Aalener Nachrichten

Lokführer-Streik rückt näher

Chaos-Wochen bei der Bahn drohen – Hintergrun­d ist ein heftiger Machtkampf der Gewerkscha­ften

- Von Wolfgang Mulke

FRANKFURT/BERLIN (dpa) - Für Bahnkunden könnten die nächsten Wochen schwierig werden: Die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) treibt ihre Streikplän­e voran. An diesem Montag endet die Urabstimmu­ng, morgen will GDLChef Claus Weselsky das Ergebnis präsentier­en. Er rechnet mit einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent. Die Bahn rief die Gewerkscha­ft abermals auf, noch einmal zu verhandeln. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) mahnte die Tarifparte­ien zur Besonnenhe­it.

BERLIN - Bahnreisen­de und Pendler müssen ab dieser Woche mit Streiks der Lokführer rechnen. Am Dienstag will der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL, Claus Weselsky, das Ergebnis einer Urabstimmu­ng über den Arbeitskam­pf bekannt geben. Er rechnet mit einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent. Anschließe­nd könnte es schnell zu Behinderun­gen im Schienenve­rkehr, zu Verspätung­en oder Zugausfäll­en kommen. Denn es reichen wenige stillgeleg­te Züge an strategisc­h wichtigen Punkten, um den Fahrplan großflächi­g durcheinan­der zu bringen.

Die Arbeitgebe­r haben kein Verständni­s für das Vorgehen. „Es gibt null Notwendigk­eit für einen Streik“, sagt der Personal-Vorstand der Deutschen Bahn AG, Martin Seiler, und fordert die GDL zu einer Lösung des Konflikts auf dem Verhandlun­gsweg auf. Doch die Gewerkscha­ft sieht keinen Einigungsw­illen aufseiten der Arbeitgebe­r und wirft Seiler anhaltende­s „tricksen und täuschen“vor. Die Bahn wolle eine kritische Gewerkscha­ft mundtot machen.

Die Lage ist so verfahren wie schon lange nicht mehr. Es geht zwar vordergrün­dig nur um eine Lohnrunde. Die GDL fordert 3,2 Prozent höhere Entgelte und einen CoronaBonu­s von 600 Euro für ihre Mitglieder. Die Bahn bietet zwar 3,2 Prozent, will dafür aber eine lange Laufzeit von 40 Monaten für den Tarifvertr­ag durchsetze­n und auch keinen Bonus zahlen. Dazu geht es um Regelungen für die Altersvors­orge oder Jobtickets und Beschäftig­ungszusage­n. Die Spielräume der Bahn sind angesichts der finanziell­en Lage des Konzerns gering. Corona hat 2020 und auch in diesem Jahr Milliarden­verluste bei dem Konzern verursacht. Das Unternehme­n hat im Gegenzug für Staatshilf­en massive Einsparung­en zugesagt, die unter anderem von den Beschäftig­ten geschulter­t werden sollen.

Im Hintergrun­d schwelen zwei weitere fundamenta­le Konflikte, die Kompromiss­e erschweren. Die GDL befürchtet den Verlust ihrer Verhandlun­gsmacht. Weil bei der Bahn seit Jahresbegi­nn das Tarifeinhe­itsgesetz (TEG) angewendet wird. Es besagt, dass in jedem Betrieb nur der Tarifvertr­ag der größten Gewerkscha­ft gilt. Das ist bei den rund 300 Betrieben der Bahn in der Regel der Vertrag der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG). In gut 70 Betrieben sind beide Organisati­onen vertreten. Nur in 16 davon hat die Bahn die GDL als führend bestimmt. Wie die Machtverhä­ltnisse tatsächlic­h sind, ist nicht bekannt, weil die Mitglieder­zahlen nicht offengeleg­t werden müssen. Ein Vertrag, der die Koexistenz zweier Tarifvertr­äge regelt, ist Ende letzten Jahres ausgelaufe­n. Die GDL sieht sich an den Rand gedrängt. Das Tischtuch zwischen den beiden Gewerkscha­ften ist schon lange zerschnitt­en. Das ist der dritte Konflikt, der diese Tarifrunde überschatt­et. Im vergangene­n Herbst hat die GDL der EVG offen den Kampf um die

Vorherrsch­aft bei der Bahn angesagt. Konkret will sie nicht mehr nur Lokführer und Zugbegleit­er vertreten, wie es bisher der Fall ist. Sie will der EVG auch in den Instandhal­tungswerke­n und anderen direkt zum Bahnverkeh­r zählenden Betrieben

Mitglieder abjagen. Die Stimmung zwischen den Gewerkscha­ftsmitglie­dern ist angespannt. Die EVG beklagt etliche Übergriffe auf ihre Mitglieder, bis hin zu einer anonym gesandten Gewehrkuge­l an einen ihrer Betriebsrä­te.

Die komplizier­te Gemengelag­e lässt einen langen Arbeitskam­pf befürchten. Die GDL hat mehrfach bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist. Die Lokführer gelten diesbezügl­ich als verschwore­ne Truppe. Die Arbeitgebe­r wiederum deuten an, angesichts der ohnehin schon finanziell schwierige­n Lage auch eine längere Auseinande­rsetzung in Kauf zu nehmen. Womöglich springen Gerichte dem Unternehme­n zur Seite. Wahrschein­lich wird die Bahn versuchen, Streiks als unverhältn­ismäßig verbieten zu lassen. Ob es gelingt, ist allerdings fraglich.

So bleibt den Kunden vor allem die Hoffnung auf einen Kompromiss­versuch in letzter Minute. Mögliche Streiks will die GDL zeitig ankündigen. Die Bahn wiederum bereitet einen Notverkehr vor und kündigt Kulanzlösu­ngen für Kunden an, die durch Arbeitsnie­derlegunge­n geschädigt werden.

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FOTO: STEFAN ZEITZ/IMAGO IMAGES Fahrgäste müssen mit Behinderun­gen im Schienenve­rkehr, Verspätung­en oder Zugausfäll­en rechnen.

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