Aalener Nachrichten

Der „Engel der Lüfte“sagt Adieu

Die Transall-Transportm­aschinen der Luftwaffe werden ausgemuste­rt – Abschiedsf­lüge über Süddeutsch­land

- Von Ludger Möllers

Laupheim statt Kabul. Oberschwab­en statt Hindukusch. Fans statt Flüchtling­e. Abschiedst­our statt Evakuierun­gsflug. Es sind krasse Gegensätze, zwischen denen die Besatzunge­n der Transall-Transportm­aschinen der Luftwaffe in diesen Tagen gedanklich pendeln. Sie fliegen ihre beiden Flugzeuge zum letzten Mal nach Süddeutsch­land. Ihre Kameraden dagegen haben einen lebensgefä­hrlichen Auftrag. Die zentrale Frage: „Können wir wirklich in diesen Stunden, in denen gleichzeit­ig unsere Kameraden die Luftbrücke von Kabul nach Taschkent aufbauen und so viele Menschen wie möglich aus Afghanista­n ausfliegen, unsere lange geplante Ehrenrunde drehen und den ,Engel der Lüfte’, unsere Transall, feierlich verabschie­den?“Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters vom Lufttransp­ortgeschwa­der 63 aus Hohn in Schleswig-Holstein berichtet von intensiven Gesprächen im Kameradenk­reis: „Wir haben uns entschloss­en, den Kameradinn­en und Kameraden hier im Süden und auch den vielen Fans Gelegenhei­t zu geben, die Transall letztmals fliegend zu sehen, denn auf diese Weise wird genau heute der Staffelsta­b des Lufttransp­orts, des Helfens, Rettens und Bergens von der Transall auf das Nachfolgem­odell im militärisc­hen Lufttransp­ort, die A400M, symbolisch weitergege­ben.“

Also landet die Transall in Sonderlack­ierung an diesem schönen Augusttag auf dem Militärflu­gplatz Laupheim. „Am Boden haben wir Menschen gesehen, die ein THX für Thanks, also Danke, gebildet haben“, sagt Peters, „dann war unsere Entscheidu­ng richtig.“

Rückblick. In den 1960er-Jahren entwickeln Deutschlan­d und Frankreich ein Transportf­lugzeug für militärisc­he Einsätze: Die Transporte­r Allianz entsteht, das Flugzeug heißt Transall. 1968 bekommt die deutsche Luftwaffe ihre ersten Maschinen und startet den modernen Lufttransp­ort. Die zweimotori­gen Propellerf­lugzeuge, von denen 110 Stück beschafft werden, können bis zu 93 Passagiere, mehr als 60 Fallschirm­jäger oder bis zu 16 Tonnen Material transporti­eren. Die Passagiere teilen sich die Kabine mit der Fracht. Gesessen wird quer zur Flugrichtu­ng, wobei sich die Reisenden nicht auf Sitzen mit verstellba­ren Rückenlehn­en niederlass­en, sondern in olivgrünem Tuch versinken, das an Metallstre­ben vertäut ist.

„Die Maschinen waren in internatio­nalen Einsätzen weltweit sehr gefragt, weil sie auch auf unebenem Gelände landen können – etwa mitten in der Wüste“, sagt Oberstabsf­eldwebel Peters, der auf 6000 Flugstunde­n zurückscha­uen kann.

Anfangs ist das Flugzeug nur für den taktischen Transport gedacht: „Später umfasste das Einsatzspe­ktrum aber auch die Rolle als fliegendes Lazarett, die sogenannte AirMedical-Evacuation-Version. Dabei handelt es sich um eine umgerüstet­e Transall-Maschine, die bis zu drei Patienten transporti­eren kann.“Diese können während des Fluges von einem zwölfköpfi­gen Ärzteteam intensivme­dizinisch betreut werden.

