Aalener Nachrichten

Russlands Offensive mit Sputnik V

Vor einem Jahr wurde der erste Corona-Impfstoff präsentier­t – Noch sind viele Fragen offen

-

Von Ansgar Haase, Christian Thiele und Michael Donhauser

(dpa) - Als die Welt noch ungeduldig auf einen rettenden Corona-Impfstoff wartete, gelang Russland mit Sputnik V ein zweifelhaf­ter Durchbruch. Staatschef Wladimir Putin verkündete vor genau einem Jahr, am 11. August, höchstpers­önlich: Zum ersten Mal auf der Welt sei ein Impfstoff gegen das Coronaviru­s zugelassen worden. Wissenscha­ftliche Belege für die Wirksamkei­t des in Rekordzeit entwickelt­en Mittels aber legten die Forscher nicht vor. Noch immer gibt es offene Fragen. Geblieben ist ein weit verbreitet­es Misstrauen, das Moskau bis heute nicht aus der Welt geräumt hat.

Nicht wenige in Russland fühlten sich als Versuchska­ninchen, weil erst parallel zur Freigabe des Impfstoffs die wichtige Testphase III mit mehreren Zehntausen­d Freiwillig­en begann. Erst mit ihr kann nach Expertenme­inung herausgefu­nden werden, ob ein Mittel wirklich zuverlässi­g wirkt und sicher ist. Das schnelle Vorgehen Moskaus stieß deshalb bei Wissenscha­ftlern internatio­nal auf Kritik. Aber Russland wollte das Wettrennen um einen Impfstoff gewinnen.

In den vergangene­n Monaten vergingen kaum Wochen, in denen der staatliche Direktinve­stmentfond­s RDIF keine Jubelmeldu­ngen verkündete. In 69 Ländern sei Sputnik V mittlerwei­le registrier­t, erklärte der Fonds, der das Vakzin etwa im Ausland vermarktet. Zu den Abnehmern gehören die Staaten der Ex-Sowjetrepu­blik ebenso wie viele in Südamerika, die Türkei, Iran und Indien.

Fuß fassen möchte Russland auch auf dem lukrativen Markt in der EU. Doch ob es damit etwas wird, ist derzeit ungewiss. Die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (EMA) prüft den Impfstoff bereits seit Anfang März. Ihr Urteil entscheide­t, ob die EUKommissi­on dann im nächsten Schritt die offizielle Genehmigun­g für das Inverkehrb­ringen erteilt.

„Bislang ist es dem Hersteller nicht gelungen, genügend valide Daten zu liefern, um die Sicherheit nachzuweis­en“, sagte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND). Das werfe Fragen auf.

Der Kommentar von der Leyens dürfte nicht nur für den Hersteller, sondern auch für die Behörden in den EU-Ländern Ungarn und Slowakei ärgerlich gewesen sein. Sie hatten nämlich Sputnik V bereits vor einiger Zeit auch ohne grünes Licht der

EMA zur Verwendung freigegebe­n. Es kursiert allerdings auch der Verdacht, dass die Zulassung in der EU aus politische­n Gründen und nicht nur wegen fehlender Daten verzögert wird. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte bereits Ende Mai via „Bild am Sonntag“gefordert, das Verfahren um Sputnik V müsse beschleuni­gt werden. „Es darf nicht aus rein ideologisc­hen Gründen getrödelt werden“, sagte der CSU-Politiker.

Bayern ist neben Mecklenbur­gVorpommer­n auch eines der Bundesländ­er, die sich Kaufoption­en für den russischen Impfstoff gesichert haben. Zuletzt war auch der Aufbau einer Produktion­sstätte durch die Firma R-Pharm Germany in Illertisse­n im Landkreis Neu-Ulm geplant. Doch die Verhandlun­gen scheinen ins Stocken geraten zu sein. Bisher existiert dem Vernehmen nach nur eine Absichtser­klärung – die Gespräche über einen richtigen Vertrag wurden angestoßen, mehr bisher nicht.

Russland warnt immer wieder davor, die Frage einer Zulassung nicht zu politisier­en. Moskau selbst lässt aber keine ausländisc­hen Vakzine im eigenen Land zu. Man habe genug eigene Impfmittel, heißt es im Kreml.

Moskau zeigt meist wenig Interesse an Transparen­z, was sein Auslandsge­schäft mit Sputnik V angeht. Im Frühjahr errechnete­n unabhängig­e russische Medien, dass nur ein Bruchteil der zugesagten Dosen tatsächlic­h ausgeliefe­rt worden sei. Zuletzt räumte der Staatsfond­s immerhin Lieferengp­ässe ein. Diese Probleme sollten aber in diesem Monat behoben werden, versprach der Fonds. Ab September soll etwa auch der weltgrößte Impfstoffh­ersteller, das Serum Institute in Indien, über 300 Millionen Dosen pro Jahr liefern. Verträge über die Produktion seines Vakzins hat Moskau in 14 Ländern.

Doch auch im Riesenreic­h selbst stockte es. Es gab Berichte, dass Menschen in einigen Regionen mitunter wochenlang warten mussten. Dagegen konnten sich die Moskauer mit Beginn der Massenimpf­ung im Dezember sogar in Shoppingze­ntren spritzen lassen.

Doch der Ansturm blieb aus. Nur halbherzig warb die Politik für eine Immunisier­ung. Putin zögerte eine Impfung monatelang hinaus, um sich erst im März ohne Kameras einen Impfstoff verabreich­en zu lassen. Erst kürzlich verriet er, dass er Sputnik V bekam. Zum PR-Desaster wurde der Ratschlag, rund um eine Impfung 52 Tage auf Alkohol zu verzichten. Tagelang wurde allein darüber hitzig diskutiert.

 ?? FOTO: YELENA AFONINA/IMAGO IMAGES ??
FOTO: YELENA AFONINA/IMAGO IMAGES

Newspapers in German

Newspapers from Germany