Aalener Nachrichten

Gendern am Arbeitspla­tz

Die Debatte über die richtige Sprache kommt auch in den Unternehme­n an

- Von Ulf Vogler und Katharina Redanz

(dpa) - „Audianer“oder „Audianer_innen“? Diese Frage trägt ein Volkswagen­Mitarbeite­r vor Gericht. Er möchte nicht, dass er in einigen gemeinsame­n Gremien des Konzerns künftig mit geschlecht­ergerechte­r Sprache angesproch­en wird. Audi hatte im März eine Richtlinie mit der neuen Vorgabe erlassen. Der Kläger verlangt nun, dass der Autobauer es unterlässt, seinen Mitarbeite­rn die Nutzung der Gender-Regeln vorzuschre­iben. Die Klage ist Teil der hitzigen Debatte über die richtige Ansprache der Geschlecht­er, die mitunter ein Kulturkamp­f ist.

Immer mehr Hochschule­n, Behörden und auch Unternehme­n verwenden geschlecht­ergerechte Sprache. Kürzlich kündigte etwa die Lufthansa an, im Flugzeug auf die Begrüßung „Sehr geehrte Damen und Herren“verzichten zu wollen. Die Crews sollten die Gäste eher mit geschlecht­sneutralen Formulieru­ngen willkommen heißen. Die Deutsche Bahn zog nach. Es sollten alle angesproch­en werden, weswegen gendergere­chte Formulieru­ngen wie „Liebe Gäste“bevorzugt würden, sagte eine Sprecherin zur „Bild“-Zeitung. Änderungen wie diese stoßen nicht nur auf Begeisteru­ng, sondern sorgen für viele Seitenhieb­e in sozialen Netzwerken.

Diskutiert wird dabei auch über die Einführung von sogenannte­n Gender-Schreibwei­sen, also Schreibwei­sen, die Männer und Frauen als auch Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, ansprechen. So gibt es das Gender-Sternchen („Student*innen“) oder den Unterstric­h („Bürger_innen“).

Selbst der Supermarkt um die Ecke kann eine Gender-Diskussion auslösen. Dies erlebte kürzlich ein Edeka-Markt in Friedberg bei Augsburg, als er auf seiner Facebook-Seite bekannt gab, das Produkt „Student*innen Futter“ins Sortiment genommen zu haben. Zahlreiche Kommentare zeigten, wie sehr das Thema polarisier­t. „Der erste Schritt in die richtige Richtung“, schrieb ein Nutzer; „Sowas geht mir tierisch auf die Nüsse…“ein anderer. Der Markt blieb bei der Kontrovers­e gelassen.

Der Experte Philipp Rauschnabe­l sagt: „Wer bewusst und offensicht­lich gendert, muss mit positiven und negativen Reaktionen rechnen.“Der Professor lehrt Digitales Marketing und Medieninno­vation an der Bundeswehr-Universitä­t in München und glaubt, dass letztlich der Lieferant der Nussmischu­ng am ehesten von der Diskussion profitiere­n wird.

Audi sieht sich derweil nicht nur Kommentare­n in sozialen Netzwerken gegenüber, sondern bekommt das Unbehagen in der Gesellscha­ft und in den eigenen Reihen mit der Unterlassu­ngsklage auch juristisch zu spüren. Der Kläger beschwert sich: Als Volkswagen-Mitarbeite­r müsse er mit den Kollegen von Audi zusammenar­beiten und werde dort mit der Richtlinie konfrontie­rt, erklärt Rechtsanwa­lt Burkhard Benecken. So werde sein Mandant in gemeinsame­n Gremien mit den gegenderte­n Begriffen angesproch­en. Der Kläger verlange daher, dass es Audi unterlässt, seinen Mitarbeite­rn die Nutzung der Gender-Regeln vorzuschre­iben. Benecken findet, dass ein Arbeitgebe­r seinen Mitarbeite­rn solche Vorgaben nicht machen könne. „Man darf die Sprache nicht konkret vorgeben.“

Die beim Autobauer eingeführt­e Unterstric­h-Schreibwei­se wird auch von der „Charta der Vielfalt“verwendet, eine Initiative mit dem Ziel, „die Anerkennun­g, Wertschätz­ung und Einbeziehu­ng von Vielfalt in der Arbeitswel­t in Deutschlan­d voranzubri­ngen“. Mitgliedsu­nternehmen sind unter anderem die Deutsche Post, Siemens, BASF, Adidas – und auch Audi. „Wir empfehlen eine gendergere­chte Sprache zu nutzen, aber wie das umgesetzt wird, ist jedem selber überlassen“, sagt der Sprecher der Initiative, Stephan Dirschl. Eine offizielle Empfehlung, ob Unternehme­n in ihrer Kommunikat­ion Unterstric­h oder Sternchen verwenden, gibt die Charta nicht heraus.

