75 Prozent aller Fernzüge fallen aus
Lokführerstreik zwingt Bahn zu Einschränkungen auch in Baden-Württemberg und Bayern
(dpa) Auf die Kunden der Deutschen Bahn kommen schwere Streiktage mit vielen Zugausfällen und Verspätungen zu. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat nach einer Urabstimmung ihre Mitglieder im Bahnkonzern zu einem Arbeitskampf aufgerufen, der im Güterverkehr bereits am Dienstagabend begann. Fern- und Regionalverkehr werden ab Mittwochmorgen um 2.00 Uhr für 48 Stunden bundesweit bestreikt. Die Bahn rechnet erst für den Freitag wieder mit einem störungsfreien Verkehr. Das folgende Wochenende soll verschont bleiben, kündigte die GDL an.
Für Mittwoch und Donnerstag hat die Deutsche Bahn 75 Prozent ihrer Fernzüge gestrichen. Priorität haben besonders stark genutzte Verbindungen zwischen Berlin und dem RheinRuhr-Gebiet, zwischen Hamburg und Frankfurt sowie die Anbindung wichtiger Bahnhöfe und Flughäfen. Ziel ist laut Bahn ein zweistündliches Angebot mit besonders langen Zügen auf den Hauptachsen.
Auch der Süden der Republik wird massiv betroffen sein. Die Ausfallquote von Zügen werde „recht hoch“sein, erklärte der GDL-Vizevorsitzende im Bezirk Süd-West, Jens-Peter Lück, am Dienstag auf Anfrage in Mannheim. Wie viele Züge in Baden-Würtemberg ausfallen werden, lasse sich nicht genau sagen, fügte Lück hinzu.
Gleiches gilt für Bayern. Doch auch der Regionalverkehr der Bahn im Freistaat werde bis Freitag stark eingeschränkt sein: Es werde zu Verspätungen und Ausfällen kommen, teilte das Unternehmen mit. Für den Regional- und S-Bahnverkehr werde es Ersatzfahrpläne geben. Ziel sei, ein Grundangebot für Pendler beizubehalten. Trotzdem sei nicht zu garantieren, dass alle Reisenden wie gewünscht ans Ziel kommen. In München etwa sehe der S-BahnFahrplan einen Stundentakt auf allen Linien vor, hieß es.
Im Regionalverkehr sind auf vielen Strecken in Bayern Privatbahnen unterwegs, die von der GDL nicht bestreikt werden. Sie dürften „halbwegs normal fahren“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Lukas Iffländer. Am schwersten werde es wohl Nürnberg treffen, weil im Regionalverkehr nach Stuttgart keine privaten Bahnbetreiber fahren, sagte Iffländer. Die Bahn erklärte derweil, sich gegenüber den Fahrgästen kulant zeigen zu wollen. Fahrkarten sollen länger gelten oder erstattet werden. Fernreisende rief das Unternehmen am Dienstag zum Verschieben ihrer Reisepläne auf.
Generell zeigte sich die Bahn verärgert und bezeichnete den Streik als „Eskalation zur Unzeit“. „Gerade jetzt, wenn die Menschen wieder mehr reisen und die Bahn nutzen, macht die GDL-Spitze den Aufschwung zunichte, den wir in Anbetracht der massiven Corona-Schäden dringend brauchen“, sagte Personalchef Martin Seiler. Er kritisierte, dass die GDL sich nicht an ihre Ankündigung gehalten habe, den Kunden ausreichend Vorlauf zu lassen. Man habe in dem festgefahrenen Tarifkonflikt keine anderen Möglichkeiten mehr als den Streik, sagte hingegen GDL-Chef Claus Weselsky. Einwände wegen der Belastungen durch Corona und die Überflutungen ließ er nicht gelten. „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für einen Streik bei der Eisenbahn. Bitte wenden Sie sich an das DB-Management“, sagte Weselsky.
