Spukende Altbauten
Die Innsbrucker Festwochen Alter Musik ziehen Besucher aus der ganzen Welt an – Bernardo Pasquinis Oper „Idalma“zur Eröffnung
- Was Wagner-Fans bei den Bayreuther Festspielen suchen, finden Freunde barocker Klänge bei den Festwochen Alter Musik in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck: Live-Erlebnisse in authentischer Atmosphäre. Die Innsbrucker Festwochen zählen zu den international bedeutendsten und ältesten Festivals ihrer Art. Jeden Sommer pilgern Musikenthusiasten nicht nur aus ganz Europa, sondern auch aus Amerika und Fernost in die Barockstadt am Inn, die mit ihren engen Gassen, Kirchen und dem berühmten Goldenen Dachl ohnehin Touristen aus aller Welt anlockt.
Zur Eröffnung der 45. Innsbrucker Festwochen Alter Musik wurde nun die musikalische Komödie „L’Idalma“von Bernardo Pasquini (1637-1710) erstmals in moderner Zeit wieder aufgeführt. Das Stück dauert rund vier Stunden, wenn man zwei Pausen zwischen seinen drei Akten mitrechnet. Für die vom Intendanten Alessandro De Marchi dirigierte Produktion gab es bei der Premiere begeisterten Applaus. Er galt nicht nur dem phänomenalen Gesangsensemble, dem herausragenden Festwochenorchester und seinem souveränen Leiter De Marchi, sondern auch der brillanten Inszenierung von Alessandra Premoli.
Als „Idalma” 1680 in Rom aus der Taufe gehoben wurde, war dafür ein ganzer Palast umgebaut worden. Decken hatte man entfernt und Wände versetzt, damit die Aufführung so prunkvoll wie möglich über die private Bühne eines Adligen gehen konnte. Giuseppe Domenico de Totis’ Libretto folgt der Tradition spanischer Mantel-und-Degen-Stücke. Die witzigen Texte sind voller Anspielungen auf den seinerzeit beliebten Don-Juan-Stoff. Ihre doppelbödigen Gags zünden heute noch. In Pasquinis ebenso unterhaltsamer wie psychologisch tieflotender Vertonung entfalten sie aber auch ernste Untertöne.
Alessandro De Marchi hat dieses Meisterwerk, das einst in Italien vielfach nachgespielt wurde, zusammen mit Giovanna Barbati aus handschriftlichen Quellen ediert. Weil das Tiroler Landestheater derzeit saniert wird, dient das neue Haus der Musik als Ausweichquartier. Im Großen Saal, der weder über Bühnentechnik noch über einen Orchestergraben verfügt, ist die Situation beengt.
Premolis Inszenierung ist inspiriert von der Situation der Uraufführung. Die Handlung des Stücks findet statt, während ein altes Schloss renoviert wird. Eine Architektin leitet dessen Umbau in ein Museum. Bei Ortsterminen mit Bauarbeitern stellt sie sich vor, was sich früher hier unter vormaligen Schlossbewohnern zugetragen haben mag. Ihre Fantasien schieben sich vor die Realität und entwickeln zunehmend ein Eigenleben.
Die Zeitenebenen durchdringen sich. Für die Handwerker scheint es in diesem Schloss zu spuken. Ihre moderne Technik irritiert anderseits das mit sich selbst und seinen Liebeshändeln beschäftigte Personal der Oper.
Mit Augenzwinkern wird der oberflächliche Versuch zweier Ehepaare geschildert, ihre lädierten Beziehungen wieder zu „reparieren“. Der alternative Operntitel „Chi dura la vince” (“Wer durchhält, gewinnt“) ist ironisch gemeint. Lindoro, ein Möchtegern-Freuenheld, hat Idalma geheiratet, dann aber sitzen lassen, weil es ihn zu seiner Ex Irene zurückzog. Die ist mittlerweile mit seinem Kumpel Celindo verbandelt. Lindoros Diener Pantano, ein Schlitzohr wie Mozarts Leporello, wird mit Geld geködert. Für seinen Herrn soll er Irene anbaggern. Als Celindo ihn zur Rede stellt, windet er sich mit haarsträubenden Ausreden heraus. Lindoro landet am Ende nicht wie Don Giovanni in ewiger Verdammnis, sondern im Hafen einer Ehehölle mit Idalma, die es im Grunde auch nur auf den Status ihres Gatten abgesehen hat.
Nathalie Deanas Bühne macht aus Raumnot eine Tugend. Seitlich verschiebbare Prospekte zeigen die Innenwände eines Schlosses. Anna Missaglia hat den Protagonisten historische Kostüme auf den Leib geschneidert. Wie Gespenster kommen sie anfangs in Bettlaken herein, geistern zwischen modern gekleideten Statisten herum und erstarren zuweilen in malerischen Posen. De Marchi leitet das farbig tönende Orchester vom Cembalo aus, nutzt Stereoeffekte plastisch und hat Rhythmuswechsel sicher im Griff. Pasquinis vielgestaltige Partitur wird kammermusikalisch transparent aufgefaltet. Das junge Gesangsensemble bezaubert mit Stimmen, von denen man nicht genug bekommen kann.
De Marchi hat das Festival als Intendant 2010 in der Nachfolge von René Jacobs übernommen. Sein Vertrag läuft 2023 aus. In einer Zeit, in der Barockoper weltweit im Aufwind ist, hat er in Innsbruck mit sensationellen Wiederentdeckungen zu diesem Boom beigetragen. Der von ihm initiierte Cesti-Wettbewerb für Barockgesang hat sich in dieser Szene schon jetzt als Sprungbrett für die Stars von morgen erwiesen.