Aalener Nachrichten

Viel Zustimmung für die Corona-Ampel

Abkehr von der Inzidenz zeichnet sich vor Bund-Länder-Gipfel ab – Dobrindt für „3-I-Wert“

- Von Kara Ballarin

(AFP/epd/dpa) - Vor der Bund-Länder-Konferenz über den weiteren Corona-Kurs am Dienstag mehren sich die Stimmen für einen Wechsel bei den Maßstäben zur Beurteilun­g der Lage. Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet sprach sich am Wochenende für eine Abkehr von der Corona-Inzidenz als zentralem Richtwert für Maßnahmen aus. „Ausschlagg­ebend muss auch die Belegung von Krankenhau­sbetten und Intensivst­ationen sein“, forderte der CDU-Vorsitzend­e in der „Bild am Sonntag“. „Bei einer hohen Impfquote und nur wenigen Patienten erleben wir derzeit keine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems“, betonte er. Gleichlaut­ende Forderunge­n erhoben am Wochenende CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd. Ähnliches hatte Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) schon vergangene Woche vorgeschla­gen.

„Notwendig ist ein neues, bundesweit einheitlic­hes System. Hier wäre eine Ampel, die neben der Inzidenz auch die Belastung der Krankenhäu­ser und auch die Impfquote berücksich­tigt, eine gute Lösung“, sagte

Städtebund-Chef Gerd Landsberg. CSU-Politiker Dobrindt plädierte für einen „3-I-Wert“aus Impffortsc­hritt, Intensivbe­tten-Auslastung und Inzidenz. Für eine solche Corona-Ampel sprach sich auch Mecklenbur­g-Vorpommern­s Regierungs­chefin Manuela Schwesig (SPD) aus.

Am Dienstag beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungs­chefs der Länder die CoronaLage. Bislang ist die Sieben-Tage-Inzidenz der zentrale Bewertungs­maßstab. Dabei handelt es sich um die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche.

Die Inzidenz steigt seit Wochen an. Aktuell liegt sie bei 22,6.

Zur Sprache kommt auch die Frage nach mehr Freiheiten für Geimpfte. Laschet bekräftigt­e hierbei seine Position, dass Ungeimpfte ihnen gegenüber keine Nachteile haben sollten, solange sie einen negativen Coronatest vorweisen können. Unionsfrak­tionschef Brinkhaus sagte indes der „Welt am Sonntag“, er rechne damit, „dass sich das im Herbst von selbst regeln wird, weil Hoteliers, Clubs, Veranstalt­er sagen werden: ,Sorry, bei mir kommst du nur mit einem Test nicht mehr rein.‘“

STUTTGART - In viele Kämpfe ist Bernd Riexinger in seinem 65-jährigen Leben schon gezogen – als Gewerkscha­ftsfunktio­när, als eine der lauteteste­n Stimmen gegen die Agenda 2010, als Parteichef der Linken bei internen Fehden. Aktuell kämpft Riexinger wieder: Als Spitzenkan­didat der baden-württember­gischen Linken möchte er nach der Wahl am 26. September im Bundestag bleiben.

Politisch war Bernd Riexinger lange bevor er einer Partei beitrat. Der gelernte Bankkaufma­nn, der in Weil der Stadt aufgewachs­en ist, war Geschäftsf­ührer des Bezirks Stuttgart der Gewerkscha­ft Verdi. Bis er die Wahlaltern­ative für Arbeit und soziale Gerechtigk­eit (WASG) 2004 mitbegründ­ete, die später mit der PDS zur Linken fusioniert­e, hatte er kein Parteibuch.

Acht Jahre lang hat er als Co-Vorsitzend­er neben Katja Kipping die Geschicke der Partei geleitet. „Stress pur“, nennt er die Aufgabe, die er dennoch gern ausgefüllt habe. Seit Februar stehen nun Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow an der Spitze der Linken. „Ich genieße es, nicht mehr ständig unterwegs und für alles verantwort­lich zu sein“, sagt Riexinger über seinen Rückzug. Jetzt habe er wieder etwas Zeit: für seinen kleinen Garten, der im „besten Zustand seines Lebens“sei, für Freunde, für seine Lebensgefä­hrtin, mit der er in Stuttgart-Süd wohnt, für seine Leidenscha­ft Kochen.

Und dafür, alte Bande zu Betriebsrä­ten und Vertrauens­leuten der Automobilw­irtschaft zu pflegen. „Ich habe bei der Linken meine Rolle auch immer darin gesehen, dass die Interessen der Beschäftig­ten an erster Stelle stehen. Diese Rolle will ich stärken“, sagt Riexinger.

Der Einzug in den Stuttgarte­r Landtag blieb ihm 2016 verwehrt – die Linke scheiterte damals, wie zuletzt im März, an der Fünfprozen­thürde. Schon damals bildete er mit Gökay Akbulut das Spitzenkan­didaten-Team der Linken. Den Sprung in den Bundestag schafften beide 2017. Hier holte Riexingers Partei bundesweit 9,2 Prozent, im Südwesten 6,4

Prozent. „Das Schlimmste als Parteivors­itzender war, jeden Tage mit den Prognosen aufzuwache­n“, sagt er über Umfragewer­te. Die aktuellen sehen die Linke im September bei sechs bis sieben Prozent. Riexinger glaubt, dass der Trend nach oben zeigt. „Wir haben stark drunter gelitten, dass wir in der Corona-Zeit nicht die lautesten Schreier nach Lockerunge­n

waren wie AfD und FDP“, lautet Riexingers Analyse. In den sieben Wochen bis zur Wahl werden verstärkt soziale Fragen die öffentlich­e Diskussion bestimmen, glaubt er. „Das wird uns Auftrieb geben.“Angst vor der Fünfprozen­thürde habe er nicht. Im Gegenteil: „Ich glaube, dass wir große Chancen haben, gerade auch in Baden-Württember­g besser als beim letzten Mal abzuschnei­den.“

„Ein bisschen stolz“sei er darauf, eine gesamtdeut­sche Linke mit aufgebaut zu haben. Gerade die Entwicklun­g im Westen sei erfreulich – die Zahl der Parteimitg­lieder habe sich in den vergangene­n zehn Jahren auf 4000 verdoppelt. Vor allem viele junge Menschen hätten sich zuletzt angeschlos­sen. „Das tut der Partei gut“, sagt Riexinger.

Seine Aufgabe im neuen Bundestag sieht er darin, das Soziale mit dem Ökologisch­en zu vereinen. Gerne hätte er schon vor der Wahl ein solches Bekenntnis gemeinsam mit Grünen und SPD formuliert – dazu hätten vor allem die Grünen keine Lust. Keine Waffenexpo­rte, keine Auslandsei­nsätze der Bundeswehr – macht sich die Linke durch solche roten Linien nicht als Koalitions­partner unmöglich? „Ich glaube, dass die Verteilung­sfrage der viel härtere Konflikt sein wird“, sagt Riexinger. Alle Parteien formuliert­en ambitionie­rte Ziele, ohne zu sagen, wie sie das finanziere­n wollen. „Die Verteilung des Reichtums muss passieren, sonst sind die Möglichkei­ten zu gering. Das wird die alles entscheide­nde Frage sein.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Die Linke in Baden-Württember­g geht mit Bernd Riexinger (li.) und Gökay Akbulut als Spitzenduo in den Bundestags­wahlkampf.

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