In jenen Jahren sind die TransallBe­satzungen mit ihren Maschinen im Inland und später auch weltweit für Hilfseinsä­tze unterwegs. Journalist­en schreiben über den „Engel der Lüfte“, das typische Brummen der beiden Triebwerke kündigt einschwebe­nde Hilfe an. Einige Beispiele: 1974/75 bringen die Männer des Lufttransp­ortgeschwa­ders 63 Hilfsmitte­l nach Äthiopien, in den Sudan und den Tschad, neben Lebensmitt­eln vor allem Sanitätsma­terial, Zelte und Versorgung­sgüter für die gefährdete­n Gebiete. Im August 1975 treten 8000 Soldaten im Kampf gegen die schlimmen Waldbrände in Niedersach­sen an. Die Transportf­lugzeuge vom Typ Transall und Hubschraub­er entleeren unentwegt Wassertank­s über der Lüneburger Heide. 1990 fliegen die Soldaten nach einem verheerend­en Erdbeben Anlagen zur Wasseraufb­ereitung nach Iran. Dort betreiben deutsche Sanitäter ein Krankenhau­s. Stabsfeldw­ebel Frank Nobiling, der als Ladungsmei­ster für die Sicherheit im Laderaum verantwort­lich ist, erinnert sich besonders an den Hilfseinsa­tz in Südostasie­n während der Jahrtausen­dwende: „Fünf Monate waren wir unterwegs, um mit einer internatio­nalen Friedenstr­uppe die Bevölkerun­g Ost-Timors vor weiterem Terror zu schützen.“Die Bundesregi­erung schickt zwei Transall-Maschinen mit Sanitätern an Bord in die Krisenregi­on: Sie sollen Verletzte von Ost-Timor nach Australien ausfliegen.

Zur Geschichte des Flugzeugs gehören auch traurige Kapitel. So stürzt eine Maschine am 6. Februar 1975 auf Kreta ab. 42 Soldaten kommen ums Leben. In Bayern verunglück­t am 11. Mai 1990 eine Transall. Dabei werden zehn Besatzungs­mitglieder getötet. Bei einem Unglück im Oktober 1995 auf den Azoren kommen sieben Flieger ums Leben.

An der Geschichte der Transall zeigt sich auch, wie sich die deutsche Haltung zu Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr im Laufe der Jahrzehnte entwickelt: Anfang der 1990er fliegen die Besatzunge­n die ersten rein militärisc­hen Einsätze, ein Teil der Transall-Flotte wird mit Selbstschu­tzanlagen zur Abwehr feindliche­r Boden-Luft-Raketen ausgestatt­et. Im Bosnien-Krieg geraten die Besatzunge­n unter Beschuss. Während der Luftbrücke zur Versorgung der Bevölkerun­g im belagerten Sarajevo müssen die Piloten den Flughafen der Stadt aus großer Höhe und steil anfliegen, um möglichst lange außerhalb der Reichweite von Handfeuerw­affen zu bleiben. Außerdem können sie anfliegend­en Raketen ausweichen. 2011 holen während der Operation Pegasus deutsche und britische Streitkräf­te Staatsbürg­er beider Nationen der Aufstände aus Libyen heraus.

„Seit Ende 2001 waren wir sehr viel in Afghanista­n unterwegs“, erinnert sich Stabsfeldw­ebel Frank Nobiling, „ich blicke auf 21 Einsätze und 600 Tage am Hindukusch zurück.“Bis 2008 waren die Maschinen in Termiz in Usbekistan und von 2008 bis 2014 in Masar-e Scharif stationier­t. In diesen Tagen des Rückzugs der Bundeswehr sind dem 55-jährigen Berufssold­aten die Erinnerung­en besonders präsent: „Belastend waren natürlich die Flüge mit Verletzten und dann auch toten Kameraden, die wir ausfliegen mussten.“Heute sagt er sich: „Vor allem mit Blick auf die Hinterblie­benen der 59 getöteten Soldaten muss man feststelle­n: Es war alles umsonst.“

Und Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters, der ebenfalls etliche Male in Afghanista­n im Einsatz war, ergänzt: „Gerade weil wir das Land und die Gegebenhei­ten so gut kennen, verfolgen wir natürlich, wie sich die Nachrichte­n über die Luftbrücke von Kabul nach Taschkent entwickeln, selbstvers­tändlich sind wir in Kontakt mit den Kameraden des Lufttransp­ortgeschwa­ders 62 aus Wunstorf, die dort seit dem vergangene­n Wochenende mit dem Nachfolgem­odell unserer Transall, der A400M, im Einsatz sind.“Ob eine Luftbrücke, wie sie aufgebaut wird, mit der Transall überhaupt möglich wäre? In Kreisen der Luftwaffe ist man froh, gerade jetzt mit der A400M ein Fluggerät nutzen zu können, das seine Feuertaufe besteht und in Nutzlast, Reichweite und Technologi­e gegenüber der Transall einen Quantenspr­ung markiert.

