zu den Waffenproduzenten Heckler & Koch und Mauser in Oberndorf gesucht, weist Kauder zurück. Nach dem Skandal um die ungenehmigte Lieferung von Heckler & Koch-Sturmgewehren in mexikanische Unruheregionen geriet auch Kauder als einflussreicher Bundestagsabgeordneter in die Kritik. Spekulationen um seine Rolle als möglicher Unterstützer für den Waffenproduzenten kommentierte er damals so: „Ich habe mit dieser Firma auch nicht mehr viel am Hut und habe auch schon seit vielen Jahren diese Firma nicht mehr besucht.“
Politische Gegner, vom SPDKreisvorsitzenden Becker bis hin zu unionsinternen Kritikern, werfen Kauder vor, zu konservativ zu sein, etwa bei Fragen der Gleichstellung Homosexueller. Als Fraktionsvorsitzender hat Kauder im Juni 2017 gegen die Ehe für alle gestimmt, er lehnt die Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Bestimmung des Erbguts von Embryonen ab, und er war gegen eine Widerspruchslösung bei der Organspende. Bis zum GAU im Meiler von Fukushima befürwortete er die Atomenergie, und er hielt lange Zeit an der Wehrpflicht fest. Ist er deshalb ein Konservativer, wie er immer wieder genannt wird? Der CDU-Politiker selbst hat Schwierigkeiten mit diesem Begriff.
„Diejenigen, die den Begriff des Konservativen mit einer Selbstverständlichkeit aussprechen, bleiben meist eine konkrete inhaltliche Bestimmung und Begründung dessen schuldig, was konservativ eigentlich bedeuten soll“, schreibt er in seinem Buch „Das hohe C“. Statt konservativer Positionen bräuchten die Unionsparteien und die Gesellschaft „ein Mehr an Orientierung am christlichen Menschenbild“. Aber auch das ist ihm wichtig: „In einem modernen, demokratischen Staat ist die Trennung von Staat und Religion notwendig. Das unterscheidet uns vom Islam – und deshalb kann der Islam nicht zu Deutschland gehören“, sagt er. Die Muslime hingegen schon.
Religion und Gesellschaft, Glaube als Richtschnur für politische Entscheidungen und das persönliche Leben: Mit solchen Fragen wird sich der Privatmensch Volker Kauder weiterhin beschäftigen – und auch öffentlich darüber sprechen. „Bis zum nächsten Frühjahr habe ich bereits Termine angenommen“, sagt er. Aber die Dauerpendelei zwischen Tuttlingen und Berlin wird ein Ende nehmen. Allein während seiner 13 Jahre als Fraktionsvorsitzender ist er mehr als 1000 Mal von Stuttgart nach Berlin geflogen, um den Spagat zwischen der Arbeit im Wahlkreis und der großen Politik hinzubekommen. Künftig wird er vor allem dann in Berlin sein, wenn er die Hauptstadt und deren Kulturangebote genießen will. „Das sind doch nicht die schlechtesten Aussichten“, sagt er zum Abschied.