Dreikampf zur besten Sendezeit
Aus dem Duell ums Kanzleramt wird am Sonntagabend bei RTL ein Triell zwischen Baerbock, Laschet und Scholz
Von André Bochow, Ellen Hasenkamp und Stefan Kegel
- Im Willy-Brandt-Haus ist die Stimmung gerade vom Feinsten. Nach vielen Monaten im 15-ProzentJammertal schaut man nun mit Begeisterung und Vorfreude auf jede neue Umfrage. Und am Sonntag hofft man in der SPD, den Vorsprung noch ausbauen zu können. Denn dann läuft die erste von drei Fernsehdebatten zur Bundestagswahl am 26. September (RTL, 20:15 Uhr). Und die ist ein Novum. In den vergangenen zwei Jahrzehnten standen sich immer nur die Spitzenkandidaten von Union und SPD gegenüber. Diesmal wird aus dem Duell ein Triell: Armin Laschet (CDU) gegen Olaf Scholz (SPD) gegen Annalena Baerbock (Grüne). Wird der Dreikampf die Wahlentscheidung beeinflussen?
Vorbei die Zeit, als die Grünen moserten, dass es keiner Trielle bedürfe, weil die SPD in Umfragen so weit abgeschlagen hinten liege, dass man es auch beim guten, alten Duell belassen könne. Inzwischen haben sich die Umfragewerte der beiden umgekehrt und die SPD liegt bei 22 Prozent, auf gleicher Höhe mit der Union und zwei Punkte vor den Grünen.
Das Umfeld von SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz will sich eigentlich nichts anmerken lassen, doch letztlich klingt es nach Triumph. Die Strategen sind überzeugt, dass der Vizekanzler beim Triell seinen Bonus als Staatsmann in die Waagschale werfen wird.
Schon vorher wurde ausgelost, wer jeweils mit dem Eingangsstatement beginnt und mit dem Schlusswort endet. Für den Anfang: Baerbock, Scholz, Laschet. Alles ganz fair. Nicht ganz in Ordnung findet man bei der SPD, dass eine der beiden Moderatorinnen des dritten Triells, das von Pro7 organisiert wird, Claudia von Brauchitsch ist. Von Brauchitsch arbeitete lange für das parteieigene „CDU-TV“.
Und wie werden die Kandidaten vorbereitet? Da lassen sich die Parteien ungern in die Karten schauen. „Letztlich kümmert sich das gesamte Willy-Brandt-Haus“, heißt es bei der SPD. Externe Hilfe, zum Beispiel Coaches, hat man sich nicht geholt. Es werden auch keine Redeblöcke vorbereitet, die der Kandidat auswendig lernt. Scholz zieht auch an, was ihm gefällt. Dunkler Anzug, weißes Hemd. Da wird es wohl keine Überraschungen geben.
Scholz’ Konkurrent Armin Laschet gilt hingegen nicht gerade als diszipliniert und ordentlich. Der CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union schafft es beispielsweise, ein leeres Podiumstischchen binnen Minuten unter einem Haufen aus Wasserglas, Maske, Handy und Zetteln verschwinden zu lassen. Der Zustand seines Schreibtisches in der
Düsseldorfer Staatskanzlei ist legendär.
Wenn es allerdings wirklich gilt, kann er auch ganz anders. Dann ist er glasklar und fokussiert. Das konnte beispielsweise jeder sehen, der Laschets Rede beim Wahlparteitag der CDU verfolgt hat: Schritt neben das
Pult, Bergmannsmarke seines Vaters groß im Bild, Schlussblick direkt in die Kamera. Keine Frage, Laschet hatte sich auf den Punkt vorbereitet.
Um für das Fernseh-Triell zu trainieren, bleibt wegen des Wahltermin-Kalenders nur wenig Zeit. Dabei steht für ihn am meisten auf dem
Spiel: Die Dreikämpfe sind seine Chance, die Umfragen zu drehen. Die TV-Debatten seien wichtig, heißt es auch in der Partei. Hinzugefügt wird, dass es für Laschet sogar von Vorteil sein könnte, quasi unterbewertet in die Auseinandersetzung zu gehen: Er habe am meisten zu gewinnen.
Bei den Grünen heißt es nur, man bereite die Kandidatin natürlich gut auf das Triell vor. Ausrutscher wie nach ihrer Parteitagsrede, als Annalena Baerbock nach ihrer Rede wegen eines Versprechers das „Sch…“–Wort entfuhr, soll es nicht geben. Und auch die Herablassung, die sie etwa im vergangenen Jahr in einem NDR-Doppelinterview gegenüber ihrem Co-Parteichef Robert Habeck zur Schau stellte („Hühner, Schweine, Kühe melken“), dürften ihre Berater ihr abtrainiert haben.
Aber was können die TV-Runden bewirken, die von den Fernsehsendern gern zu den Höhepunkten des Wahlkampfes erklärt werden? Forscher sehen vor allem zwei Ziele: sich selbst als kompetent darzustellen – und eigene Themen zu setzen, das sogenannte „Agenda Setting“. „Eine Reihe von Studien haben gezeigt, dass die Themen, über die in den Debatten gesprochen wird, für die Wähler danach wichtiger werden“, erklärte der amerikanische Medienwissenschaftler William Benoit schon vor einigen Jahren.
Während in Deutschland ab 1969 im Fernsehen zunächst alle Spitzenkandidaten – damals vier – vor die Kameras traten, ließ man diese Tradition nach der Wahl 1987 einschlafen. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Amtsinhaber Helmut Kohl (CDU) sich der Runde verweigerte. Erst 2002 wurde das TV-Format wiederbelebt – als Duell zwischen Edmund Stoiber (CSU) und Gerhard Schröder (SPD). Das Vorbild: die USA.
Dort sind Fernsehdebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten aus den Kampagnen nicht wegzudenken und beeinflussen nicht selten den Ausgang einer Wahl. Bei der ersten TV-Debatte im Jahr 1960 ging der republikanische Kandidat Richard Nixon als Favorit gegen den demokratischen Senkrechtstarter John F. Kennedy ins Rennen. Experten meinten, Nixon, der zuvor Vizepräsident unter Dwight D. Eisenhower gewesen war, würde wegen seiner Erfahrung in Hörfunkdebatten den jüngeren Kennedy souverän besiegen. Der Republikaner wollte sich aber fürs Fernsehen nicht schminken lassen, trat unrasiert an und hatte wegen einer Erkrankung abgenommen. Zwar argumentierte er besser als Kennedy, unterlag Umfragen zufolge aber klar gegen den dynamischer wirkenden Senator aus Massachusetts. Obwohl Nixon die darauffolgenden Rededuelle gewann, galt sein schwacher Auftritt als einer der wahlentscheidenden Faktoren.