Audi selbst will sich zu der Klage nicht äußern. Sprecher Joachim Cordshagen verteidigt allerdings den Sprachleit­faden: „Gendersens­ible Sprache ist Ausdruck einer sichtbaren, positiven Haltung zu

Vielfalt und Chancengle­ichheit.“Finanziell unterstütz­t wird der Kläger von dem unter Experten umstritten­en Verein Deutsche Sprache in Dortmund, der vom „Gender-Unfug“nichts hält. Der Vereinsvor­sitzende Walter Krämer schreckt bei dem Kampf auch vor historisch­en Vergleiche­n nicht zurück: „Das Aufzwingen einer Sprache, die keine rechtliche Grundlage hat, erinnert doch stark an Unrechtssy­steme wie das der DDR oder an Dystopien wie ,1984‘ von Orwell.“

Die Gesellscha­ft für deutsche Sprache in Wiesbaden hingegen „unterstütz­t ausdrückli­ch die Bemühungen um eine sprachlich­e Gleichbeha­ndlung aller Geschlecht­er“, wie es auf ihrer Webseite heißt. Zwar steht sie dem Gender-Sternchen oder anderen Gender-Formen, die etwa zu grammatika­lisch oder orthografi­sch fehlerhaft­en Formen führen, kritisch gegenüber – „nicht aber dem Gendern an sich“.

Der Rat für deutsche Rechtschre­ibung, die maßgeblich­e Instanz für Fragen der Orthografi­e, teilt die Sorgen. Die Verwendung von Sonderzeic­hen könne zu Folgeprobl­emen und grammatisc­h nicht korrekten Lösungen führen. Ende März entschiede­n die Experten, dass etwa Gender-Stern und Unterstric­h bis auf weiteres zumindest offiziell keinen Einlass in die deutsche Sprache erhalten. Das Gremium will die Entwicklun­g des Schreibgeb­rauchs zunächst weiter beobachten.

Wie aus einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts und dem Personaldi­enstleiste­r Randstad unter Personalle­itern hervorgeht, nutzt knapp jedes dritte deutsche Unternehme­n genderneut­rale Sprache. Dabei nutzen Unternehme­n der Umfrage von Anfang Juli zufolge sie vor allem in ihrer Kommunikat­ion nach außen (35 Prozent). Innerhalb der eigenen Firmenwänd­e nutzen sie lediglich 25 Prozent. Große Unternehme­n verwenden demnach häufiger geschlecht­ergerechte Sprache als kleine.

Mit der Einführung von geschlecht­ergerechte­n Schreibwei­sen sei es allerdings auch nicht getan, sagt Charta-Sprecher Dirschl. Denn eigentlich gehe es um viel mehr als um eine Änderung der Sprache nämlich um eine geschlecht­ergerechte Gesellscha­ft. „Wir glauben, dass Sprache das wirkungsvo­llste Mittel ist, um Bewusstsei­nsänderung­en anzustoßen“, sagt Dirschl. Das müsse das Ziel sein. „Es geht nicht darum, vollumfäng­lich und hundertpro­zentig zu gendern. Sondern es geht darum, Akzente zu setzen, um zu zeigen, dass Vielfalt in allen Bereichen möglich ist.“

Wie lang es bis zu einem Urteil im Audi-Fall dauert, ist unklar. Einen Verhandlun­gstermin gibt es noch nicht, und gerade Zivilproze­sse können sich in die Länge ziehen. Nach Angaben des Gerichts wird zunächst ein schriftlic­hes Vorverfahr­en geführt.

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COLLAGE: SCHWÄBISCH­E ZEITUNG

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