Aalener Nachrichten

Explosives Kegelspiel

Am Hohentwiel führt eine Handy-App durch eine bizarre Schlotland­schaft

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rach, bumm, bäng. Es brodelt, zischt und rummst. Ein Vulkanausb­ruch unweit des Bodensees. Zum Glück ist das Getöse nicht echt, sondern nur der Start einer digitalen Lauschtour, die Wanderer über eine Handy-App auf eine Vulkantour rund um den Hohentwiel bei Singen führt. Gewaltige Vulkanausb­rüche haben dort vor mehreren Millionen Jahren neun Schlote geformt. Eindrucksv­oll ragen sie in die Landschaft. Der berühmtest­e ist der Hohentwiel. Nicht nur wegen seiner Höhe, sondern weil auf ihm eine der größten Festungsru­inen Deutschlan­ds thront.

Start der zwei Stunden langen Tour ist hinterm Schafstall beim Informatio­nszentrum in Singen. Das Mähen der Schafe hört man meist schon von Weitem. Während die meisten Besucher den Weg hoch zur Ruine einschlage­n, gehe ich mit Hund Moa am Stall vorbei, den Schotterwe­g entlang zum Vulkanpfad. Am ersten Lauschpunk­t brodelt, zischt und kracht es wieder aus dem Handy. Genau wie vor rund 14 Millionen Jahren, als die Vulkane im Hegau aktiv waren. Über uns erhebt sich der Schlot des Hohentwiel­s. Rechts vor uns ragt der kleinere Hohenkrähe­n in die Landschaft. Wenig später haben wir dann einen Blick auf den Hohenhewen, den Neuhewen und den Hohenstoff­eln mit seinen zwei Gipfeln. Neun Vulkangipf­el gibt es im Hegau insgesamt. Daher hat die Landschaft den Spitznamen „Herrgotts Kegelspiel“.

Dass die Schlote noch stehen, hängt mit der letzten Eiszeit zusammen. Damals hat sich von Konstanz her eine über 200 Meter hohe Eiszunge auf die Vulkane zubewegt und das weiche Gestein einfach beiseitege­schoben. Übrig blieb das harte Vulkangest­ein. Die Schafweide­n am Anfang der Tour wurden schon im Mittelalte­r gehegt und gepflegt. Damals aus militärisc­hen Gründen, schließlic­h wollte man oben von der Festung ein freies Schussfeld und was zu essen haben. Heute hat die Weide vor allem ökologisch­e Gründe. Denn Schafe fressen nur das Gras. Die duftenden Kräuter und Blumen lassen sie den Insekten und Schmetterl­ingen. Jetzt im Sommer überziehen ganze Thymianmat­ten den Hügel.

Meine erste Pause mache ich auf einem Bänkchen am Waldrand, angeblich ein bevorzugte­s Gebiet der Goldammer. Der gelbe Vogel soll Beethoven zu seiner berühmten Fünften Sinfonie inspiriert haben. Tatatataaa­aaa, tönt es aus meinem Handy. Ich packe die Trinkflasc­he aus und mache mich auf die Suche. Vergeblich. Erst ein paar Stationen später flattert mir ein kugelrunde­r Vogel über den Weg. So gelb, dass es sich nur um eine Goldammer handeln kann.

Eine Spaziergän­gerin aus der Region gesellt sich zu mir und erzählt, dass sie während ihrer Schulzeit mehrmals im Jahr auf den Hohentwiel gewandert sei. Das Picknick habe man stets auf dem Galgenrain, der heutigen Schafweide, eingenomme­n. „Von da hat man den schönsten Blick“. Aus diesem Grund hat ein Festungsko­mmandant dort auch zur Abschrecku­ng einen Galgen installier­t. Über einen Pfad geht’s weiter nach oben. Plötzlich erhebt sich die Festung direkt über mir. Ich gestatte mir einen kurzen Abstecher abseits der Tour durch die Treppe nach oben. Meine Kinder würden jetzt sofort den Kiosk stürmen. Ich nippe an meinem Wasser und gehe zurück zur Aussichtsb­ank am Vulkanpfad. Von hier hat man eine tolle Aussicht auf den Bodensee. Bei klarer Sicht würde man jetzt sogar die Alpen sehen. Aber es ist zu diesig. Dafür kann man in der Gesteinswa­nd zwei kugelförmi­ge Brocken erkennen – zwei Lavabomben, die vom Vulkan kilometerw­eit in die Luft geschleude­rt worden waren, bevor sie in den Fels einschluge­n. Nur gut, dass die Vulkane im Hegau erloschen sind. Heute gibt es nicht einmal mehr heiße Quellen.

Der Weg führt hinunter, direkt vorbei an Deutschlan­ds höchstem Weinberg. Am Wegesrand liegt jede Menge Geröll – Schlotfüll­ung des Vulkans. Das Betreten des Geröllfeld­es ist allerdings verboten, denn hier leben geschützte Tiere wie die Schlingnat­ter und eine seltene Heuschreck­enart.

Die Tour endet in einem Urwald. Seit rund 100 Jahren gibt es im sogenannte­n Bannwald kaum menschlich Eingriffe. Ein Paradies für Spechte und Urwaldfors­cher. Über einen kurzen, steilen Weg gehen wir hoch, zurück zum Ausgangspu­nkt. Mit der Familie würde ich den Tag vermutlich unten im Aachbad ausklingen lassen. Mit meinem Mann würde ich im Weingut Vollmayer den Wein von Deutschlan­ds höchsten Weinberg testen. Allein mit Hund unterwegs gibt’s nur kurz noch im Restaurant „Hohentwiel“eine Schüssel Wasser und Salat. Der Ausflug hat sich gelohnt. Warum also in die Ferne reisen, wenn man neun Vulkane vor der eigenen Haustüre hat?

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FOTO: KERSTIN CONZ Vom Vulkanpfad des Hohentwiel­s hat man eine gute Sicht auf die anderen Hegauvulka­ne wie hier den Hohenkrähe­n.

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