Schlafen unterm Apfelbaum
Im Thurgau können Urlauber im Doppelbett auf einer Obstwiese übernachten
Es gibt Abenteuer, bei denen man den Ehemann besser zu Hause lässt. Zumindest meinen. Campen ist so ein Abenteuer und ohne Zelt erst recht. Meine geplante Testnacht unterm Apfelbaum ist ein klarer Fall für meine Freundin Meike, die ein halbes Jahr in Kanada nahe der Grenze zu Alaska verbracht, in eiskalten Hütten übernachtet und Bären aus dem Vorgarten vertrieben hat. Dauerregen die ganze Nacht lautet die Prognose. Eigentlich auch nichts für mich. Selbst in Kanada ist das Wetter besser.
Unsere Stimmung ist trotz der trüben Aussicht gut. Was ist schon ein bisschen Regen, wenn man dafür dem Corona-Alltag entfliehen kann? Vergnügt nehmen wir Kurs auf Mostindien. Was exotisch klingt, ist in Wirklichkeit nur 30 Kilometer von Konstanz entfernt im Schweizer Kanton Thurgau, der den Spitznamen seiner Form und dem intensiven Apfelanbau zu verdanken hat. Als wir auf dem Hagschnurer Hof in Hüttwilen ankommen, sind wir sofort begeistert. Der Hof liegt wunderschön auf einer Anhöhe und wir verlieben uns spontan in das hübsche Hofcafé.
Unser Bett steht auch schon bereit. Allerdings nicht auf der Wiese, sondern im Wagenschopf. Ob wir es selbst aufs Feld chauffieren wollen, will unser Gastgeber Daniel Bauer wissen. Wir schauen uns zweifelnd an. Traktorfahren? Wir? Das Modell ist eindeutig museumsreif. „Ein Rapid Spezial aus den 1960er-Jahren“, sagt Dani. „Ganz einfach zu fahren.“Warum also nicht? Ich setze mich ans Steuer des umgebauten Einachsers und ziehe Bett samt Freundin am Hof vorbei zur Wiese. Die Gaudi ist groß und die Sonne scheint zumindest noch für die ersten Fotos. Die durchsichtige Plastikhaube ist vorsichtshalber schon montiert. Bei schönem Wetter liegen die Gäste auf dem Anhänger in einem eigens angefertigten Doppelbett direkt unter freiem Himmel. Romantik pur. Sogar die Hofkatze soll sich schon zu den Gästen ins Bett gekuschelt haben. Für uns hat Dani einen Plan B in der Tasche: Wenn das Wetter zu heftig wird, können wir im Heubodenzimmer im Haupthaus übernachten.
Eigentlich wollten wir nach der Inspektion unseres Himmelbetts mit dem E-Bike zur Strandbar am Hüttwilersee radeln. Angesichts der düsteren Wolken steigen wir lieber ins Auto und düsen schnell nach Stein am Rhein. Als wir im „Uferlos“, einer lässigen Bar direkt an der Schiffslende ankommen, hat der Regen längst eingesetzt. Spätestens jetzt ist klar, dass wir unser Käsefondue nicht an dem hübschen Tischchen auf unserem Hänger einnehmen werden, sondern im Hofcafé.
Als wir wieder auf dem Hof sind, ist der Tisch schon liebevoll gedeckt mit Blümchen und warmen Kartoffeln im Filzsäckchen. Der geschmolzene Käse tut nach dem Regen gut und wir langen zu wie nach einer langen Wanderung. Immer wieder kommen wir ins Plaudern mit Daniel Bauer. Bevor er den Hof seiner Großeltern übernommen und saniert hat, war Bauer kommunaler Wirtschaftsförderer. Dass er etwas von Tourismus versteht, merkt man sofort. Die Apfelbäume der Großeltern stehen zwar immer noch, doch mittlerweile beherbergt das Gebäude nicht nur Hofladen und Café, sondern auch eine Eventscheune für Seminare, Hochzeitsfeiern und Kulturevents. Neben der Übernachtung unterm Apfelbaum gibt es auf dem Hof noch das Heubodenzimmer und ein Bubble-Hotel, bei dem die Gäste in einer Art durchsichtigen Blase die Natur genießen können. Das Himmelbett unterm Apfelbaum ist nicht nur als Überraschungsgeschenk für Paare, Hochzeiten und runde Geburtstage beliebt, sondern auch bei eingefleischten Campern. Auch Traktorfans reisen teils weit an, um ihr Bett selbst mit dem Einachser auf die Wiese zu ziehen.
Um kurz nach neun machen wir uns auf den Weg ins Bett. Größte Herausforderung ist, unter der Plane durchzuschlüpfen, ohne einen Schwall Wasser von der Plane ins Genick zu bekommen. Geschafft! Glücklich und trocken verschicken wir noch ein paar Selfies von unserem Mikro-Abenteuer und blicken belustigt in den Himmel. Schade, dass wir jetzt keine Sterne sehen, aber Regentropfen tun es auch. Während es langsam dunkel wird, verschmelzen sie über uns immer wieder zu neuen Formen. Irgendwie hat der Regen auch etwas Gemütliches. Wie früher beim Zelten. Nur, dass unser Himmelbett viel bequemer ist und wir nicht im engen Schlafsack, sondern in ein blütenweißes Federbett eingemummelt sind. Weit vor Mitternacht schlafen wir mit einem breiten Grinsen ein. Campen? Nein, das hier ist viel besser. Nur wir, die Apfelbäume, der Himmel und der Regen. Kalt ist es nicht, als wir am frühen Morgen aufwachen. Aber ziemlich klamm. Gut gelaunt marschieren wir über die Wiese ins Hofcafé, setzten uns an den gedeckten Frühstückstisch und gönnen uns ein frisch gelegtes Ei. Unsere Nacht unter freiem Himmel war auf jeden Fall ein Erlebnis. Wer kann schon von sich behaupten, dass er in Mostindien unterm Apfelbaum geschlafen hat? Für nächstes Jahr überlege ich mir ein neues Abenteuer vor der eigenen Haustüre. Eine Nacht im Bubble-Hotel fände ich super. Vielleicht sogar wieder in Mostindien.
Schlafen unterm Apfelbaum ist ein Konzept von Thurgau Tourismus und wird auf dem Hagschnurer Hof in Hüttwilen bei Frauenfeld von Ende Mai bis Ende August angeboten. Eine Nacht kostet etwa 205 Euro. Die Infrastruktur (Frühstück, WC, Dusche) steht den Gästen beim Hofladencafé zur Verfügung. Auf Wunsch werden Raclette oder Fondue unterm Baum serviert. Im Preis inbegriffen ist die Nutzung von E-Bikes. Frauenfeld, Stein am Rhein, die Kartause Ittingen oder der Hüttwilersee können bequem mit dem Rad erreicht werden. Weitere Informationen unter