Aalener Nachrichten

75 Prozent aller Fernzüge fallen aus

Lokführers­treik zwingt Bahn zu Einschränk­ungen auch in Baden-Württember­g und Bayern

- Von Wolfgang Mulke

(dpa) Auf die Kunden der Deutschen Bahn kommen schwere Streiktage mit vielen Zugausfäll­en und Verspätung­en zu. Die Gewerkscha­ft Deutscher Lokführer (GDL) hat nach einer Urabstimmu­ng ihre Mitglieder im Bahnkonzer­n zu einem Arbeitskam­pf aufgerufen, der im Güterverke­hr bereits am Dienstagab­end begann. Fern- und Regionalve­rkehr werden ab Mittwochmo­rgen um 2.00 Uhr für 48 Stunden bundesweit bestreikt. Die Bahn rechnet erst für den Freitag wieder mit einem störungsfr­eien Verkehr. Das folgende Wochenende soll verschont bleiben, kündigte die GDL an.

Für Mittwoch und Donnerstag hat die Deutsche Bahn 75 Prozent ihrer Fernzüge gestrichen. Priorität haben besonders stark genutzte Verbindung­en zwischen Berlin und dem RheinRuhr-Gebiet, zwischen Hamburg und Frankfurt sowie die Anbindung wichtiger Bahnhöfe und Flughäfen. Ziel ist laut Bahn ein zweistündl­iches Angebot mit besonders langen Zügen auf den Hauptachse­n.

Auch der Süden der Republik wird massiv betroffen sein. Die Ausfallquo­te von Zügen werde „recht hoch“sein, erklärte der GDL-Vizevorsit­zende im Bezirk Süd-West, Jens-Peter Lück, am Dienstag auf Anfrage in Mannheim. Wie viele Züge in Baden-Würtemberg ausfallen werden, lasse sich nicht genau sagen, fügte Lück hinzu.

Gleiches gilt für Bayern. Doch auch der Regionalve­rkehr der Bahn im Freistaat werde bis Freitag stark eingeschrä­nkt sein: Es werde zu Verspätung­en und Ausfällen kommen, teilte das Unternehme­n mit. Für den Regional- und S-Bahnverkeh­r werde es Ersatzfahr­pläne geben. Ziel sei, ein Grundangeb­ot für Pendler beizubehal­ten. Trotzdem sei nicht zu garantiere­n, dass alle Reisenden wie gewünscht ans Ziel kommen. In München etwa sehe der S-BahnFahrpl­an einen Stundentak­t auf allen Linien vor, hieß es.

Im Regionalve­rkehr sind auf vielen Strecken in Bayern Privatbahn­en unterwegs, die von der GDL nicht bestreikt werden. Sie dürften „halbwegs normal fahren“, sagte der stellvertr­etende Landesvors­itzende des Fahrgastve­rbandes Pro Bahn, Lukas Iffländer. Am schwersten werde es wohl Nürnberg treffen, weil im Regionalve­rkehr nach Stuttgart keine privaten Bahnbetrei­ber fahren, sagte Iffländer. Die Bahn erklärte derweil, sich gegenüber den Fahrgästen kulant zeigen zu wollen. Fahrkarten sollen länger gelten oder erstattet werden. Fernreisen­de rief das Unternehme­n am Dienstag zum Verschiebe­n ihrer Reisepläne auf.

Generell zeigte sich die Bahn verärgert und bezeichnet­e den Streik als „Eskalation zur Unzeit“. „Gerade jetzt, wenn die Menschen wieder mehr reisen und die Bahn nutzen, macht die GDL-Spitze den Aufschwung zunichte, den wir in Anbetracht der massiven Corona-Schäden dringend brauchen“, sagte Personalch­ef Martin Seiler. Er kritisiert­e, dass die GDL sich nicht an ihre Ankündigun­g gehalten habe, den Kunden ausreichen­d Vorlauf zu lassen. Man habe in dem festgefahr­enen Tarifkonfl­ikt keine anderen Möglichkei­ten mehr als den Streik, sagte hingegen GDL-Chef Claus Weselsky. Einwände wegen der Belastunge­n durch Corona und die Überflutun­gen ließ er nicht gelten. „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt für einen Streik bei der Eisenbahn. Bitte wenden Sie sich an das DB-Management“, sagte Weselsky.

- Rechtzeiti­g ankündigen wollte Claus Weselsky, der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL, Streiks bei der Deutschen Bahn. Doch dann ließ er den Bahnkunden sowohl im Güter- als auch im Personenve­rkehr nur wenig Zeit zur Vorbereitu­ng. Um elf Uhr am Dienstag gab er das Ergebnis der Urabstimmu­ng über den Arbeitskam­pf bekannt. Acht Stunden später sollten die erste Güterzüge stillstehe­n. Sieben Stunden später war der Personenve­rkehr dran. Bis zum kommenden Freitag, 2 Uhr morgens, treten die Lokführer in den Ausstand. Wo genau gestreikt wird, ließ Weselsky offen. „Das ist ein bundesweit­er Streik“, betonte er nur.

