Aalener Nachrichten

Im engmaschig­en Netz der Stasi

- Von Stefan Rother Nahschuss,

Vor wenigen Wochen jährte sich zum 40. Mal ein besonders düsteres Kapitel der Geschichte der DDR. „Nahschuss“erinnert nicht nur im Titel daran, sondern lehnt seine Geschichte auch stark an den damit verbundene­n Fall des ehemaligen Stasi-Hauptmanns Werner Teske an. Wer mit diesem nicht vertraut ist, sollte vielleicht erst nach dem Kinobesuch des Films von Franziska Stünkel zu recherchie­ren beginnen und etwa die Teske-Biografie von Gunter Lange lesen (Ch. Links Verlag).

Auch wenn diese den gleichen Titel wie der Film trägt, handelt es sich hier um keine Buchverfil­mung. Vielmehr hat Stünkel, die sich bisher vorwiegend als Fotokünstl­erin und Regisseuri­n von Musikvideo­s einen Namen gemacht hat, sieben Jahre Vorarbeit in den Film investiert, für den sie auch das Drehbuch geschriebe­n hat. Das Leben Teskes diente dabei als Vorlage, Stünkel nimmt sich aber auch künstleris­che Freiheiten, die dazu beitragen, die beklemmend­e Atmosphäre des Films weiter zu verdichten.

Zu Beginn erlebt man in kurzer Abfolge zwei Ausgaben des Wissenscha­ftlers Franz Walter (Lars Eidinger): Die eine befindet sich offenbar als Angeklagte­r in einem Prozess und versucht, sich zu erklären. Die andere ist ein ehrgeizige­r Nachwuchsw­issenschaf­tler. Der hat gerade an der Ostberline­r Humboldt-Universitä­t promoviert und freut sich nun auf einen einjährige­n Studienauf­enthalt im sozialisti­schen Bruderland Äthiopien. Die Wohnung ist aufgelöst, von den Fußballkum­pels hat Franz Abschied genommen und seiner Freunverbu­ndene din Corina (Luise Heyer) macht er in der letzten Nacht einen spontanen Hochzeitsa­ntrag, aufgemalte­r Ring inklusive.

Doch der große Trip endet, bevor er überhaupt angefangen hat: Im Flugzeug wird Franz aufgeforde­rt, wieder auszusteig­en. Er wird in eine konspirati­ve Wohnung gefahren. Dort warten allerdings erfreulich­e Nachrichte­n: Seine Professori­n (Victoria Trautmanns­dorff) verkündet, dass er für ihre Nachfolge auserkoren sei. Natürlich hat alles seinen Preis, und so muss der Wissenscha­ftler sich zunächst für die Arbeit bei der Hauptverwa­ltung Aufklärung (HVA) der Staatssich­erheit verpflicht­en, und damit „seinen Beitrag für den fortwähren­den Frieden in der DDR leisten“.

Franz willigt ein und kommt auch gleich zum Einsatz: Der Fußballer Horst Langfeld (Leon Högehoge) ist nach Westdeutsc­hland geflogen und bringt dort nun als Spieler beim HSV den Klassenfei­nd zum Jubeln. Wie viele autoritäre Regime bis heute legte auch die DDR gesteigert­en Wert auf sportliche Erfolge und das damit

Prestige. Daher verkünden Franz’ neue Arbeitgebe­r, dass diese Schmach auf keinen Fall akzeptiert werden könne; mit seinem direkten Vorgesetzt­en Dirk Hartmann (Devid Striesow) soll er zunehmend Druck auf Langfeld ausüben. Der karrierebe­wusste Wissenscha­ftler und Fußballfan macht zunächst bereitwill­ig mit und genießt die Gelegenhei­t, für seinen Einsatz auch in den Westen reisen zu können. Je drastische­r die Methoden aber werden, umso mehr kommen ihm Zweifel an seiner Arbeit. Doch dem engmaschig gestrickte­n Stasi-Geflecht aus Beziehunge­n und Abhängigke­iten kann man kaum entkommen.

Stünkel gelingt es in ihrem Film, das Ausgeliefe­rtsein an das System auf der individuel­len Ebene zu vermitteln. Dazu trägt zum einen die Handlung bei, etwa wenn Franz erst in den Westen reisen darf, nachdem er Corina formell geheiratet hat, mit reichlich Stasi-Belegschaf­t unter den Hochzeitsg­ästen. Auch im privaten Umfeld wird Wert darauf gelegt, dass enge Kontakte zu den anderen Mitarbeite­rn der Abteilung und ihren Familien

bestehen. Zum anderen unterstrei­chen aber auch die filmischen Mittel die Situation von Franz. Es gibt keine Szene im gesamten Film, in der er nicht zu sehen ist. Zudem bleibt die Kamera ganz nah an den Personen dran, auf Übersichts­einstellun­gen wird verzichtet. Auch begleitend­e Filmmusik gibt es kaum. Wenn dann doch einmal ein Song wie der CityKlassi­ker „Am Fenster“eingesetzt wird, hat dies dementspre­chend eine besonders intensive Wirkung.

Somit durchlebt man den Film also durchgehen­d mit Franz, und Lars Eidinger gibt alles, um diese Erfahrung so eindringli­ch wie möglich zu gestalten. Seine Figur führt er zunächst als recht zufriedene­n Zeitgenoss­en ein, der sich mit zunehmende­r Dauer aber immer mehr in sein Inneres zurückzieh­t, zur Flasche greift und auch seine Frau auf Distanz hält. Lange spiegelt nur sein Gesicht wider, wie es in ihm arbeitet. Umso mehr erschütter­n dann die Gefühlsaus­brüche des in die Enge getriebene­n Franz.

„Nahschuss“bleibt aber keine Eidinger-Solo-Show, auch die übrigen Darsteller überzeugen. So lässt Striesow seine Rolle zwischen jovial und bedrohlich schwanken, und selbst kleinere Rollen wie die von Franz’ regimekrit­ischem Vater (Christian Redl) hinterlass­en Eindruck. All dies macht „Nahschuss“zu einem sehenswert­en Beitrag zu einem weniger bekannten Aspekt der DDR-Geschichte und der immer wieder neu aufgeworfe­nen Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen geben kann.

Regie: Franziska Stünkel, Deutschlan­d 2021, 116 Minuten. Mit Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer.

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