- Rechtzeitig ankündigen wollte Claus Weselsky, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Streiks bei der Deutschen Bahn. Doch dann ließ er den Bahnkunden sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr nur wenig Zeit zur Vorbereitung. Um elf Uhr am Dienstag gab er das Ergebnis der Urabstimmung über den Arbeitskampf bekannt. Acht Stunden später sollten die erste Güterzüge stillstehen. Sieben Stunden später war der Personenverkehr dran. Bis zum kommenden Freitag, 2 Uhr morgens, treten die Lokführer in den Ausstand. Wo genau gestreikt wird, ließ Weselsky offen. „Das ist ein bundesweiter Streik“, betonte er nur.
Wie stark der Bahnverkehr beeinträchtigt wird, lässt sich erst im Verlauf der beiden Tage genau sagen. Wahrscheinlich wird es im Nahverkehr bei den S-Bahnen besonders starke Ausfälle geben. Hier ist der Organisationsgrad der GDL sehr hoch. Im Fernverkehr will die Deutsche Bahn mit einem Ersatzfahrplan möglichst viele Verkehre aufrechterhalten. Dazu könnte die Einstellungswelle der vergangenen Jahre beitragen. 5000 neue Lokführer werden beschäftigt. Das geht womöglich zu Lasten des Organisationsgrades des Berufsstandes.
Der GDL-Chef weiß seine streikerfahrene Truppe hinter sich. Bei der Urabstimmung sprachen sich 95 Prozent der Mitglieder für den Arbeitskampf aus. Angesichts der völlig verfahrenen Lage bei diesen Tarifverhandlungen könnte diese Woche den Auftakt zu einer langen Reihe von Streikmaßnahmen bilden. „Der Verhandlungsweg ist ausgeschöpft“, betont Weselsky, „nun folgen Arbeitskämpfe.“Beim letzten große Tarifkonflikt 2014 und 2015 hat die GDL bereits bewiesen, dass sie auch lange Arbeitskämpfe führen kann. In mehreren Streikwellen setzte sie damals die Arbeitgeber über Wochen unter Druck.
Vordergründig geht es in dieser Tarifrunde um mehr Geld. Die Lokführer fordern 3,2 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 28 Monaten. Dazu wollen sie eine Corona-Prämie von 600 Euro durchsetzen. Die Arbeitgeber bieten zwar jene 3,2 Prozent, doch nur über eine Laufzeit von 40 Monaten und in zwei Schritten 2022 und 2023. Vom Bonus wollen sie bisher nichts wissen, locken stattdessen mit einem Kündigungsschutz. Eine Nullrunde in diesem Jahr werde die GDL nicht mitmachen, stellte Weselsky erneut klar. Ein verbessertes Angebot ist für die GDL eine Bedingung für weitere Verhandlungen.
Die Deutsche Bahn bewertet die Streikankündigung naturgemäß ganz anders. „Es ist völlig unnötig und überzogen“, sagte Personalvorstand Martin Seiler, „die GDL eskaliert zur Unzeit.“Statt die Kunden zu belasten, solle sich die Gewerkschaft wieder an den Verhandlungstisch setzen. Mit Notfallplänen will die Bahn einen Teil des Zugverkehrs aufrechterhalten.
Doch es geht nicht nur ums Geld. Im Hintergrund schwelt ein weiterer
Konflikt um die gewerkschaftliche Vorherrschaft im Bahnkonzern. Weselsky beansprucht erstmals auch ein Verhandlungsmandat für Beschäftigte der Infrastrukturbetriebe, etwa Fahrdienstleiter, oder auch das Personal in Instandhaltungswerken. Diese Bereiche werden traditionell von der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertreten, der Weselsky im vergangenen Herbst den Kampf um Mitglieder angesagt hatte.
Die jeweilige Stärke der beiden einzelnen Gewerkschaften ist entscheidend für das Tarifgeschäft. Denn seit Jahresbeginn gilt bei der Bahn das Tarifeinheitsgesetz. Es sieht vor, dass in jedem der rund 300 Bahnbetriebe nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitglieder zur Geltung kommt. Derzeit werden nur 16 Betriebe der GDL zugerechnet, der Rest der EVG. Das will Weselsky ändern und dafür will er einen besseren Tarifabschluss als die rivalisierende EVG erreichen. Auch diese organisationspolitische Gemengelage erschwert einen geordneten Verhandlungsprozess.