Aalener Nachrichten

Brand statt Strand

Der Tourismus in der Türkei kommt nicht aus der Krise – Nach Corona werfen nun die Feuer die Branche zurück

- Von Anne Pollmann, Alexia Angelopoul­ou und Johannes Neudecke

(dpa) - Die Rezeptioni­stin eines Hotels im westtürkis­chen Marmaris steht mit verschränk­ten Armen in der Lobby und blickt in den schwarz verkohlten Wald gegenüber. In der bei Touristen beliebten Region haben die Brände große Waldstücke in Schwarz-Weiß-Landschaft­en verwandelt. „Das ist schlimmer als Corona. Die ganze schöne Natur ist weg“, sagt sie. Nun brächen die Buchungen ein. Etliche Touristen sagen ihren Urlaub in Marmaris mitten in der für den Sektor so wichtigen Saison ab. „Dabei hätte dieses Jahr jetzt doch Erholung bringen sollen.“

Brennende Wälder und Dörfer, evakuierte Hotels und anhaltende Hitzewarnu­ngen – die Nachrichte­n von den Bränden in bei Urlaubern beliebten Ländern und Regionen haben etwa in der Türkei dramatisch­e Auswirkung­en auf den ohnehin durch die Pandemie gebeutelte­n Tourismus. Der Verband der Hoteliers und Betreiber in der südlichen Ägäis, Getob, hat einen Aufruf gestartet und Menschen gebeten, ihren Urlaub in den betroffene­n Gebieten zu verbringen, um diesen wieder auf die Beine zu helfen.

Der Tourismus ist einer der wichtigste­n Wirtschaft­szweige des Landes und machte laut Statistik 2019 vor der Corona-Krise elf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aus. Im vergangene­n Jahr ist er jedoch um 70 Prozent eingebroch­en.

Die Regierung sieht unterdesse­n kaum Probleme für den Sektor durch die Brände. Zu Beginn der Feuer habe es Absagen gegeben, mittlerwei­le nähmen die Buchungen aber wieder zu, sagte kürzlich der Tourismusm­inister Mehmet Nuri Ersoy. Für bestimmte Regionen mag das stimmen, in der Region Antalya etwa haben die Brände nie akut Touristenh­ochburgen bedroht.

Im Urlaubsort Turunc können die Menschen davon nur träumen. Das Küstendorf liegt 20 Kilometer von Marmaris entfernt in einer kleinen Bucht, umschlosse­n von Bergen. Einzig eine kurvige schmale Straße führt in den Ort. Acht Tage lang habe es hier in den umliegende­n Wäldern gebrannt, sagt ein Restaurant­besitzer. Am Strand hätten Touristen

Schlange gestanden, um in Sicherheit gebracht zu werden. Bewohner des Ortes erzählen, sie hätten tagelang gegen die Flammen an den steilen Hängen gekämpft, um den Brand fernzuhalt­en. Hilfe von Löschtanks und Flugzeugen sei erst nach Tagen gekommen. Der Ort ist unbeschade­t davongekom­men, die Feuer sind gelöscht. Aber die Touristen sind fort.

Ausflugsbo­ote, die normalerwe­ise um diese Jahreszeit im Zehn-Minuten-Takt Touristen zu nahe gelegenen Buchten oder nach Marmaris bringen, schaukeln still am Steg. „Ich habe 80 Prozent Absagen für den

Rest der Saison“, sagt der Bootsmann Salih Sengül. „Wir haben keine Hoffnung, dass das dieses Jahr noch etwas wird.“Auch er habe nächtelang die Flammen bekämpft, um den Ort zu retten. „Hätten wir die offizielle Anweisung zur Evakuierun­g befolgt, läge Turunc jetzt in Schutt und Asche“, sagt Sengül.

Von den Liegen am Strand von Turunc sind nur einige wenige besetzt. Auf einer sitzt Pinar Özcan aus Niedersach­sen. Die 29-Jährige kommt seit mehr als 20 Jahren nach Marmaris und hat Familie in der Region. So leer wie derzeit hat sie die

Gegend im Sommer noch nicht gesehen. Sie kam, als die Brände noch in vollem Gange waren. Die Option, abzureisen, habe sie aber nicht in Erwägung gezogen. Die Orte, an denen sie unterkam, seien zu keiner Zeit akut gefährdet gewesen.

Auch in Griechenla­nd und Italien wüten die Brände. Touristisc­he Regionen sind in Griechenla­nd jedoch kaum betroffen. Brände auf den Inseln Kreta und Rhodos wurden schnell unter Kontrolle gebracht. In Italien sind besonders der Süden des Mittelmeer­landes und die großen Inseln Sizilien und Sardinien betroffen, wo die Flammen auch in Touristeng­ebieten lodern (siehe den Kasten links).

An der Ostküste Siziliens zerstörte ein Feuer einen Strand-Badebetrie­b in der Nähe der Stadt Catania. An der Adriaküste evakuierte­n die Behörden zuletzt Hotels, Campingplä­tze und Häuser bei Bränden in Campomarin­o Lido, in der kleinen Region Molise. Große Schäden für Hotels gebe es bisher nicht, erklärte eine Sprecherin des italienisc­hen Hotellerie­verbandes Federalber­ghi zu Wochenbegi­nn.

Die Rezeptioni­stin im vor allem wegen der grünen Landschaft beliebten Marmaris ist sich derweil sicher: „Die Corona-Krise wird irgendwann enden, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis unsere Wälder wieder stehen.“

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FOTO: EMRE TAZEGUL/DPA Ein Mann mit Hund am Strand in der türkischen Ferienregi­on Marmaris, in der heftige Brände wüten.

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