Der Killer und das Mädchen
Stephen Kings neuer Thriller „Billy Summers“bietet drei Bücher in einem
Wohl kaum einem Autor gelingt es so gut, amerikanischen Alltag zu vermitteln, wie Stephen King. Ein Alltag, der nicht von Hollywood-Glamour geprägt ist, sondern von billigen Fastfoodund Hotelketten, tristen Strip Malls (einstöckigen Einkaufszentren), Rock- und Countrymusik im Radio, Konsumgütern und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Oft ist die ausführliche Schilderung dieses letztlich sehr banalen Alltags ein Kniff des Horrorautors: Erst ein Szenario zu entwerfen, das auch Nichtamerikanern nach Jahrzehnten einflussreicher US-Popkultur vertraut erscheint, um dann besonders effektiv das Grauen einbrechen zu lassen.
In seinem neuen Roman „Billy Summers“– je nach Zählweise sein 63. – verzichtet Stephen King allerdings auf alles Übersinnliche. Nur gegen Ende des Buches gibt es als kleinen Fanservice ein paar Referenzen an ein berüchtigtes Hotel aus einer seiner bekanntesten Erzählungen. Vielmehr setzt er seine in den vergangenen Jahren gewachsene Leidenschaft für ein anderes Genre fort: Das des „hardboiled“Krimis.
Als „hartgesotten“geht die titelgebende Hauptfigur hier auf alle Fälle durch: Billy Summers ist ein dekorierter Veteran des Irakkriegs und verdingt sich seit seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst als Auftragskiller. Allerdings als einer, der nicht jeden Auftrag annimmt – Billy tötet ausschließlich „schlechte Menschen“. Dass dieser Ehrenkodex auf sehr wackligen Füßen steht, ist dem Scharfschützen durchaus bewusst, und er steht kurz davor, sich aus dem Gewerbe zu verabschieden. Zuvor soll ihm allerdings noch ein letzter Job den Ruhestand sichern.
Dass es sich bei solch einem „allerletzten Job“um ein Klischee handelt, das in Filmen und Büchern für den Killer selten gut ausgeht, ist Billy Summers durchaus bewusst. Nach außen gibt er sich zwar als schlichtes Gemüt, das nur in Comics blättert, ist aber tatsächlich durchaus belesen. Allerdings ist das Honorar dieses Mal zu attraktiv, um Nein zu sagen: Stolze zwei Millionen Dollar, davon 500 000 vorab. Für den restlichen Betrag ist allerdings Geduld gefragt: Das Opfer, selber ein Auftragsmörder, sitzt derzeit hinter Gittern. Die mächtigen Kräfte, die hinter dem Auftrag stehen, gehen jedoch davon aus, dass der Täter in absehbarer Zeit in einer Provinzstadt dem Richter vorgeführt werden wird. Das ist der Moment, um zuzuschlagen, und die Auftraggeber mieten für Billy ein Büro in einem Hochhaus genau gegenüber dem Gerichtsgebäude.
Um ihm ein plausibles Alibi zu verschaffen, bekommt der Killer eine neue Identität als Autor, der mit seinem Buchmanuskript kämpft und in dem Büro in Ruhe arbeiten will. Die Tarnung kommt Bücherwurm Billy durchaus entgegen, denn für das
Schreiben hat er sich schon lange interessiert. Wie viele Debütautoren bedient er sich dabei bei seinem eigenen Leben – so stark, dass das Manuskript einer nur wenig verfremdeten Autobiografie gleicht. Zu erzählen hat er schließlich einiges, von einer traumatischen Kindheit bis hin zu nicht minder traumatischen Erlebnissen im Irak, sein derzeitiges Gewerbe noch gar nicht mitgerechnet.
Stephen King liebt es, über das Schreiben zu schreiben und seine Romane mit Autoren und anderen Gestalten aus dem Literaturgewerbe zu bevölkern. So gibt es hier ein „Buch im Buch“: Während Billy minutiös seinen Auftrag vorbereitet, samt Plänen für das unbemerkte Entkommen danach, und zunehmend Gefallen am alltäglichen Leben unter neuer Identität Gefallen findet, schreitet auch sein Manuskript voran. Die beiden Ebenen bieten bereits reichlich Material für einen spannenden Roman, aber King spendiert seinen Lesern gegen Ende der ersten Buchhälfte auch noch eine dritte Geschichte. Hier tritt völlig unerwartet – und für ihn unerwünscht – eine neue Person in Billys Leben, die sein weiteres Handeln und den Fortgang der Geschichte entscheidend beeinflussen wird.
Auch diese Beziehung ist für sich genommen zwar nicht neu, es lassen sich schnell Bezüge zu bekannten Vorlagen wie „Leon – Der Profi“herstellen, aber die gekonnte Verknüpfung seiner Geschichten hält den Leser weiter bei der Stange. Tief dringt man in die Gedankenwelt des Killers ein und auch die meisten der Nebenfiguren wirken lebendig, selbst wenn sie gewisse Klischees bedienen wie der Mafiaboss und seine Truppe. Dazu werden hier eher beiläufig Fragen von Schuld, Sühne und Gerechtigkeit aufgeworfen. Nur die zahlreichen Seitenhiebe auf die Trumpjahre, unter deren Eindruck der Roman geschrieben wurde, wirken etwas schal, so berechtigt sie auch sein mögen. Direkte politische Statements sind die treuen Leser von King aber schon lange gewöhnt.
Neue Leser könnte er mit „Billy Summers“allerdings auch gewinnen – wer bislang von den Horroraspekten abgeschreckt war, bekommt hier einen so ungewöhnlichen wie gut komponierten Krimithriller geboten. Ganz unblutig, das sollte den Neuzugängen allerdings bewusst sein, geht es auch in diesem Genre nicht gerade zu …
Heyne Verlag, 720 Seiten, 26 Euro.
Eloisa Diaz: 1981, Verlag Hoffmann und Campe, 320 Seiten, 23 Euro.