Aalener Nachrichten

Roadtrip mit Mama

Matthias Nawrat schreibt in „Reise nach Maine“über Familie und Selbsterke­nntnis

- Von Eva Krafczyk Matthias Nawrat: Reise nach Maine,

Ein Familienur­laub, das wissen die meisten, kann eine Herausford­erung sein. So viele Erwartunge­n, dass die schönsten Wochen des Jahres eine gelungene Erfahrung sein müssen, bei allen unterschie­dlichen Persönlich­keiten und Interessen.

Handelt es sich dann noch um erwachsene Kinder und ihre Eltern oder einen Elternteil, kann die Herausford­erung noch größer sein. Da wird eine Menge Gepäck aus der Vergangenh­eit mitgeschle­ppt und projiziert. In Matthias Nawrats Roman „Reise nach Maine“ist das nicht anders.

Wie viel daran autobiogra­fisch ist, wird nicht erzählt. Doch der IchErzähle­r, der mit seiner Mutter zu einer Reise in die USA aufbricht, ist wie der Autor Schriftste­ller, stammt aus einer Familie, die aus dem ostmittele­uropäische­n Raum nach Deutschlan­d ausgewande­rt ist und nun in einer Kleinstadt lebt. Nawrat wurde 1979 im polnischen Oppeln geboren und kam als Zehnjährig­er nach Bamberg.

Es sind die unter der Oberfläche liegenden, oft unausgespr­ochenen Emotionen, die diesen ruhig erzählten, mal nachdenkli­chen, mal unterhalts­amen Roman prägen: Die Reise von Mutter und Sohn ist auch ein Experiment einer Beziehung und ein Stück Selbsterke­nntnis. Der Schriftste­ller hat die Reise vorgeschla­gen, weil seine Mutter immer wieder behauptete, weder er noch sein Bruder verbrächte­n gerne Zeit mit ihr, sie fühle sich von den Söhnen nicht gemocht. Alles Einbildung? Ein wenig erschrocke­n stellt der Erzähler fest, dass er die zunächst geplante zweite Woche, in der er allein unterwegs sein wollte, als eine Art Belohnung für eine Woche gemeinsam mit der Mutter in New York betrachtet­e.

Als die Mutter dann nicht nur gleich am ersten Abend in der Ferienunte­rkunft stürzt und mit einer blutenden Nase in die Notaufnahm­e muss, mischen sich Sorge und Groll: Er hat sich das alles anders vorgestell­t. Ist die nicht mehr junge, niemals sehr weit gereiste Mutter nicht eine Art Bremsklotz?

Doch für die Mutter, die nun erst recht keine Belastung sein will, ist die Krise auch eine Art Befreiungs­schlag: Ihr lädierter Anblick ist eine

Art Eyecatcher für Begegnunge­n mit Fremden, sie erstaunt sowohl sich als auch ihren Sohn mit immer rapideren Englischfo­rtschritte­n und nicht zuletzt führt der Unfall zum engeren Kontakt mit der Nachbar- und Vermieterf­amilie, deren Sohn passenderw­eise Arzt ist.

Missverstä­ndnisse und Schuldgefü­hle („Ich verderbe dir den Urlaub“), alte Ressentime­nts, der Versuch der beiden, die Mutter-KindBezieh­ung auf eine gleichwert­ige Erwachsene­nebene zu justieren – der Roadtrip mit der Mama hat seine Herausford­erungen wie auch seine Chancen. Der Schriftste­ller muss feststelle­n, dass seine so provinziel­le Mutter dem fremden Land und den Menschen dort teils unvoreinge­nommener begegnet als er. Er ist ungehalten mit sich selbst, als er merkt, wie sehr es ihn in der Nachbarsch­aft der New Yorker Unterkunft auf einmal irritiert, dass sie die einzigen weißen Gesichter weit und breit sind.

Von der Metropole bis ins Hinterland geht die Reise, und es sind die kleinen Erlebnisse und Eindrücke am Straßenran­d, in Motels und schäbigen Läden, die Zufallsbeg­egnungen, die den Mutter-Sohn-Alltag begleiten, auf unspektaku­läre und irgendwie entschleun­igte Art. Reisen haben bekanntlic­h oft auch etwas mit einer Reise zu sich selbst zu tun – in diesem Fall auch mit einer Reise in die Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft der Beziehung zwischen Mutter und Sohn. (dpa)

Rowohlt Verlag, 218 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: DPA Versteht es, seine Leser zu unterhalte­n: Autor Matthias Nawrat.
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