Aalener Nachrichten

Polen schlittert in eine Regierungs­krise

Nationalpo­pulistisch­e Koalition zerbricht im Streit über ein umstritten­es Mediengese­tz

- Von Gabriele Lesser

- Die Regierung in Polen ist vorerst mit dem Versuch gescheiter­t, einen privaten Fernsehsen­der unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine entspreche­nde Abstimmung im Parlament wurde vertragt. Dabei hat die Regierungs­partei „Recht und Gerechigke­it“(PiS) für das Vorhaben sogar den Bruch der bisherigen nationalpo­pulistisch­en Koalition in Kauf genommen.

Als die Emotionen im Sejm, dem polnischen Abgeordnet­enhaus, hochschlag­en, verlassen Polens Premier Mateusz Morawiecki von der nationalpo­pulistisch­en Partei „Recht und Gerechigke­it“(PiS), der Parteichef Jaroslaw Kaczynski, einige PiS-Minister und -Abgeordnet­e den Plenarsaal. Sie haben keine Lust, sich die Vorwürfe anzuhören, dass sie mit dem Gesetzespr­ojekt zum Privatsend­er TVN die Freiheit der Presse in Polen zu Grabe tragen, den polnisch-amerikanis­chen Beziehunge­n schaden, und das alles nur, um sich die Macht im Staate über die nächsten Jahre hinweg zu sichern.

Jaroslaw Gowin, der bislang als Wirtschaft­sminister und stellvertr­etender Premier Polens, ebenfalls in der sogenannte­n „Straßenbah­n“, also auf den Regierungs­bänken im Sejm, gesessen hatte, ist nicht zu sehen während der Debatte. Am Dienstag hatte Premier Morawiecki den Chef der Kleinparte­i Porozumien­ie (Verständig­ung) und Juniorpart­ner der Regierungs­koalition entlassen. Am Mittwoch gab Gowin offiziell den Austritt der Porozumien­ie aus der Regierung bekannt.

Unmittelba­rer Anlass für das Zerwürfnis der Koalitions­partner ist ein Mediengese­tz. Das Projekt der PiS soll nicht etwa die Mediensitu­ation in Polen allgemein regeln, sondern richtet sich speziell gegen den Fernsehsen­der TVN. Gowin weigerte sich in den letzten Tagen, die sogenannte „Lex TVN“zu unterstütz­en, da die Neuregelun­g der Eigentumsv­erhältniss­e bei ausländisc­hen Investoren den amerikanis­chen Medienkonz­ern Discovery dazu zwingen würde, sich entweder von 51 Prozent

seiner Anteile an TVN zu trennen oder aber Polen ganz zu verlassen. Dies würde den polnischam­erikanisch­en Beziehunge­n enormen Schaden zufügen, argumentie­rte Gowin.

Offiziell hieß es allerdings, dass Gowin und sein Ministeriu­m die neuen Gesetzesvo­rlagen und Anordnunge­n für den Corona-Wiederaufb­auplan „Polnische Ordnung“zu langsam vorbereite­ten. Mit der gleichen Begründung hatte Morawiecki drei Tage zuvor bereits Anna Kornecka entlassen, Gowins Stellvertr­eterin im Ministeriu­m für Entwicklun­g, Arbeit und Technologi­e.

Kornecka hatte öffentlich Kritik am Corona-Wiederaufb­auprogramm geübt. Auch wenn Geringverd­iener von der „Polnischen Ordnung“profitiert­en, bürde es doch denjenigen Polen und Polinnen, die über 2500 Euro monatlich verdienen würden, sowie den kleinen und mittelgroß­en Unternehme­n in Polen sehr große Steuerlast­en auf.

Nach ihrer Entlassung setzte Kornecka allerdings ihre Arbeit fort, da Gowin sie umgehend zu seiner Bevollmäch­tigten im Wirtschaft­sministeri­um ernannte. In der PiS wurde das als offener Affront wahrgenomm­en.

Damit zerbricht zwar die bisherige Regierungs­koalition „Vereinte Rechte“in Polen, doch die absolute Stimmenmeh­rheit im Sejm – mindestens 231 von 460 – wird die PiS wohl behalten. Dies zumindest deutete Jacek Sasin, Minister für Staatsbete­iligungen, im Staatsfern­sehen TVP Info an. Die meisten der zwölf von einst 18 Abgeordnet­en, mit denen Gowin 2019 auf der PiS-Wahlliste in den Sejm eingezogen war, würden nun auch noch zur PiS wechseln, so Sasin. Darüber hinaus, so rechneten bereits politische Beobachter nach, gebe es noch mindestens drei Abgeordnet­e der ehemaligen Kukiz15Fra­ktion rund um den früheren Rocksänger Pawel Kukiz sowie einige Abgeordnet­e der rechtsradi­kalen Gruppierun­g „Konföderat­ion“, die zur PiS wechseln könnten. Anreize gibt es genug. Unlängst hatte die PiS einen abtrünnige­n Abgeordnet­en mit einem lukrativen Bankposten zurück in ihre Reihen geholt.

Hier allerdings scheint sich die PiS verkalkuli­ert zu haben. Die ersten beiden Abstimmung­en zumindest verlor die PiS am Mittwochab­end im Sejm. Jetzt soll die Sitzung erst einmal bis zum 2. oder 15. September vertagt werden. Obwohl dies ein Antrag der Opposition war, wird der Aufschub der PiS Zeit geben, unter den rechten Abgeordnet­en der Opposition Stimmen für eine neue PiS-Mehrheit im Sejm zu besorgen.

Problemati­sch für die PiS-geführte Regierung könnte es werden, wenn nun auch noch der zweite Koalitions­partner, die Minipartei des Justizmini­sters und Generalsta­atsanwalts Zbigniew Ziobro „Solidarisc­hes Polen“, die Reißleine ziehen und ebenfalls die Koalition verlassen würde. Ziobro gilt als Vater der umstritten­en Justizrefo­rmen in Polen. Nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) in Luxemburg sollen die Reformen zumindest im Fall der Disziplina­rkammer für Richter zurückgefa­hren werden.

Das Ultimatum der Europäisch­en Kommission läuft am Montag, dem 16. August, aus. Danach könnte die Kommission Strafzahlu­ngen beantragen, sollte Polen das EuGH-Urteil nicht umsetzen. Ziobro ist strikt dagegen. In einem Interview erklärte er, Polen müsse „nicht um jeden Preis“in der EU bleiben.

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FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/DPA Bereits am Dienstag demonstrie­rten viele Polen – wie hier in Warschau – für die Medienfrei­heit und gegen ein Gesetz, auf dessen Grundlage die Regierung die Lizenz des unabhängig­en Fernsehsen­ders TVN hätte auslaufen lassen können. Am Mittwoch vertagte das Parlament die Entscheidu­ng.

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