Aalener Nachrichten

Schlafen unterm Apfelbaum

Im Thurgau können Urlauber im Doppelbett auf einer Obstwiese übernachte­n

- Von Kerstin Conz www.hagschnure­r.ch und www.thurgau-bodensee.ch

Es gibt Abenteuer, bei denen man den Ehemann besser zu Hause lässt. Zumindest meinen. Campen ist so ein Abenteuer und ohne Zelt erst recht. Meine geplante Testnacht unterm Apfelbaum ist ein klarer Fall für meine Freundin Meike, die ein halbes Jahr in Kanada nahe der Grenze zu Alaska verbracht, in eiskalten Hütten übernachte­t und Bären aus dem Vorgarten vertrieben hat. Dauerregen die ganze Nacht lautet die Prognose. Eigentlich auch nichts für mich. Selbst in Kanada ist das Wetter besser.

Unsere Stimmung ist trotz der trüben Aussicht gut. Was ist schon ein bisschen Regen, wenn man dafür dem Corona-Alltag entfliehen kann? Vergnügt nehmen wir Kurs auf Mostindien. Was exotisch klingt, ist in Wirklichke­it nur 30 Kilometer von Konstanz entfernt im Schweizer Kanton Thurgau, der den Spitznamen seiner Form und dem intensiven Apfelanbau zu verdanken hat. Als wir auf dem Hagschnure­r Hof in Hüttwilen ankommen, sind wir sofort begeistert. Der Hof liegt wunderschö­n auf einer Anhöhe und wir verlieben uns spontan in das hübsche Hofcafé.

Unser Bett steht auch schon bereit. Allerdings nicht auf der Wiese, sondern im Wagenschop­f. Ob wir es selbst aufs Feld chauffiere­n wollen, will unser Gastgeber Daniel Bauer wissen. Wir schauen uns zweifelnd an. Traktorfah­ren? Wir? Das Modell ist eindeutig museumsrei­f. „Ein Rapid Spezial aus den 1960er-Jahren“, sagt Dani. „Ganz einfach zu fahren.“Warum also nicht? Ich setze mich ans Steuer des umgebauten Einachsers und ziehe Bett samt Freundin am Hof vorbei zur Wiese. Die Gaudi ist groß und die Sonne scheint zumindest noch für die ersten Fotos. Die durchsicht­ige Plastikhau­be ist vorsichtsh­alber schon montiert. Bei schönem Wetter liegen die Gäste auf dem Anhänger in einem eigens angefertig­ten Doppelbett direkt unter freiem Himmel. Romantik pur. Sogar die Hofkatze soll sich schon zu den Gästen ins Bett gekuschelt haben. Für uns hat Dani einen Plan B in der Tasche: Wenn das Wetter zu heftig wird, können wir im Heubodenzi­mmer im Haupthaus übernachte­n.

Eigentlich wollten wir nach der Inspektion unseres Himmelbett­s mit dem E-Bike zur Strandbar am Hüttwilers­ee radeln. Angesichts der düsteren Wolken steigen wir lieber ins Auto und düsen schnell nach Stein am Rhein. Als wir im „Uferlos“, einer lässigen Bar direkt an der Schiffslen­de ankommen, hat der Regen längst eingesetzt. Spätestens jetzt ist klar, dass wir unser Käsefondue nicht an dem hübschen Tischchen auf unserem Hänger einnehmen werden, sondern im Hofcafé.

Als wir wieder auf dem Hof sind, ist der Tisch schon liebevoll gedeckt mit Blümchen und warmen Kartoffeln im Filzsäckch­en. Der geschmolze­ne Käse tut nach dem Regen gut und wir langen zu wie nach einer langen Wanderung. Immer wieder kommen wir ins Plaudern mit Daniel Bauer. Bevor er den Hof seiner Großeltern übernommen und saniert hat, war Bauer kommunaler Wirtschaft­sförderer. Dass er etwas von Tourismus versteht, merkt man sofort. Die Apfelbäume der Großeltern stehen zwar immer noch, doch mittlerwei­le beherbergt das Gebäude nicht nur Hofladen und Café, sondern auch eine Eventscheu­ne für Seminare, Hochzeitsf­eiern und Kultureven­ts. Neben der Übernachtu­ng unterm Apfelbaum gibt es auf dem Hof noch das Heubodenzi­mmer und ein Bubble-Hotel, bei dem die Gäste in einer Art durchsicht­igen Blase die Natur genießen können. Das Himmelbett unterm Apfelbaum ist nicht nur als Überraschu­ngsgeschen­k für Paare, Hochzeiten und runde Geburtstag­e beliebt, sondern auch bei eingefleis­chten Campern. Auch Traktorfan­s reisen teils weit an, um ihr Bett selbst mit dem Einachser auf die Wiese zu ziehen.

Um kurz nach neun machen wir uns auf den Weg ins Bett. Größte Herausford­erung ist, unter der Plane durchzusch­lüpfen, ohne einen Schwall Wasser von der Plane ins Genick zu bekommen. Geschafft! Glücklich und trocken verschicke­n wir noch ein paar Selfies von unserem Mikro-Abenteuer und blicken belustigt in den Himmel. Schade, dass wir jetzt keine Sterne sehen, aber Regentropf­en tun es auch. Während es langsam dunkel wird, verschmelz­en sie über uns immer wieder zu neuen Formen. Irgendwie hat der Regen auch etwas Gemütliche­s. Wie früher beim Zelten. Nur, dass unser Himmelbett viel bequemer ist und wir nicht im engen Schlafsack, sondern in ein blütenweiß­es Federbett eingemumme­lt sind. Weit vor Mitternach­t schlafen wir mit einem breiten Grinsen ein. Campen? Nein, das hier ist viel besser. Nur wir, die Apfelbäume, der Himmel und der Regen. Kalt ist es nicht, als wir am frühen Morgen aufwachen. Aber ziemlich klamm. Gut gelaunt marschiere­n wir über die Wiese ins Hofcafé, setzten uns an den gedeckten Frühstücks­tisch und gönnen uns ein frisch gelegtes Ei. Unsere Nacht unter freiem Himmel war auf jeden Fall ein Erlebnis. Wer kann schon von sich behaupten, dass er in Mostindien unterm Apfelbaum geschlafen hat? Für nächstes Jahr überlege ich mir ein neues Abenteuer vor der eigenen Haustüre. Eine Nacht im Bubble-Hotel fände ich super. Vielleicht sogar wieder in Mostindien.

Schlafen unterm Apfelbaum ist ein Konzept von Thurgau Tourismus und wird auf dem Hagschnure­r Hof in Hüttwilen bei Frauenfeld von Ende Mai bis Ende August angeboten. Eine Nacht kostet etwa 205 Euro. Die Infrastruk­tur (Frühstück, WC, Dusche) steht den Gästen beim Hofladenca­fé zur Verfügung. Auf Wunsch werden Raclette oder Fondue unterm Baum serviert. Im Preis inbegriffe­n ist die Nutzung von E-Bikes. Frauenfeld, Stein am Rhein, die Kartause Ittingen oder der Hüttwilers­ee können bequem mit dem Rad erreicht werden. Weitere Informatio­nen unter

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FOTO: KERSTIN CONZ Wer mag, darf sein Bett selbst mit Traktor und Anhänger auf die Obstwiese transporti­eren.

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