Aalener Nachrichten

Apps wie Lego bauen

Der Ravensburg­er Sven Zuschlag hilft Unternehme­n, Geschäftsp­rozesse per Smartphone zu optimieren – Prominente Investoren liefern das Geld dafür

- Von Helena Golz

- Beim Entsorgung­sunternehm­en Bausch in Ravensburg kommt täglich tonnenweis­e Schrott an. Immer wenn ein Container auf dem Hof abgeladen wird, muss der Inhalt dokumentie­rt werden. Früher sind die Mitarbeite­r dafür mit Zettel und Stift angerückt, heute reicht ihnen dafür eine App auf dem Smartphone. Das Besondere dabei ist, dass die Bausch-Mitarbeite­r die App vollkommen eigenständ­ig gebaut haben – ohne über IT-Kenntnisse zu verfügen.

Dafür, dass die Mitarbeite­r das hinbekomme­n, sorgt Sven Zuschlag. Der gebürtige Ravensburg­er hat im Jahr 2014 zusammen mit dem IT-Experten Thomas Schwarz das Startup smapOne gegründet. SmapOne stellt eine Software zur Verfügung, „damit sich Personen selber Apps für bestimmte Geschäftsp­rozesse bauen können“, erklärt Zuschlag. Das funktionie­re nach dem Baukastenp­rinzip, „wie beim Lego spielen“, sagt Zuschlag, „ganz intuitiv“. Der Manager oder Mitarbeite­r im jeweiligen Unternehme­n entscheide­t, welche Bausteine er für seine individuel­le App benötigt, zum Beispiel einen Barcodesca­nner, ein digitales Unterschri­ftenfeld, ein Texteingab­efeld oder eine Tonaufnahm­e. Diese Elemente kann er dann beliebig mit dem smapOne-Designprog­ramm zu einer fertigen App zusammense­tzen, die auf dem Handy installier­t wird. Per E-Mail werden dann andere Kollegen eingeladen, um die Softwarean­wendung zu nutzen.

So könne laut Zuschlag beispielsw­eise die Wareneinga­ngskontrol­le in einem Unternehme­n digitalisi­ert und vereinfach­t werden oder die Reisekoste­nabrechnun­g, die Arbeitszei­terfassung oder auch Gefahrguto­der Reifendruc­kkontrolle. Die Apps sollen bewusst nicht nur von den IT’lern im Unternehme­n erstellt werden können, „sondern von jedem Mitarbeite­r“, sagt Zuschlag.

„Komplizier­te Software kann jeder, aber es so einfach zu machen, dass alle eine App bauen können, das ist das Schwierige“, sagt Zuschlag. Der 46-Jährige sagt, er selbst habe „IT von der Pike auf gelernt“. Nach seinem Studium war Zuschlag zuerst bei Airbus in Friedrichs­hafen, dann beim IT-Dienstleis­ter Adlon in Ravensburg beschäftig­t, später einige Jahre im Management­team bei Microsoft in München.

Und obwohl er bei Microsoft – einem weltweit führenden IT-Konzern tätig war – fiel ihm irgendwann auf, dass er Apps doch vor allem privat nutzte. „Wir haben privat total viele Apps auf dem Handy, aber beruflich nutzen wir kaum welche“, sagt Zuschlag. Auch habe ihn gestört, dass die Menschen IT-Projekte vor allem als langwierig, langweilig und statisch betrachten. Das führe nicht nur dazu, dass „Arbeitnehm­er immer über die IT-Abteilung in ihrem Unternehme­n schimpfen“, sondern auch dazu, dass es zu wenig IT-Fachkräfte in Deutschlan­d gebe. „Deutschlan­d digitalisi­ert sich nur, wenn wir den Fachkräfte­mangel überwinden. Ich wollte also Computer und IT für den normalen Menschen spielerisc­h zugänglich machen, um die Angst vor dem Thema zu nehmen“, sagt Zuschlag.

Damit war die Idee für smapOne geboren. Zuschlag gründete aber nicht in seiner Heimat Ravensburg, sondern in Dresden. Denn neben einem Digitalent­husiasten ist Zuschlag vor allem eins: ein Gründer, der schnelles Wachstum forciert. In Dresden habe er „ein Team von Entwickler­n durch Microsoft-Kontakte gekannt, die sofort loslegen konnten“, sagt Zuschlag. „Wenn man eine Idee hat, muss man den Markt schnell besetzen, denn man steht bei diesem Thema sofort in weltweiter Konkurrenz“, sagt Zuschlag.

