Unsicherheit am Aktienmarkt steigt
US-Notenbank könnte lockere Geldpolitik zurückfahren – Auch Entwicklungen in China bereiten Anlegern Sorge
(meh) - Nach Rekorden an den Aktienmärkten in den vergangenen Wochen ist die Unsicherheit zurückgekehrt. Hintergrund ist, dass die US-Notenbank Fed bald ihre Anleihekäufe reduzieren könnte. Das lassen Angaben in einem Protokoll der jüngsten Sitzung der Notenbank vermuten. Zudem sorgen sich Anleger auch darüber, dass Chinas wirtschaftlicher Aufschwung an Tempo verliert. Hintergrund sind neue staatliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, unter anderem an einem der größten Frachthäfen der Welt.
- Die Unsicherheit an den internationalen Aktienmärkten nimmt zu. Dabei spielen schwächelnde Konjunkturdaten aus China ebenso eine Rolle wie die jüngste Sitzung der US-Notenbank Fed. Die Protokolle dieser Sitzung wurden am späten Mittwochabend veröffentlicht. „Das Protokoll zeigt eine Fed, die in den meisten Fragen ziemlich gespalten ist, aber einräumt, dass wir dem Punkt des Taperings viel näher kommen", erklärten etwa Analysten der ING.
Tapering ist ein potenzielles Schreckgespenst für Aktienmärkte. Das Wort bezeichnet das Zurückfahren der lockeren Geldpolitik. Beobachter rechnen mit solchen Signalen möglicherweise bereits bei der jährlichen Notenbanker-Sitzung in Jackson Hole in der kommenden Woche. Und das könnte negative Reaktionen hervorrufen.
So bleibt vielen Anlegern noch 2013 in Erinnerung, als der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke ankündigte, seine Anleihekäufe reduzieren zu wollen. Die Kurse von Anleihen brachen ein, deren Zinsen schnellten in die Höhe, es kam zu einer Schockwelle an den internationalen Finanzmärkten.
Zwar meinen die meisten Ökonomen, dass die Märkte heute besser auf eine Wende in der Geldpolitik der wichtigsten Zentralbanken vorbereitet sind. Dennoch verlören mit steigenden Zinsen an den Anleihemärkten die Aktienmärkte grundsätzlich an Attraktivität.
Hinzu kommen neben der Geldpolitik aber auch Sorgen um den wirtschaftlichen Aufschwung. Ob auf dem Bau, im Handel oder in der Industrie: Materialengpässe und damit verbunden deutlich höhere Beschaffungskosten bremsen die Produktion. Eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Deutschen Industrie und Handelskammertages (DIHK) ergab, dass mittlerweile mehr als 80 Prozent der Unternehmen über Preisanstiege und Lieferprobleme bei Rohstoffen und Vorprodukten klagen.
Die Lieferengpässe insbesondere der Chipindustrie führen auch beim Automobilzulieferer Hella zu einem nur vorsichtigen Geschäftsausblick. Das Problem dieses Flaschenhalses für die weltweite Autoproduktion werde sich noch in das kommende Jahr hineinziehen. Erst danach erwartet Hella-Chef Rolf Breidenbach eine Besserung der angespannten Lage.
„Also wir glauben, aus der Bottleneck-Situation sind wir erst Mitte 2023 raus, das entnehmen wir der Diskussion mit unseren Zulieferern; aber es gibt ja auch Ankündigungen von sehr großen Halbleiterherstellern“, sagte Breidenbach anlässlich der Präsentation der Geschäftszahlen für das im Mai endende Geschäftsjahr bei Hella. Zu Wochenbeginn hatte der Scheinwerferspezialist seine Übernahme durch den französischen Rivalen Faurecia bekannt gegeben.
Da viele Vorprodukte wie Computerchips in asiatischen Ländern produziert werden, treiben auch die jüngsten Nachrichten aus China Anlegern Sorgenfalten auf die Stirn. So droht mehreren chinesischen Häfen eine Überlastung, nachdem der zweitgrößte Hafen Ningbo seinen Betrieb zeitweise eingestellt hat. Dort war vor gut einer Woche ein Hafenmitarbeiter an Corona erkrankt. Mittlerweile stauen sich am zweitgrößten chinesischen Frachthafen mehr als 50 Containerschiffe. Internationale Reedereien warnen Kunden vor Verspätungen. Einige Logistikunternehmen melden, dass sie bereits Ningbo meiden und Kurse und Fahrpläne ihrer Schiffe ändern.
Auch innerhalb Chinas verliert der wirtschaftliche Aufschwung an Tempo. Neue staatliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wie am Hafen Ningbo bremsen zunehmend die Fahrt der Wachstumslokomotive der Welt. Daten zur Industrieproduktion fielen ebenso ernüchternd aus wie Zahlen zum chinesischen Einzelhandel. „Die zuletzt gestiegenen Virusinfektionen und Eindämmungsmaßnahmen der Politik fordern ihren Tribut", schreiben die CommerzbankÖkonomen Hao Zhou und Marco Wagner.
Für Verunsicherung schließlich sorgt obendrein der verstärkte staatliche Zugriff chinesischer Behörden auf die Technologiebranche des Landes.
Diese sehen sich immer neuen Regeln, Strafzahlungen und auch Einschüchterungen ausgesetzt. Die chinesischen Behörden gehen gegen Unternehmen vor, die durch ihre Daten und Algorithmen möglicherweise Entscheidungen der Nutzer beeinflussen könnten. Durch das Vorgehen der Behörden sind wiederum Investoren abgeschreckt, die Aktienkurse der Tech-Konzerne unter Druck. Es gibt Befürchtungen, dass sich die Welle auf weitere Unternehmen und Branchen ausweiten könnte.
Deswegen sind in den vergangenen Tagen chinesische Internetaktien wie die der Handelsplattform Alibaba oder des Tencent-Konzerns unter die Räder geraten.