600 neue Wohneinheiten wollen gut geplant sein
Klimaschutz, Konversion, Corona: Was Herbert Hieber (SPD) zu den aktuellen Herausforderungen sagt
- Bezahlbarer Wohnraum für alle: Herbert Hieber findet es gut, wenn die Dominanz des Einfamilienhauses durchbrochen wird und es eine Abkehr von dem gibt, was bislang „routinemäßig“in Ellwangen gemacht wurde. Als Ort für das Sommergespräch mit der „Ipfund Jagst-Zeitung“hat sich der SPDFraktionsvorsitzende im Ellwanger Gemeinderat eine Sitzbank oben am Schloss ausgesucht. Weil sich dort eine der schönsten Ansichten Ellwangens bietet und man seinen Gedanken freien Lauf lassen kann.
Landesgartenschau: Bis 2026 sind es nur noch fünf Jahre. Kommt die Stadt langsam in Verzug? Herbert Hieber hat keine Sorgen deswegen, „wenn wir mit dem gleichen Elan dabeibleiben“. Die Gartenschauidee habe eine Dynamik ausgelöst, sagt er. Es sei einiges in der Pipeline, das bis 2026 ergänzend dazukomme, was man sich nie habe vorstellen können. Dazu zählt Hieber die Querung Bachgasse, die er für eins der spannendsten Bauprojekte hält.
Ganz wichtig ist nach seinen Worten, dass es eine besondere Gartenschau wird – und zwar im Hinblick auf die Frage, wie eine Stadt mit 25 000 Einwohnern die richtigen Antworten für Klimaschutz und Nachhaltigkeit geben kann. Für Hieber geht es darum, Ellwangen weit über die Gartenschauzeit hinaus „klimafester“und „klimasicherer“zu machen. Zum Glück, sagt er, treffe das auf viele offene Ohren – auch schon vor den verheerenden Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
Klima- und Hochwasserschutz: Was kann die Stadt beitragen? Der Hochwasserschutz sei sehr wichtig, sagt Hieber, aber er reagiere erst auf eine klimabedingte Entwicklung. Hieber verweist auf den geplanten Umbau der Jagst. Er vergrößere die Fläche für das Wasser, um Überschwemmungen zu verhindern.
In einer verdichteten Bebauung, die stärker auf erneuerbare Energien setzt, sieht Hieber einen Beitrag für mehr Klimaschutz. „Das zweite wird das Thema Verkehr sein. Wir haben noch nie eine so große Chance gehabt, dass wir Radwege mit Hand und Fuß machen.“Dass Bürgermeister Volker Grab angekündigt hat, in der Stadt versuchsweise flächendeckend Tempo 30 einzuführen begrüßt Hieber sehr. Das scheitere im Moment noch an Verkehrsminister Scheuer in Berlin. Aber am 26. September seien ja Wahlen.
Bundestagswahl: Welche Regierungskoalition packt die Herausforderungen der Zukunft am besten an? Herbert Hieber wünscht sich Rot-Grün. „Der Herr Laschet schwächelt ja gerade ziemlich.“Freilich bleibt Hieber realistisch. Wenn RotGrün keine Mehrheit schafft, muss eben bei der Linken oder bei der FDP angeklopft werden. „Ich sage ganz offen, mir wären die Linken lieber“. Die Partei macht nach seinen Worten eine gute Gesellschaftspolitik und eine gute Sozialpolitik. Auch den friedenspolitischen Impuls der Linken kann Hieber unterstützen.
Konversion: Worauf kommt es der SPD-Fraktion bei der Planung an? Hieber antwortet mit einer Beschreibung der aktuellen Lage. Viele junge Familien könnten sich kein Einfamilienhaus leisten. Alleinerziehende fänden kaum eine Wohnung und Auszubildende nur schwer ein Zimmer. Wenn es gelinge, auf dem Kasernengelände eine Hochschule zu etablieren, brauche es mehr Wohnraum für junge Menschen. Ganz schwierig sei es mit Handicap. Und: „Menschen mit Migrationshintergrund können jahrelang suchen und kriegen nicht unbedingt etwas.“Daher ist der SPD wichtig, dass auch diese Bevölkerungsgruppen auf dem Konversionsgelände Wohnraum finden. Ebenso, dass 25 Prozent aller Neubauwohnungen dort preisgünstig und sozialgebunden sind.
Positiv findet Hieber, dass auf dem Konversionsgelände 58 Prozent der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sind – und nur 42 Prozent im Einfamilienhaus. Das Einfamilienhaus dominiere bislang, sagt er. Dieser Trend werde nun erstmals durchbrochen. Hieber spricht sich für experimentelles Bauen aus, etwa in Form von Baugruppenhäusern. Und für einen Architektenwettbewerb.
