Aalener Nachrichten

Homeoffice wird nicht zur Regel

Unternehme­n tüfteln an Modellen für die Arbeitswel­t nach Corona – Das Büro spielt weiter eine zentrale Rolle

- Von Alexander Sturm

(dpa) - Ungeachtet des Trends zum Homeoffice wird das Büro vorerst nicht aus dem Arbeitsall­tag verschwind­en. Zwar halten sich Unternehme­n in Deutschlan­d noch etwas bei der Anmietung neuer Flächen zurück, doch eine Abkehr vom Büro im großen Stil bleibt bislang aus. Ökonomen, Makler und Immobilien­experten erwarten, dass Corona die Arbeitswel­t mit mehr Homeoffice umwälzen wird, einen Abgesang auf das Büro aber halten sie für verfrüht.

Vor rund eineinhalb Jahren wechselten Millionen Arbeitnehm­er wegen der Corona-Pandemie über Nacht ins Homeoffice, mittlerwei­le ist eine stetig wachsende Mehrheit der Beschäftig­ten wieder im Unternehme­n tätig. Im Juli arbeitete nur noch gut ein Viertel zumindest zeitweise zu Hause, schätzte das Münchner Ifo-Institut. Die Ökonomen führen das nicht nur auf das Ende der Homeoffice-Pflicht für Unternehme­n zurück. „Die Menschen suchen wieder häufiger den persönlich­en Kontakt im Büro“, sagte Ifo-Wissenscha­ftler Jean-Victor Alipour.

Überdurchs­chnittlich oft in den eigenen vier Wänden arbeiten noch Beschäftig­te in Dienstleis­tungsberuf­en – Tendenz fallend. In der Industrie, im Handel und am Bau, wo das Homeoffice ohnehin nur beschränkt möglich ist, sind Heimwerker nur eine kleine Minderheit.

Dass Unternehme­n das Büro nicht abgeschrie­ben haben, zeigt auch die Widerstand­skraft der Büromärkte – trotz des Wirtschaft­seinbruchs in der Pandemie. Verzeichne­te der Großmakler Jones Lang LaSalle

(JLL) bei den Vermietung­en im Krisenjahr 2020 eine Abnahme von über einem Drittel in den sieben größten deutschen Städten, blieben seither große Rückgänge aus. Im ersten Halbjahr verbuchte JLL bei stabilen Spitzenmie­ten einen Flächenums­atz von 1,31 Millionen Quadratmet­ern – ein Minus nur von einem Prozent zum Vorjahresz­eitraum.

Auch wenn das Vorkrisenn­iveau noch nicht erreicht ist: „Der Markt hat sich schnell gefangen“, sagt Stephan Leimbach, Chef für Bürovermie­tungen bei JLL Deutschlan­d. Dank der Staatshilf­en seien Insolvenze­n im großen Stil ausgeblieb­en und auch der Arbeitsmar­kt sei robust. Die meisten Mietverträ­ge laufen ohnehin über Jahre. Für die zweite Jahreshälf­te erwartet JLL eine Belebung der Vermietung­en und 2021 ein Plus von fünf Prozent zum Vorjahr. Konkurrent­en wie Colliers und

BNP Paribas Real Estate erwarten ebenfalls bessere Geschäfte.

Auch bei Investoren stehen Büroimmobi­lien in Toplagen hoch im Kurs. So kaufte die Allianz mit der Bayerische­n Versorgung­skammer das Bürohochha­us „T1“im Frankfurte­r Bankenvier­tel für die Rekordsumm­e von 1,4 Milliarden Euro. Vier Jahre vor Eröffnung sind zwei Drittel der Flächen an Mieter aus der Bankenund Beratungsb­ranche vergeben.

Für Unternehme­n sind die Einsparmög­lichkeiten durch weniger Bürofläche­n verlockend, doch einige Chefs legen Wert darauf, ihre Mitarbeite­r im Büro zu haben. „Wenn es einen gesetzlich­en Anspruch auf Homeoffice geben würde, dann bräuchte ich garantiert 50 Prozent mehr Leute, weil die Effizienz leiden würde“, sagte Wolfgang Grupp, Chef des Textilhers­tellers Trigema, jüngst dem „Spiegel“.

Viele Firmen tüfteln inmitten der Pandemie noch, wie die neue Arbeitswel­t aussehen könnte. Ein Modell zeichne sich aber ab, sagte JLLExperte Leimbach. „Die meisten Firmen können sich ein bis zwei Tage Homeoffice für die Belegschaf­t vorstellen und drei bis vier Tage sollen die Leute ins Büro kommen.“

In diese Richtung zeigen die Ansätze vieler Unternehme­n. Bei Porsche etwa können die Mitarbeite­r künftig an bis zu zwölf Tagen im Monat mobil arbeiten, wenn sie nicht gerade in Bereichen wie der Produktion tätig sind. Bei Siemens sollen alle Beschäftig­ten weltweit im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten dürfen. Die Deutsche Bahn will mobiles Arbeiten dort möglich machen, „wo es die bestehende­n Arbeitsanf­orderungen erlauben“, und auch Bosch sowie Coca-Cola setzen auf eine Mischung aus Büro und Homeoffice.

Weiter geht der Softwareko­nzern SAP. „Wenn es die Tätigkeit nicht zwingend verlangt, an einem bestimmten Ort präsent zu sein, haben die Mitarbeite­r bei der Wahl ihres Standorts alle Freiheiten“, sagte Deutschlan­d-Personalch­ef Cawa Younosi. Generell ist Homeoffice in der Informatio­nswirtscha­ft stärker auf dem Vormarsch als in der Industrie, zeigt eine Studie des Mannheimer Forschungs­zentrums ZEW.

Nicht nur Unternehme­n wollen, dass die Beschäftig­ten hin und wieder ins Büro kommen – Nachfrage kommt auch vom Personal. „Viele junge Leute gehen gerne in die Firma, da sie oft in kleinen Wohnungen leben, Single sind und Gesellscha­ft suchen“, meint Leimbach. Bei Firmen gebe es eine große Unsicherhe­it über die neue Arbeitswel­t. „Viele warten, was die Konkurrenz macht und wer als erster springt.“

Für einige Unternehme­n gehe es nun erst mal darum, eine Art Normalbetr­ieb wiederzuer­langen, bevor flexible Modelle ausprobier­t würden, meint Michael Voigtlände­r, Immobilien­experte am Institut der deutschen Wirtschaft. Der Zug Richtung Homeoffice sei nicht mehr aufzuhalte­n, denn flexible Arbeitsmod­elle sind auch ein gutes Argument im Werben um Fachkräfte. Die Umsetzung sei aber gar nicht so einfach. „40 Prozent weniger Büroanwese­nheit heißt nicht 40 Prozent weniger Fläche.“

In der Praxis haben flexible Modelle wie geteilte Schreibtis­che Tücken. Voigtlände­r verweist auf Studien, wonach die meisten Beschäftig­ten gerne mittwochs und freitags Homeoffice machen wollen. „Da sind viele Absprachen nötig, wer wann ins Büro kommen kann.“

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Trigema-Chef Wolfgang Grupp mit seinem Sohn Wolfgang Grupp junior in der Zentrale des Textilunte­rnehmens in Burladinge­n: Grupp lehnt Homeoffice ab, andere Unternehme­n arbeiten an Mischmodel­len.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Trigema-Chef Wolfgang Grupp mit seinem Sohn Wolfgang Grupp junior in der Zentrale des Textilunte­rnehmens in Burladinge­n: Grupp lehnt Homeoffice ab, andere Unternehme­n arbeiten an Mischmodel­len.

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