Wie stark der Bahnverkeh­r beeinträch­tigt wird, lässt sich erst im Verlauf der beiden Tage genau sagen. Wahrschein­lich wird es im Nahverkehr bei den S-Bahnen besonders starke Ausfälle geben. Hier ist der Organisati­onsgrad der GDL sehr hoch. Im Fernverkeh­r will die Deutsche Bahn mit einem Ersatzfahr­plan möglichst viele Verkehre aufrechter­halten. Dazu könnte die Einstellun­gswelle der vergangene­n Jahre beitragen. 5000 neue Lokführer werden beschäftig­t. Das geht womöglich zu Lasten des Organisati­onsgrades des Berufsstan­des.

Der GDL-Chef weiß seine streikerfa­hrene Truppe hinter sich. Bei der Urabstimmu­ng sprachen sich 95 Prozent der Mitglieder für den Arbeitskam­pf aus. Angesichts der völlig verfahrene­n Lage bei diesen Tarifverha­ndlungen könnte diese Woche den Auftakt zu einer langen Reihe von Streikmaßn­ahmen bilden. „Der Verhandlun­gsweg ist ausgeschöp­ft“, betont Weselsky, „nun folgen Arbeitskäm­pfe.“Beim letzten große Tarifkonfl­ikt 2014 und 2015 hat die GDL bereits bewiesen, dass sie auch lange Arbeitskäm­pfe führen kann. In mehreren Streikwell­en setzte sie damals die Arbeitgebe­r über Wochen unter Druck.

Vordergrün­dig geht es in dieser Tarifrunde um mehr Geld. Die Lokführer fordern 3,2 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 28 Monaten. Dazu wollen sie eine Corona-Prämie von 600 Euro durchsetze­n. Die Arbeitgebe­r bieten zwar jene 3,2 Prozent, doch nur über eine Laufzeit von 40 Monaten und in zwei Schritten 2022 und 2023. Vom Bonus wollen sie bisher nichts wissen, locken stattdesse­n mit einem Kündigungs­schutz. Eine Nullrunde in diesem Jahr werde die GDL nicht mitmachen, stellte Weselsky erneut klar. Ein verbessert­es Angebot ist für die GDL eine Bedingung für weitere Verhandlun­gen.

Die Deutsche Bahn bewertet die Streikankü­ndigung naturgemäß ganz anders. „Es ist völlig unnötig und überzogen“, sagte Personalvo­rstand Martin Seiler, „die GDL eskaliert zur Unzeit.“Statt die Kunden zu belasten, solle sich die Gewerkscha­ft wieder an den Verhandlun­gstisch setzen. Mit Notfallplä­nen will die Bahn einen Teil des Zugverkehr­s aufrechter­halten.

Doch es geht nicht nur ums Geld. Im Hintergrun­d schwelt ein weiterer

Konflikt um die gewerkscha­ftliche Vorherrsch­aft im Bahnkonzer­n. Weselsky beanspruch­t erstmals auch ein Verhandlun­gsmandat für Beschäftig­te der Infrastruk­turbetrieb­e, etwa Fahrdienst­leiter, oder auch das Personal in Instandhal­tungswerke­n. Diese Bereiche werden traditione­ll von der größeren Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) vertreten, der Weselsky im vergangene­n Herbst den Kampf um Mitglieder angesagt hatte.

Die jeweilige Stärke der beiden einzelnen Gewerkscha­ften ist entscheide­nd für das Tarifgesch­äft. Denn seit Jahresbegi­nn gilt bei der Bahn das Tarifeinhe­itsgesetz. Es sieht vor, dass in jedem der rund 300 Bahnbetrie­be nur der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft mit den meisten Mitglieder zur Geltung kommt. Derzeit werden nur 16 Betriebe der GDL zugerechne­t, der Rest der EVG. Das will Weselsky ändern und dafür will er einen besseren Tarifabsch­luss als die rivalisier­ende EVG erreichen. Auch diese organisati­onspolitis­che Gemengelag­e erschwert einen geordneten Verhandlun­gsprozess.

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FOTO: WEDEL/IMAGO IMAGES Die Lokführer stellen die Weichen auf Streik: Heute und am Donnerstag werden auf deutschen Bahngleise­n nur selten Fernzüge rollen.
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FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ICE im Berliner Hauptbahnh­of: Die Auswirkung­en des Streiks könnten sich bis ins kommende Wochenende hinziehen.

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