Das koste vielleicht ein knappes Jahr mehr, sagt er. Aber das Baugebiet sei so wertvoll, dass es mindestens so gut geplant werden sollte wie die Landesgartenschau – auch um etwas abzukommen von dem, was bislang „routinemäßig“in Ellwangen
„Wenn sich mehr Erwachsene impfen lassen würden, hätten wir es an den Schulen viel einfacher.“
Herbert Hieber
gemacht worden sei.
Schließlich lassen sich 19 Hektar für 600 neue Wohneinheiten nach Hiebers Meinung „mindestens“in zwei Bauabschnitten entwickeln. „Das brauchen wir nicht in einem Schwung.“Heißt auch – ohne, dass er das extra betonen müsste –, dass die Stadt den LEA-Vertrag mit dem Land nochmals verlängern könnte.
Corona:
Was erwartet der SPD-Fraktionsvorsitzende für den Herbst und besonders für die Schulen? Die Luftfilterdiskussion sei ein Jahr „verschnarcht“worden, sagt Hieber. Man hätte ab Sommer 2020 die Expertise einholen müssen. In schlecht belüfteten Räumen und Klassenzimmern sollten Luftfilter eingesetzt werden, „wenn es irgend geht“.
Herbert Hieber vergleicht es mit einem Radhelm. Der garantiere auch nichts. „Aber ich setze ihn trotzdem auf und gebe die 50 Euro aus. Und vielleicht gilt für die Luftfilter das gleiche.“
Hieber nutzt die Gelegenheit zu einem Appell fürs Impfen. „Es ist nämlich ganz einfach: Wenn sich mehr Erwachsene impfen lassen würden, hätten wir es an den Schulen viel einfacher. Dann wären wir insgesamt sicherer.“Die Gesellschaft müsse aufpassen, warnt er, dass sie nicht Gefahr laufe, die persönliche Freiheit aller zu gefährden, wenn sich zu wenige impfen ließen.
Gewerbegebiet Neunheim:
Herbert Hieber ist einer Meinung mit OB Michael Dambacher. Die Stadt komme durch die Erweiterung an ihre Grenzen, sagt er. Dennoch sei es den Preis wert – und zwar dann, wenn es gelinge, mit Varta eine andere Antriebstechnik anzubieten, die die Gesamtumweltbelastung im Vergleich zum Benziner und Diesel reduziere. Das schließt Hieber zufolge die Lieferketten ein. Und Fragen wie: Wo kommen die Rohstoffe her? Wie können alte Batterien wiederverwendet werden? Wie energieintensiv ist das Produktionsverfahren?
Hieber verweist auf Experten, denen zufolge es sehr gut möglich sei, Dachbegrünung mit Photovoltaik zu vernetzen. Man habe aus den Erfahrungen mit den vorhandenen Gewerbegebieten gelernt, sagt er. Heißt: Stadt und Varta müssten zusammenarbeiten, damit die neue Produktion möglichst ökologisch sei – und andere Faktoren wie die Bebauung auch.
Wohnen: Gut gefallen hat SPDFraktionschef Hieber, was Wohnbauministerin Nicole Razavi angedeutet hat – nämlich, dass die Landesregierung die Gesetzeslage ändern will, damit die Städte in eigener Regie die Grundsteuer für unbebaute baureife Grundstücke erhöhen können. „Wir halten das für sehr klug.“
Damit hätten die Städte ein Instrument, um an Baulücken heranzukommen und verdichteter zu bauen. Eine städtische Wohnbaugesellschaft ist für Hieber „immer noch in der Pipeline“. In den Leerständen sieht er das größte Potenzial – auch aus ökologischer Sicht.
Hieber erläutert: Vor 20, 30 Jahren hätten die Menschen noch mehr vermietet. Heute, mutmaßt er, nehmen viele lieber niemanden mehr rein – frei nach der Devise: „Dann habe ich zwar 600 Euro weniger, aber meine Ruhe.“Hieber sieht darin eine „Wohlstandsentwicklung“und mahnt: Die Bevölkerungszahl in Ellwangen sei in den vergangenen fünf Jahren gleichgeblieben, obwohl die Stadt einige Baugebiete ausgewiesen habe.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Für Hieber kommt es auf zweierlei an. Erstens auf die Weichen, die die Kommunalpolitik „im kleinen Biotop eines Städtchens“stellt, etwa beim Wohnen und beim Verkehr. Zweitens auf das Verhalten des Einzelnen, etwa wenn Bürgerinnen und Bürger künftig vielleicht mehr Rad fahren oder ihren Garten naturnah anlegen und nicht als „Steinwüste“. Große Chancen sieht Hieber durch E-Bikes. Angesichts der „Riesenfördermöglichkeiten“für Radwege gilt für den begeisterten Radfahrer, bis zur Landesgartenschau alle Ortschaften so gut wie möglich an die Innenstadt anzubinden.