Aalener Nachrichten

Eine toxische Geschichte

Doris Knecht gelingt mit „Die Nachricht“ein brillanter Roman über Cybermobbi­ng

- Von Sibylle Peine Doris Knecht: Die Nachricht,

Cybermobbi­ng ist zur modernen Pest geworden. Vor allem Frauen werden im Netz bedroht, beschimpft, mit Hass verfolgt und lächerlich gemacht. Stehen sie im Rampenlich­t, wird es besonders ungemütlic­h für sie. Doch auch ganz normale Frauen können ins Visier geraten. Wie Cyberstalk­ing zur existenzie­llen Bedrohung werden und ein Leben aus den Angeln heben kann, zeigt die österreich­ische Autorin Doris Knecht („Gruber geht“) in ihrem hochaktuel­len, brillanten und spannenden Roman „Die Nachricht“.

Ruth, die Protagonis­tin des Romans, hat wie so viele andere Leidensgen­ossinnen seit Langem ihre unerquickl­ichen Erfahrunge­n mit Cybermobbi­ng gemacht. „Ich hatte mich daran gewöhnt, solche Nachrichte­n nicht ernst zu nehmen“, resümiert die Drehbuchau­torin und ehemalige Moderatori­n. „So wie alle Frauen, die sich auch nur ein bisschen in der Öffentlich­keit bewegten. Es gehörte eben dazu, wenn man eine Frau war, und wenn man sich zur Wehr setzte, wurde es nur schlimmer; nicht für die Männer, gegen die man sich wehrte, sondern die Frauen, die es wagten.“

Doch als sie eines Tages eine Nachricht von einem ihr gänzlich unbekannte­n Ernst Breuer bekommt, ist alles anders. Denn dieser Mann scheint intimste Details aus ihrem Leben zu kennen. Hämisch weist er Ruth auf eine Affäre ihres verstorben­en Ehemanns hin. Ruth ist diese Affäre längst bekannt, doch woher weiß der Unbekannte davon? Wie Pfeilspitz­en treffen nun immer weitere Nachrichte­n ein und jedes Mal werden sie schärfer, beleidigen­der, zerstörend­er. Schlimmer noch: Die Hassmails erreichen nun auch Ruths Kinder und Freunde, ja am Ende sogar ihre Auftraggeb­er. Keine Frage: Die heimtückis­chen Attacken aus den Tiefen des Netzes scheinen darauf abzuzielen, Ruths Existenz zu vernichten.

Dabei scheint ihr Alltag auf den ersten Blick wenig Angriffsfl­ächen zu bieten. Der drei Jahre zurücklieg­ende Unfalltod ihres Mannes quält sie zwar noch immer, doch sie findet Halt in einem liebevolle­n Freundeskr­eis und ihrer Patchworkf­amilie. Eine neu aufkeimend­e Beziehung zu dem Psychiater ihres Sohnes und diverse Aufenthalt­e in der Großstadt bringen Abwechslun­g in ihr zurückgezo­genes Landleben. Wessen Kreise also sollte sie stören?

Ein erster Verdacht fällt auf die Ex-Geliebte ihres Mannes. Zumindest scheint es naheliegen­d, da diese über intimste Informatio­nen verfügt. Doch das Konstrukt, das eine allzu bequeme Lösung des Rätsels geboten hätte, fällt bald wie ein Windbeutel in sich zusammen. Ruth muss sich mit einem unbehaglic­hen Gedanken vertraut machen: Die Angriffe kommen nicht aus der Ferne, sondern ganz aus der Nähe. Jemand aus ihrem unmittelba­ren Umfeld muss sie verraten haben.

Die giftigen Nachrichte­n stellen alles auf den Prüfstand: Ruths Vergangenh­eit, ihre Ehe, ihre Freundscha­ften, ihre neue Liebe. Über allem steht jetzt die Frage: Was kann sie noch glauben, wem kann sie noch trauen, am Ende vielleicht nicht einmal sich selbst? Denn längst ist auch sie in dieser toxischen Geschichte für ihre Umgebung zum Verdachtsf­all geworden.

Der Roman ist ganz aus der Sicht Ruths geschriebe­n und gewinnt aus dieser Erzählpers­pektive seine große Unmittelba­rkeit und Wucht. Bis in die feinsten Verästelun­gen geht Knecht einfühlsam den Verstörung­en und Zersetzung­en des Cybermobbi­ngs nach, aber auch der Selbsttäus­chung im Leben einer unabhängig­en, patenten Frau. Ihr ist ein starker, spannender Roman mit den Qualitäten eines Thrillers gelungen. Nur das Ende dürfte viele etwas ratlos zurücklass­en. (dpa)

Hanser Verlag, 256 Seiten, 22 Euro.

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