27-jähriger Afghane fürchtet um seine Familie
Fahim Hosainy stammt aus Herat – Furcht vor der Rache der Extremisten
- Der 27-jährige Afghane Fahim Hosainy hat Angst um seine Familie. Eine seiner Schwestern war politisch aktiv und hat sich für Frauenrechte eingesetzt. Nachdem die Taliban wieder die Macht im Land übernommen haben, fürchtet Hosainy, der für die LEA Ellwangen als Dolmetscher arbeitet, die Rache der Extremisten.
Es sind einschüchternde Bilder: Schwer bewaffnete Männer haben Menschen auf einer Straße zusammengetrieben. Einige, möglicherweise die Bewohner eines Hauses, die ins Freie getrieben wurden, knien auf dem Bordstein. Ein Mann zielt mit einer Panzerfaust auf sie, andere halten automatische Gewehre in der Hand. Fahim Hoseiny hat der Redaktion der „Ipf-und-Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten“ein Video zugänglich gemacht, auf der diese Situation zu sehen ist.
Solche Szenen spielen sich derzeit in vielen Städten Afghanistans ab – auch in Herat, Hosainys Heimatstadt. Dort, in der zweitgrößten Stadt des Landes, durchsuchen die Taliban seit Tagen die Häuser und treiben diejenigen zusammen, die den neuen Herren kritisch gegenüberstehen, berichtet der 27-Jährige, der seit etwa eineinhalb Jahren in Deutschland lebt.
Fahim Hosainy ist geflohen. Seine Familie – die Mutter, drei Schwestern, zwei Brüder – gehört der gebildeten Mittelschicht an. Sie besaßen ein Haus. Die Familie ist nicht religiös, wie der 27-Jährige sagt. Einer seiner Brüder ist Lehrer, eine der Schwestern setzt sich aktiv für Frauenrechte ein. Fahim Hosainy selbst arbeitete in Herat als Bauingenieur. Eines Tages überfiel ein Taliban-Kommando die Baustelle, auf der er tätig war. Zwei seiner Kollegen wurden verschleppt und schließlich getötet. Nach seiner Flucht war die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen seine erste Station in Deutschland. Noch heute ist er gelegentlich für die LEA als Dolmetscher tätig.
Hosainys Familie lebt noch in Herat. Zu seinen Angehörigen und Freunden hat der junge Afghane nach wie vor Kontakt. Seiner Mutter gehe es soweit gut, sagt er. Aber: „Meine Familie ist in Gefahr.“Der 27Jährige sorgt sich vor allem um seine Schwestern. Gerade für Frauen ist die Situation nach der erneuten Machtübernahme der Taliban schwierig geworden: „Frauen dürfen nicht allein aus den Häusern gehen“, sagt Hosainy. Den Beteuerungen der neuen Machthaber, dass Frauen arbeiten dürfen und niemand sich fürchten müsse, schenkt er keinen Glauben. Denn schon jetzt seien die Taliban dabei, alle Darstellungen von Frauen aus der Öffentlichkeit zu entfernen, so der Geflüchtete. „Was erwarten Sie von Leuten, die keine Bilder von Frauen dulden?“, fragt er.
Stattdessen würden Menschen eingeschüchtert, geschlagen oder gar erschossen – zum Beispiel, weil sie die Flagge der abgesetzten afghanischen Regierung in der Öffentlichkeit gezeigt hatten. Ein Bekannter, der kritische Gedichte geschrieben habe, sei verschleppt worden. Der 27-Jährige weiß nicht, was mit ihm geschehen ist.
Trotz der fast 20-jährigen Militärpräsenz der USA und ihrer Verbündeten und trotz des Versuchs, eine gewählte Regierung in Afghanistan zu etablieren, war es nie gelungen, die islamischen Extremisten entscheidend zu schwächen. Ein Grund dafür lag aus Sicht von Hosainy darin, dass sich die Taliban auf ihre Stützpunkte in Pakistan zurückziehen konnten. Die USA und ihre Alliierten hätten sich nie dazu durchringen können, die Basen anzugreifen – wahrscheinlich auch deshalb, weil man keinen Konflikt mit der Nuklearmacht Pakistan riskieren wollte. „Man hätte die Taliban in Pakistan jagen müssen“, sagt Hosainy.
Dazu komme, dass die Islamisten durchaus Anhänger unter der afghanischen Bevölkerung hätten. „Die Leute, die die Taliban unterstützen, sind entweder arm oder Analphabeten“, erklärt Hosainy. Die meisten jungen Leute im Land seien dagegen gegen die Extremisten eingestellt. Dass die Taliban das Land so schnell unter ihre Kontrolle bringen konnten, hätte Hosainy nicht gedacht. „Niemand hat das erwartet“, sagt der 27-Jährige. Es sei jedoch auch nicht zu erwarten gewesen, dass sich die Amerikaner so schnell aus Afghanistan zurückziehen würden.
Was fühlt Fahim Hosainy, wenn er an seine Heimat denkt? „Ich bin wütend“, antwortet der 27-Jährige: „Wütend auf die Taliban.“Für sein Land empfindet er Schmerz und Mitleid. Und er hofft, dass es irgendwann doch einmal Frieden in Afghanistan geben wird. Hosainy will auf jeden Fall in sein Land zurück. Vorerst möchte er jedoch noch besser Deutsch lernen, um hier einen festen Job finden zu können.