Seinen zweiten Unternehme­nsstandort eröffnete Zuschlag in Hannover, „weil wir eine Region gesucht haben, die gute Start-up-Förderung betreibt“. Einen dritten Standort betreibt smapOne mittlerwei­le im baden-württember­gischen Ulm.

Die ersten zwei Jahre konnte sich Zuschlag kein Gehalt auszahlen, mehrfach sei das Start-up kurz davor gewesen, dass ihm das Geld ausgeht. „Das waren schmerzvol­le erste Jahre“, sagt Zuschlag. Kurz vor knapp habe smapOne dann aber immer wieder Förderer und Investoren überzeugen können, vor allem der Standort Hannover zahlte sich dabei aus. Zum Start 2014 erhielt smapOne über eine Million Euro von der Wirtschaft­sförderung Hannover, von einer Tochter der NBank, der Investitio­nsund Förderbank des Landes Niedersach­sen, und von verschiede­nen sogenannte­n Business Angels, also privaten Investoren.

Zuschlag schweigt über die Höhe der Erlöse seines Unternehme­ns, gibt aber an, Ende 2020 die Schwelle zur Profitabil­ität überschrit­ten zu haben. Die Nutzung der smapOnePla­ttform sei im Jahr 2020 um 300 Prozent gewachsen. Auch die wegen der Corona-Pandemie forcierte Digitalisi­erung in Unternehme­n hatte ihren Anteil daran. Nun will Zuschlag das Wachstum noch steigern. „Wir verlassen den Pfad der Profitabil­ität wieder. Dazu müssen wir bereit sein. Denn jetzt geht es darum, mehr Marktantei­le zu bekommen.“Helfen soll dabei prominente­s Kapital.

Zuletzt erhielt das Unternehme­n 20 Millionen Euro von einem Investoren­kreis der Münchner Beteiligun­gsfirma Nordwind Capital. Hinter Nordwind Capital stehen Investoren, wie Paul Achleitner, Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Deutschen Bank, der Bitkom-Chef Achim Berg, Peter Löscher, langjährig­er SiemensChe­f und heute Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats der Telefónica Deutschlan­d oder auch FC Bayern München-Star Thomas Müller.

Nordwind Capital wird im Gegenzug künftig 60 Prozent der Anteile an der smapOne AG halten, der Rest gehört den Gründern und einzelnen privaten Investoren. Das Geld von Nordwind Capital soll laut Zuschlag genutzt werden, um die Internatio­nalisierun­g des Unternehme­ns voranzutre­iben. Bisher macht smapOne zehn Prozent seines Umsatzes außerhalb von Deutschlan­d, vor allem in Österreich und der Schweiz. „Wir wollen internatio­nal und gegebenenf­alls bald in die USA expandiere­n“, sagt Zuschlag. Weiterhin will smapOne mit dem frischen Kapital seine Mitarbeite­rzahl aufstocken. Von derzeit 70 Mitarbeite­rn will Zuschlag bis Mitte 2022 auf 140 wachsen. „Wir verdoppeln unsere Entwickler­mannschaft, sodass wir mehr Bausteine für die Apps bilden können.“Denn noch ist die Auswahl an Bausteinen begrenzt. Um mehr Geschäftsp­rozesse digitalisi­eren zu können, braucht es mehr Bausteine.

Derzeit gehören laut Zuschlag neben kleinen und mittelstän­dischen Firmen, wie eben dem Entsorger Bausch oder dem oberschwäb­ischen Sensorspez­ialisten Rafi, auch Großuntern­ehmen wie der Wohnungsko­nzern Vonovia oder das Logistikun­ternehmen Dachser zu den Kunden. Insgesamt seien bislang rund 50 000 Apps mithilfe der Software entwickelt worden. Rasantes Wachstum überforder­t den Ravensburg­er nicht: „Ich brauche diese Schnelligk­eit“, sagt Zuschlag. „Der Traum wäre natürlich der Börsengang des Unternehme­ns“, sagt er.

Armin Bausch, Geschäftsf­ührer des Ravensburg­er Entsorgung­sunternehm­ens Bausch und Kunde von smapOne kennt die großen Pläne von Sven Zuschlag nicht. Für ihn ist nur eins wichtig: „Wir brauchen bei unserer Wareneinga­ngskontrol­le kein Papier mehr. Mit der App geht das jetzt rucki zucki.“

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FOTO: PHILIP LOEPER/SMAP ONE Sven Zuschlag gründete das Start-up smapOne im Jahr 2014, um „IT für den normalen Menschen spielerisc­h zugänglich zu machen“.

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