Entwickelt seit Ende der 1990erJahr­e und ausgeliefe­rt seit 2014, hat das neue „Arbeitspfe­rd der Luftwaffe“ mit der Transall nicht mehr viel gemeinsam. Als MehrzweckM­ilitärtran­sporter konzipiert, fliegt die A400M fast so schnell wie ein Jet, kann bis zu acht Kleinpanze­r oder 116 komplett ausgerüste­te Fallschirm­springer transporti­eren und auf unbefestig­ten Kurzpisten landen.

Rund 1,5 Milliarden Euro teurer als geplant und mehr als elf Jahre zu spät geliefert – der Transporte­r hatte wegen herber Geburtssch­wierigkeit­en und vieler Kinderkran­kheiten lange einen schlechten Ruf. „Der Bengel der Lüfte“titelte eine Agentur. Die Pleiten, Pech und Pannen aus der Beschaffun­gs- und Einführung­sphase der A400M ordnet Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters ein: „Das gibt es bei jedem Rüstungspr­ojekt.“Auch die als zuverlässi­g bekannten Transalls hatten ihre Tücken. Ausweislic­h einer Mitteilung der Bundeswehr über den einsatzber­eiten Bestand flogen im Jahr 2015 durchschni­ttlich nur 21 der damals 37 vorhandene­n Transalls.

Eigentlich sollte der Übergang von der Transall auf die A400M schon 2018 geschafft sein, nun wird der Einsatz der „Engel der Lüfte“erst im Dezember 2021 enden. Das Lufttransp­ortgeschwa­der 63 wird die verblieben­en elf Transall-Maschinen in den kommenden Wochen abgeben, das Geschwader selbst wird aufgelöst. Privatleut­e und Museen haben sich sieben Flugzeuge zum Preis von je 45 000 Euro gesichert, die „Retro-Brummel“mit der Sonderlack­ierung soll auf dem Gelände der künftigen Offizierss­chule der Luftwaffe in Roth bei Nürnberg ausgestell­t werden. Die drei restlichen Maschinen werden verschrott­et: „Im hintersten Winkel unseres Flugplatze­s“, sagt Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters, „damit wir das Elend nicht sehen müssen.“

 ?? FOTO: THOMAS HECKMANN (3) / LUDGER MÖLLERS (1) ?? Die „Retro-Brummel“, ein Transall-Flugzeug der Luftwaffe in Sonderlack­ierung, absolviert­e am Mittwoch und Donnerstag ihre Abschiedsf­lüge über Oberschwab­en. Die Maschinen werden ausgemuste­rt und verschrott­et. Auf dem Militärflu­gplatz Laupheim wurden Erinnerung­sfotos geschossen (li.), die Flughafenf­euerwehr begrüßte die Maschine (re). – Stabsfeldw­ebel Frank Nobiling und Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters (Mi.) vom Lufttransp­ortgeschwa­der 63 haben mehrere Tausend Flugstunde­n auf der Transall absolviert und waren weltweit im Einsatz.
FOTO: THOMAS HECKMANN (3) / LUDGER MÖLLERS (1) Die „Retro-Brummel“, ein Transall-Flugzeug der Luftwaffe in Sonderlack­ierung, absolviert­e am Mittwoch und Donnerstag ihre Abschiedsf­lüge über Oberschwab­en. Die Maschinen werden ausgemuste­rt und verschrott­et. Auf dem Militärflu­gplatz Laupheim wurden Erinnerung­sfotos geschossen (li.), die Flughafenf­euerwehr begrüßte die Maschine (re). – Stabsfeldw­ebel Frank Nobiling und Oberstabsf­eldwebel Alexander Peters (Mi.) vom Lufttransp­ortgeschwa­der 63 haben mehrere Tausend Flugstunde­n auf der Transall absolviert und waren weltweit im Einsatz.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany