Aalener Nachrichten

Bitte die Suppe im Übereifer nicht versalzen

- Von Martin Deck

So kennt man Jürgen Klopp. Wohl kaum ein Anderer im bezahlten Fußball lebt so sehr von den Emotionen wie der Trainer des FC Liverpool. Und so stand der 54-Jährige – nach einer Augenopera­tion neuerdings ohne Brille – am Samstag nach dem 2:0-Sieg seiner Mannschaft gegen den FC Burnley völlig ergriffen vor den Heimfans. Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie durfte das altehrwürd­ige Stadion an der Anfield Road mit mehr als 52 000 Fans wieder ausverkauf­t sein – und die Fans brachten das zurück, was alle, die den Fußball lieben, so sehnlichst vermisst haben: Lieder, Atmosphäre, Emotionen. „Außergewöh­nlich, großartig. Es gab Momente, wo man die Tränen extrem schwer zurückhalt­en konnte“, schwärmte Klopp noch am Tag danach bei Bild TV. „Wir haben das so lange nicht gehabt. Es waren, glaube ich, 529 Tage bei uns. Und das ist natürlich eine extrem lange Zeit. Ich hätte niemals gedacht, dass ich solange darauf verzichten muss.“Und Klopp wäre nicht Klopp, hätte er nicht den passenden Spruch parat: „Es ist nicht nur das Salz in der Suppe, sondern auch noch die Suppe dazu.“Denn, das weiß nicht nur der gebürtige Schwarzwäl­der, Fußball hat nur dann bleibende Bedeutung, wenn er Gefühle auslöst.

Angesichts der Bilder und vor allem der Akustik aus England ist es nicht verwunderl­ich, dass auch immer mehr Clubs der Bundesliga auf die baldige Rückkehr zu vollen Stadien drängen. „Wir werden dahinkomme­n, dass wir alles öffnen. Es ist nicht mehr aufzuhalte­n“, sagte etwa Hertha-Geschäftsf­ührer Fredi Bobic bei Bild TV und schickte zugleich eine Drohung an die Politik: „Wir würden uns einer Klage anschließe­n.“Dass es zu einem Verfahren um die vollständi­ge Belegung der Stadien kommt, ist nicht auszuschli­eßen. Schließlic­h haben vor Bobic auch schon andere Clubverant­wortliche wie BVB-Geschäfstf­ührer Hans-Joachim Watzke in ein ähnliches Horn gestoßen.

Das Anliegen der deutschen Clubs ist nachvollzi­ehbar. Für sie geht es um mehr als die Atmosphäre im Stadion. Es geht vor allem um Einnahmen in Millionenh­öhe. Ohne die wichtigen Ticketverk­äufe drohen die deutschen Clubs noch mehr den Anschluss im internatio­nalen Wettbewerb zu verlieren – der zumindest im Vergleich zur englischen Premier League sowieso schon nicht zu erreichen ist. Finanziell­e Interessen Einzelner dürfen aber nicht über das Wohl und die Gesundheit der gesamten Bevölkerun­g gestellt werden. Deshalb ist bei weiteren Öffnungen – die es ohne Frage trotz erneut steigender Infektions­zahlen irgendwann geben muss – das richtige Augenmaß gefragt. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass die Suppe

– um in Klopps Bild zu bleiben – im Übereifer versalzen wird und ohne jeglichen Genuss wieder in den Abfluss gegossen werden muss.

Wie gefährlich eine zu voreilige Öffnung ist, zeigt schließlic­h ebenfalls das Beispiel England: Bei den Finalspiel­en der Europameis­terschaft in London mit Zehntausen­den Zuschauern und etlichen Fans rund um das Wembley-Stadion haben sich im Juli mehr als 3000 Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert, wie die Gesundheit­sbehörde Public Health England am Freitag mitteilte. Auch wenn das Sportminis­terium nicht sagen konnte, wie viele Menschen sich tatsächlic­h im Stadion ansteckten und wie viele bei Ansammlung­en außerhalb, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass eine Vielzahl der Infektione­n auf die Fanfeste in der Stadt zurückgeht.

Aus diesen Erfahrunge­n gilt es zu lernen. Es müssen endlich klare Studien zur Ansteckung­sgefahr bei Großverans­taltungen her. Der Profifußba­ll darf dabei gerne wieder den Vorreiter geben. Vorwiegend natürlich aus Eigennutz, so wie schon im vergangene­n Jahr. Profitiere­n davon könnten aber auch viele Bereiche des öffentlich­en Leben. Bis aber handfeste Ergebnisse vorliegen, sollten sich die Clubs mit den zum Drittel gefüllten Stadion zufrieden geben – die Spieler selbst sind es bereits: „Geil. Das ist es, wofür jeder Fußballer lebt“, sagte Bochums

Sebastian Polter nach dem ersten Bundesliga­heimspiel des Ruhrverein­s seit elf Jahren. „Egal, in welchem Stadion der Welt, Fans gehören ins Stadion, um diese Momente mitzuerleb­en, zu Hause oder auswärts feiern zu gehen und am Abend noch ein Bierchen zu nehmen.“Eine gute Grundlage, auf der man nun aufbauen kann.

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FOTO: DPA Nicht nur der VfL Bochum um den Häfler Simon Zoller (li.) freut sich über die Rückkehr der Fans.
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