Wenig Lust auf Inlandsflüge
Deutsche fahren lieber Bahn oder Auto – Luftverkehrsbranche spricht von tiefstem Einbruch der Geschichte
- Kreuz und quer durch die Bundesrepublik zu fliegen, hat für Reisende an Strahlkraft verloren. Während Politiker im Wahlkampf laut über ein Verbot von Inlandsflügen nachdenken, um die Klimaziele zu erreichen, sind die Bundesbürger schon weiter. Innerhalb Deutschlands verzichten sie auf Flüge, fahren lieber Bahn oder Auto, wie aus Zahlen des Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) zum ersten Halbjahr 2021 hervorgeht.
Danach bieten die Airlines in diesem Jahr im Inland von Juni bis September 28 Prozent der Sitzplätze an, die sie im gleichen Zeitraum 2019 im Programm hatten – bevor die Corona-Krise den Luftverkehr einschneidend traf. Im internationalen Schnitt sind es 79 Prozent: In Spanien, der Türkei und Italien ist der Inlandsverkehr fast wieder auf Vorkrisenniveau. BDL-Geschäftsführer Markus von Randow sieht zwei wesentliche Gründe: Die britische Fluggesellschaft Easyjet habe sich aus dem innerdeutschen Verkehr zurückgezogen und trete zunächst nicht wieder an. Und die Alternativen – Straße und Schiene – seien deutlich besser ausgebaut als in anderen Ländern.
Vor allem Politiker der Grünen denken immer wieder darüber nach, Inlandsflüge in Deutschland zu verbieten, weil dabei überproportional viel Treibhausgas entsteht. Die Fluggesellschaften selbst, vor allem die Lufthansa, arbeitet enger mit der Bahn zusammen, bietet über ihr Buchungsportal auch Zugverbindungen an, etwa auf der Strecke von Berlin nach Frankfurt. Inlandsflüge sind deutlich weniger lukrativ als Fernflüge und waren auf manchen Strecken auch Zuschussgeschäfte.
Möglicherweise liegt der Wechsel vom Flugzeug zu Zug oder Auto auch an den Preisen, die im Juni im Schnitt etwa elf Prozent über denen von 2019 lagen. De facto fliegen nur noch Lufthansa
und die Tochter Eurowings auf innerdeutschen Strecken.
Insgesamt verlief das erste Halbjahr für Fluggesellschaften und Flughäfen in Deutschland wegen der Corona-Krise dramatisch. „Es waren die wenigsten Passagiere seit 1971“, sagte von Randow. Angesichts eines Minus bei den Passagierzahlen an den deutschen Flughäfen von 86 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2019 sprach er vom „tiefsten Einbruch in der Geschichte der zivilen Luftfahrt“. Die Lage ist noch dramatischer als im ersten Halbjahr 2020. Damals betrug das Minus im Vergleich zu 2019 rund 66 Prozent. Allerdings traf die Corona-Pandemie 2020 den Flugverkehr erst im März, im Januar und Februar war noch weitgehend normaler Flugbetrieb möglich. Insgesamt boten die Fluggesellschaften im ersten Halbjahr 2021 bei Flügen von deutschen Flughäfen rund 29 Millionen Sitzplätze an, nach 138 Millionen im ersten Halbjahr 2019.
Bei allen Schwierigkeiten: Die Luftverkehrsbranche erwartet, dass sich der Markt erholt – dank der inzwischen laufenden Impfkampagne. Im Juni zog es viele Deutsche in den Urlaub ans Meer, vor allem nach Griechenland, Portugal, Spanien und die Türkei, was den Flugverkehr etwas steigen ließ. Fernreisen etwa nach China oder in die USA unterblieben wegen der Reisebeschränkungen. Der BDL ist zuversichtlich, dass zumindest die USA hier lockern. Eins ist für BDL-Geschäftsführer von Randow klar: Wenn weiter geimpft werde, Reisebeschränkungen fallen und die Wirtschaft sich weiter erhole, werde der Luftverkehr wieder deutlich zunehmen, vor allem durch Geschäftsreisen. Elektronische Kommunikation, etwa Videokonferenzen, könnten persönliche Kontakte nicht ersetzen, zudem entwickele sich die Weltwirtschaft dynamisch, was mehr Reisen erfordere. Der BDL rechnet damit, dass in Deutschland 2021 etwa 33 Prozent so viele Passagiere gezählt werden wie 2019. 2022 sollen es 79 Prozent sein. Für 2025 ist wieder das Niveau von 2019 errechnet. Ein neuer Lockdown wegen dramatisch steigender Corona-Infektionen ist dabei nicht berücksichtigt.
Deutlich positiv lief es bei der Luftfracht. „Der weltweite Wachstumstrend schlägt sich auch an deutschen Flughäfen nieder“, sagte von Randow. Nach den BDL-Zahlen wurden hierzulande in den ersten sechs Monaten elf Prozent mehr Waren ein- und ausgeladen als im selben Zeitraum 2019. Weltweit gab es ein Plus von acht Prozent. Kräftig zulegen konnten dabei die Flughäfen Leipzig/Halle (plus ein Viertel auf 764 000 Tonnen) und Köln/Bonn (plus ein Fünftel auf 473 000 Tonnen). An beiden Flughäfen haben sich Expressversender angesiedelt und es gilt kein Nachtflugverbot.