Gökay Akbulut ist die „weibliche, feministische, migrantische Stimme“
MANNHEIM - Frauenpolitik, Migration, Bildung: Wenn Gökay Akbulut über ihre politischen Schwerpunkte spricht, gründet das auf eigenen Erfahrungen. Dass sich die 38-jährige Spitzenkandidatin der baden-württembergischen Linken auf diesen Feldern engagiert, scheint mit Blick auf ihre Biografie logisch. „Ich bin die weibliche, feministische, migrantische Stimme und fühle mich auch sehr wohl in dieser Rolle“, sagt sie in Abgrenzung zu ihrem CoSpitzenkandidaten Bernd Riexinger.
Akbulut wurde in der Türkei in eine Familie kurdischer Aleviten geboren, mit der sie 1990 als Sechsjährige nach Deutschland kam. Die Schulzeit war der härteste Kampf ihres Lebens, sagt sie. „Es war frustrierend und enttäuschend, dass ich keine Gymnasialempfehlung bekommen habe.“Sie meldete sich dennoch an und legte 2003 in Hamburg ihr Abitur ab. „Die ganze Gastarbeitergeneration wurde praktisch von Bildung und Ausbildung abgehängt“, sagt sie. Das habe sich zwar massiv verändert, aber: „Nach wie vor gibt es viele Ungleichheiten im Bildungswesen.“
In Heidelberg studierte sie Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht, was sie 2008 mit dem Magister abschloss. Schon zwei Jahre zuvor war sie der Linken beigetreten, für die sie in ihrer neuen Wahlheimat Mannheim 2014 in den Gemeinderat einzog. Danach ging alles ganz schnell: 2016 war sie bei der Landtagswahl im Spitzenteam mit Bernd Riexinger. Die Linke scheiterte an der Fünfprozenthürde. Ein Jahr später schafften die beiden den Sprung in den Bundestag, noch ein Jahr später gab Akbulut das Mandat im Gemeinderat auf.
In der Bundestagsfraktion ist sie integrations- und migrationspolitische Sprecherin – und sorgte hier 2018 für bundesweite Aufmerksamkeit.
Ihre Fraktion war tief gespalten in der Frage, ob die Linke den Migrationspakt der UN unterstützt. Die unterzeichnenden Staaten bekennen sich darin zu Mindeststandards für die Rechte von Migranten und zur Förderung legaler Migration. Sahra Wagenknecht, damals noch LinkenFraktionschefin, war strikt dagegen. Der Pakt, so ihr Argument, idealisiere Migration und klammere Fluchtursachen aus. Fachkräfte aus dem Ausland abzuwerben sei „eine neue Art neokolonialer Ausbeutung“. Akbulut führte die Rebellion gegen diese Haltung an – mit Erfolg. „Es ist in der politischen Praxis wichtig, ein solches Werk zu haben, auch wenn es nicht bindend ist“, sagt sie.
Ihr Kampf für die Kurden und gegen eine Türkei unter Staatspräsident Erdogan hat Akbulut einige Probleme bereitet. Den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei etwa lehnt sie ab. „Man darf mit autoritären Regimen, die selbst Instabilität, Krieg und Krisen verantworten keine solchen Abkommen schließen“, sagt sie. 2017 wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz sie seit 2012 im Blick hat. Auslöser war ein kurdisches Kulturfestival in Mannheim, auf dem es zu schweren Krawallen gekommen war. Akbulut engagiert sich für kurdische Vereine, die der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehen. Wird sie immer noch beobachtet? „Anscheinend nicht“, sie habe einen Anwalt mit dem Thema betraut, sagt Akbulut.
Wegen derlei Einsatz ist sie auch ins Visier ultranationalistischer Türken geraten, die sich selbst als Graue Wölfe bezeichnen. In Frankreich sind deren Vereinsstrukturen seit November verboten. Das fordert für Deutschland nicht nur Akbulut und ihre Linke, sondern auch alle anderen Parteien im Bundestag. Passiert ist dies aber bislang nicht. Mehrfach ist Akbulut von türkischen Rechtsextremen bedroht worden – zuletzt im Januar mit einem Bild auf Instagram, auf dem eine Pistole mit Patronen und dem Schriftzug „Der Tod wird Dich finden“zu lesen ist. Personenschutz lehnt sie dennoch ab. „Wir nehmen solche Drohungen ernst“, sagt Akbulut zwar, aber: „Ich sage weiter, was gesagt werden muss.“